Verlass dich ruhig auf deine Ahnungen. Sie beruhen gewöhnlich auf dicht unterhalb der Bewußtseinsschwelle registrierten Fakten.
(Joyce Brothers)
Ich bin erstaunt darüber wie oft sich meine Ahnung im Nachhinein als richtig erweist. Und dennoch, obwohl ich das mittlerweile weiß, handle ich meist entgegengesetzt dieser Intuition.
Vor vielen Jahren lernte ich im Studium eine Frau kennen. Wir kamen beide aus unterschiedlichen Fachrichtungen, belegten aber ein Seminar zusammen. Sie war gut 20 Jahre älter als ich, hatte bereits Pädagogik und Soziologie studiert und arbeitete therapeutisch mit Kindern und Jugendlichen. Wir verstanden uns auf Anhieb, entdeckten gemeinsame Interessen und begannen viel Freizeit miteinander zu verbringen. Wir saßen oft stundenlang im Park oder den Treppenhäusern der Universitätsgebäude und sprachen über Gott und die Welt. So wurde einmal auch das „Bauchgefühl“ und intuitives Wissen, was richtig und was falsch ist, Thema. Sie erzählte mir, dass gerade Menschen, die in ihrer Kindheit sexualisierte Gewalt erfahren haben, große Schwierigkeiten haben später auf ihre eigene Intuition zu hören und danach zu handeln.
Sie erklärte es mir folgendermaßen:
(Pädophile) Täter, die ein Kind missbrauchen, haben zum einen ein Interesse daran, dass ihre Taten unentdeckt bleiben und versuchen auf der anderen Seite bewusst oder unbewusst ihre Taten vor sich selbst, dem Kind und anderen Außenstehende zu rechtfertigen. So motiviert investieren sie einige Energien in die Manipulation der Wahrnehmung des Kindes und deren Bewertung durch das Kind. Ich behaupte, dass die meisten Kinder, die routinemäßig sexualisierte Gewalt erfahren haben, einige dieser Sätze so oder in abgewandelter Form gehört haben:
Es gefällt dir doch auch.
Du hast mich verführt, ich konnte mir doch überhaupt nicht anders helfen.
Ich tue das doch nur, weil ich dich liebe.
Wenn du nicht so hübsch/ungezogen wärst, müsste ich das doch gar nicht tun.
Alle Väter machen das mit ihren Töchtern.
Was stellst du dich so an? Es hat doch gar nicht weh getan, ich habe dir noch nie weh getan.
Kinder wissen instinktiv, dass diese Sätze unwahr sind. Sie wissen, dass da etwas nicht stimmt, aber genau dieses intuitive Erfassen der eigentlichen Realität und das Hören auf ihr Bauchgefühl wird ihnen Schritt für Schritt abtrainiert. Sie lernen, dass ihre Intuition falsch sein muss und gegenteilig zu handeln, was sie bis ins Erwachsenenalter mit hinein nehmen.
Nach diesem Gespräch hat es bei mir „klick“ gemacht.
Ich habe ein unglaubliches Talent dazu mich mit Menschen zu umgeben, die mir auf Dauer nicht gut tun. Dabei werde ich selten überrascht. Bisher haben sich noch alle anfänglichen Ahnungen und ersten Eindrücke im Nachhinein als richtig herausgestellt, trotzdem höre ich nicht auf sie. Ich entscheide mich oft genau das Gegenteil von dem zu tun, was mein Bauchgefühl mir rät, weil ich glaube zu wissen, dass per Definition nichts von diesem Bauchgefühl richtig sein kann. Ich beginne dann zu rationalisieren, finde tausend vermeintlich logische Gründe mein Handeln vor mir selbst zu rechtfertigen, rede meine Intuition klein, denn ich war ja schon immer überempfindlich und paranoid. Oft genug ist es auch passiert, dass Außenstehende diese meine Rationalisierungsversuche „stützen“. Wenn ich Pech hatte, geschah dies um einen Vorteil für sich herauszuschlagen.
Nun weiß ich ja nicht erst seit gestern, dass ich auf meine Intuitionen hören und danach handeln darf. Ich weiß auch nicht erst seit gestern, dass sie ein recht guter Indikator sind. Ich habe mich nun lange genug selbst beobachtet und kenne meine Selbstmanipulationsversuche. Dennoch kämpfe ich seit Jahren viel zu oft erfolglos gegen dieses Verhaltensmuster und für intuitives Handeln. Jedes Mal, wenn ich es geschafft hatte, wurde ich dafür belohnt und zwar mit den besten Freunden, die ich mir wünschen könnte, einer wunderbaren Partnerschaft und einer tollen Familie. Ich scheine es aber nicht lassen zu können wider besseren Wissen und Gewissen in Situationen und auf Menschen einzusteigen, die mir erheblichen Schaden zufügen.
Da ist nichts mit „Gefahr erkannt – Gefahr gebannt“, dieser Lernprozess, dieser Kampf ist einer der zähsten, die ich auszufechten habe. Der Erfolg stellt sich nur in winzig kleinen Schritten ein.
Und während ich hier schreibe frage ich mich in welche ungesunde Situation ich mich als nächstes hineinmanövriere oder auf welchen Menschen ich als nächstes reinfalle.
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Ich bin gerade ein bisschen Hin und Hergerissen, wie ich nun antworte. Mit: Oh jaaaa das kenne ich! (Stimmt nämlich nicht ganz) oder Mit: Jaaaaa… aber du wirst das ja sehen, irgendann schaffst du das schon (aber das klingt total übergriffig und relativierend- obwohl es auch nicht 100%ig unwahr ist)
Diese Negativkontakte „abzustellen“ oder gar nicht erst einzugehen, hängt ja nicht ausschliesslich mit der Intuition zusammen. Solche Sätze als Kind zu hören und zu spüren, dass sie irgendwie nicht richtig waren (und dann aber nicht ensprechend handeln zu dürfen) ist ja nur ein Faktor.
Das „runterschlucken der eigenen Wahrnehmung“ ist ja ein Verhalten, dass man nicht nur in der Situation „einübt“. Das macht man ja immer wieder bzw. ist dazu gezwungen aus gesellschaftlich absolut akzeptierten Gründen.
Das, was auf die gesagten Sätze folgte (oder im heutigen Alltag in übertragbaren Situationen), ist meiner Meinung nach etwas, dass das Umlernen ganz erheblich erschwert.
Es ist nicht immer von Nachteil für Gesundheit oder Sozialleben oder finanzielle Absicherung ein mieses Bauchgefühl zur Seite zu schieben. Es tut einem vielleicht nicht seelisch gut- aber sozial, physiologisch etc…
Man strebt ja nun irgendwie doch immer nach dem „ganzen Paket“ und wenn man als Kind schon so gut gelernt hat, dass „das seelische Ding“ ruhig vernachlässigt sein kann- wie soll dann so schnell gelernt werden, dass es höher bewertet sein muss?
Wir haben jetzt schon länger keine unguten Kontakte mehr gehabt und ich habe beim Lesen darüber nachgedacht, ob es an höherem Selbst(Seelen-Intuitionsgewichtungs)wert liegt, oder nicht. Die Antwort ist, dass wir auch bis jetzt nur gelernt haben, zu warten bis die Leute von alleine von uns weggehen und auch gar nicht mehr einfach so Kontakte zu machen. Ein Vermeidungstanz im Sozialen sozusagen.
Was ich mit dem ganzen Gebabbel hier sagen wollte ist, dass es nicht allein von der Intuition abhängt, wie lange und ob man mit Menschen, die einem einfach nicht gut tun zusammen ist.
Da steckt noch jede Menge Anderes hinter.
(und ich hoffe, dass du diesen Kommentar nicht irgendwie schief übergriffig aufnimmst- das ist nur so, was ich daneben stellen will. Da heißt nicht, dass es von euch danebengestellt werden muss.)
Viele Grüße
Gebe euch da uneingeschränkt Recht. Die Gründe für das Aufrechterhalten von ungesunden Beziehungsstrukturen sind vielfältig und mangelnde Achtsamkeit ist nur einer davon. Ich kenne bei mir ein gutes Dutzend davon und es gibt bestimmt noch mal genau so viele, die mir noch nicht klar sind.
Entscheidungen nur aufgrund eines Bauchgefühls zu treffen, halte ich für nicht immer sinnvoll. Wie du ja schreibst, es gibt so viele Situationen in denen Entscheidungen bewusster analysiert werden müssen oder in denen persönlich empfundene Vorteile und Erleichterungen zugunsten „höherer“ Werte vernachlässigt werden sollten.
Ich fasse deinen Kommentar überhaupt nicht als übergriffig auf – im Gegenteil. In meinen Augen kann es nie verkehrt sein sich um eine differenziertere Sichtweise zu bemühen und entsprechende Aspekte aufzuzeigen.
In diesem Sinne: vielen Dank 🙂
😀
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