Text eines Partners und Freundes: „Mein Umgang als Angehöriger mit der DIS“

Hier im Blog wird ja vornehmlich die Sicht einer Betroffenen (sprich mir) auf die DIS und die damit einhergehenden Probleme und Hintergründe dargestellt. Ich freue mich daher sehr darüber hier auch den Text eines Partners und Freundes von multiplen Menschen veröffentlichen zu dürfen, der den Umgang mit Betroffenen von seiner Warte aus beschreibt.

Mein Umgang als Angehöriger mit der DIS

Wie die meisten Menschen die in ihrem Leben nie direkt mit dem Thema Missbrauch konfrontiert waren, hatte ich zu Anfangs große Schwierigkeiten mich mit DIS und deren Ursachen auseinander zu setzen. Und weil ich es damals nicht anders wusste, übernahm ich im Umgang mit den Multis die ich kannte die Sichtweise der Betroffenen. Ich behandelte jeden Innie so wie er sich selbst auch wahrnahm: als eigenständig und entsprechend als Kind oder als Erwachsenen und passend zu dem gefühlten Geschlecht.

Im Ergebnis war das allerdings keine so gute Idee, wie ich aber auch erst viele Jahre später realisiert habe. Zum Einen machte ich mir damit letztlich selbst das Leben schwer, denn ein multiples System ist auf höchst effiziente Weise funktional und Betroffene wissen dies zudem auch effektiv zu nutzen, wenngleich dies in der Mehrzahl der Fälle sicher nicht mit bewusster Absicht geschieht sondern instinktiv passiert. Zum Zweiten unterstützt es die Trennung der einzelnen Anteile und nimmt dem Systems die Notwendigkeit ab, selbständige ein gemeinsames Verantwortungsgefühl zu entwickeln.

So als Beispiel: hatte ich mit Person A Streit, verschwand die einfach und Person B tauchte auf, welche von ihrer Sicht aus mit dem ganzen Thema nichts zu tun hatte. Für das System funktioniert das als Ausweichmechanismus prima – für mich leider überhaupt nicht.
Im Übrigen ist man als Freund eines Multis auf diese Weise mehr oder weniger oft in ‚guter Cop, böser Cop‘ Spiele verwickelt. Denn zur Überlebensstrategie vieler Systeme gehört auch das Mittel der Manipulation. Jedenfalls ist das meiner Erfahrung nach so.
Wer in einer Welt aufwächst in der Manipulation allgegenwärtig ist, in einer Welt in der Bedürfnisse im besten Fall ignoriert, im schlimmsten Fall bestraft werden, der sucht eben zwangsläufig eigenen Wege um seine Wünschte zu erreichen. Als gutmütiger oder unerfahrener Freund oder Partner kann man da tatsächlich recht schnell unter die Räder geraten, wenn man sich nicht rechtzeitig genug abgrenzt und selbst schützt.

Wie ich auch erst im Nachhinein bemerkte, hat mir diese oben beschriebene Art des Umgangs mit der DIS überhaupt nicht gut getan und durch verschiedene Umstände hat sich deshalb meine Einstellung inzwischen auch sehr geändert.
Heute behandle ich einen Multi auch nicht mehr anders als ich es mit jedem anderen Menschen tun würde. Ich hatte unlängst mit einer lieben Freundin, selbst Betroffene, ein Gespräch zu genau diesem Thema.
Mir ist durchaus klar, das sich viele Persönlichkeitsanteile subjektiv als eigenständig erleben. Doch wie der Name sich ja nun selbst erklärt ist es ein Persönlichkeitsanteil, also ein Teil eines Ganzen. Und jeder abgespaltene Anteil ist ursprünglich entstanden um ein Bedürfnis zu befriedigen – das Bedürfnis zu Überleben. Und das hat eben nur durch diesen radikalen Mechanismus der Psyche, der Dissoziation und die amnestische Trennung funktioniert.
Dieser Verarbeitungsmechanismus jedenfalls hat den Nebeneffekt, das wenn der eine Anteil etwas tut, dann fühlt sich der andere Anteil dafür oft nicht verantwortlich. Nun entspringen aber beide der gleichen ursprünglichen Psyche und unabhängig davon wie eigenständig sich Einzelner erleben mag, ist und bleibt er doch immer eine Facette vom gesamten System und damit Teil eines jeden anderen. Jeder einzelne Anteil trägt den Charakter des Gesamtsystems in sich und trägt umgekehrt auch zum Charakter des Gesamtsystems bei. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Wenn also ein einzelner Anteil lieb und nett ist und der Rest des Systems das nicht ist, macht das für mich als Außenstehenden keinen Unterschied mehr. Oder als einfaches Beispiel: wenn mich das System mit den Leuten A – F verarscht, dann ist es unerheblich das Kind G nach vorne kommt und wieder lieb mit mir sein will. Aber das funktioniert eben auch umgekehrt: wenn ich mit allen Anteilen eines Systems nur positive Erfahrungen gemacht habe, dann fällt es mir leichter mit Täterintrojekt X umzugehen, bzw. dessen Umgang zu verarbeiten.

Was nun das weiter oben genannte Beispiel für Streitkultur angeht, so lässt es erkennen das sich Multi und Uno grundsätzlich mal gar nicht so sehr voneinander unterscheiden: wenn mir persönlich etwas nicht passt, entweder was ich bin oder das ich tue, dann verdränge ich diesen Aspekt eben einfach – in letzter Zeit kaum noch, früher tat ich das dafür sehr stark. Multi hingegen spaltet vergleichbaren Aspekt in Form eines sich als eigenständig erlebenden Persönlichkeitsanteils, ab. Also tun wir beide nix anderes. Die Bewältigungsstrategie ist im Kern die gleiche.
Der Unterschied liegt nur darin, das ich als Uno sehr viel leichter lernen konnte diese Strategie zu erkennen und ihr entgegen zu wirken. Multi hingegen war gezwungen diesen psychischen Mechanismus ins Extremste zu perfektionieren um überhaupt überleben zu können. Und das lässt sich nicht mal so eben umlernen.

Meine sehr liebe Freundin hat mich nun auch gefragt, bzw. gemeint, das ich aber die Kinder anders behandeln würde als ich es mit den Erwachsenen Anteilen tue. Und nein, das tue ich nicht mehr.
Ich trage sehr wohl der Tatsache Rechnung das sich jeder als eigenständig erlebt und das eben jeder auch für eine Gemütsverfassung oder eine Situation oder anderes steht, oder stehen kann – das er aber nicht eigenständig ist, bleibt für mich deswegen unbestritten.
Heute sehe ich den Wechsel zwischen einzelnen Systemanteilen einfach als ein Mittel oder als Ausdruck des Systems in einer Bestimmte Situation auf adäquate Weise zu (re)agieren. Kommen etwa Kinder nach vorne, kann das systemabhängig z.B. ein Bedürfnis nach Nähe oder auch im Gegenteil, nach Ruhe ausdrücken.
Wenn ich den Einzelnen vor mir habe und entsprechend handle und doch ebenfalls das System als Ganzes sehe, ist das also kein Widerspruch.

Natürlich ist es nicht immer ganz so einfach, denn von allem anderen abgesehen handelt es sich bei einem Multi noch immer um einen traumatisierten Menschen und diesem Aspekt ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings nicht, das ein Multi nun erwarten darf, das sich sein Umfeld deshalb gänzlich und bis zur Selbstaufgabe auf ihn einlässt.
Mit der Einstellung die ich heute zur DIS habe, ist mein Leben mit Vielen um Einiges unkomplizierter geworden. Und das gilt für mich selbst und in gleichem Maße für meine Partnerin. Nach meiner Erfahrung lassen sich auf diese Weise sowohl Missverständnisse besser klären, aber auch Bedürfnisse und Wünsche viel direkter und einfacher ansprechen. Es gelten für alle Beteiligten die selben Regeln und der selbe Bezugsrahmen, unabhängig vom erlebten Alter, Geschlecht oder der persönlichen Weltanschauung.

Manch einem Multi(Anteil) mag es ungerecht oder schwierig erscheinen so behandelt zu werden, denn schließlich ist DIS keine gewählte Lebenseinstellung, sondern eine Überlebensstrategie die für Betroffene auch für die Alltagsbewältigung oft notwendig ist. Und wenn Multi nur diesen einen Umgang mit der Welt kennt, dann ist meine dargelegte Einstellung dem ein oder anderen vielleicht zuwider. Doch um mich hier ganz klar abzugrenzen: darauf einzugehen liegt nicht in meiner Verantwortung. Es ist nicht meine Sache, auch nicht als Freund oder Partner, mit jedem Innie so umzugehen wie der das gerne hätte. Für mich als Außenstehender ist nur der Umgang mit dem System als Ganzes entscheidend und entsprechend werde ich mich auch verhalten. Alles andere liegt beim System, entweder im Umgang mit der Situation oder im Umgang mit sich selbst und seinen Anteilen – Systemverantwortung eben.

Als Angehöriger will ich meine Partnerin natürlich so gut ich kann unterstützen. Und ich habe festgestellt, das dies am besten funktioniert, wenn unser Umgang miteinander so unkompliziert wie irgend möglich ist. Und was soll ich sagen? So wie es jetzt ist, tut uns das beiden und der Beziehung offensichtlich richtig gut ^^

I Ain’t Bovvered

Am I bovvered? Do I look bovvered? Does my face look bovvered? I ain’t bovvered!

(Catherine Tate als „Lauren Cooper“)

Erst letzte Woche hielt mir mein Hausarzt einen Vortrag über die Sinnhaftigkeit von Psychohygiene. Aus ihm sprach der Frust von Jahrzehnten. Er hat ja recht. Psychosomatische Erkrankungen sind heutzutage der vorherrschende Grund für Arbeitsunfähigkeit. Auch Allgemeinmediziner werden notgedrungen immer öfter mit psychischen Störungen konfrontiert.

Als mein lieber Hausarzt dann begann seinen Monolog zu halten und sämtliches Geschehen um sich auszublenden, hatte ich etwas Schwierigkeiten weiter lächelnd und nickend auf meinen Stuhl sitzen zu bleiben. „Was glaubt denn dieser Laie mir bahnbrechend Neues erzählen zu können?“ dachte es in mir. Die eigene unwillkürliche Arroganz erschreckt mich doch immer wieder. Also sammelte ich mich wieder und bemühte mich weiter seinen Ausführungen zu folgen. Insgesamt war da wenig, was auf mich zutraf, aber an einem Punkt blieb ich doch hängen. Psychohygiene ist unerlässlich.

Ich gehöre ja nun in die Kategorie Menschen, die man getrost als „therapieerfahren“ bezeichnen kann. Es gibt wenige Interventionen und Konzepte, mit denen ich mich noch nicht auseinandergesetzt habe. Eigentlich könnte man meinen ich habe immer alles im Griff, handle und fühle immer bewusst. Wie betriebsblind ich geworden war ist mir allerdings erst dort in der Praxis meines Hausarztes klargeworden – nicht zuletzt, weil „mir kannst du sowieso nichts Neues erzählen“ meine erste Reaktion war.

Aber *puh* der Gute hat nicht ganz Unrecht, was das Thema Psychohygiene betrifft. Das kam hier arg ins Hintertreffen. Stressoren waren mannigfaltig und omnipräsent. Ohne es bewusst wahrzunehmen hab ich mich vereinnahmen lassen. I was bothered. Definitely.

Und so begann ich mit einer Bestandsaufnahme. Eberhard Schomburg formulierte acht Lebensgrundbedürfnisse, „Liebe, Sicherheit, Anerkennung, Bestätigung, Erfolgserlebnisse, Raum zu freiem schöpferischen Tun, Erlebnisse mit Erinnerungswert und Selbstachtung“. Die Psychohygiene strebt danach diese Bedürfnisse zu erreichen und zu erhalten.

  • Liebe. Check. Das, was mich hier im Leben hält. Ich darf lieben und noch unfassbarer: ich werde zurückgeliebt. Ich habe einen wunderbaren Mann, der meine Vorstellungen von Partnerschaft teilt, mit dem ich offen über alles reden kann. Ich habe Freunde, die mir sehr nahe stehen. Auch da ist Liebe. Wenn ich an diese geliebten Menschen denke, fühle ich mich wirklich gesegnet.
  • Sicherheit. Ein deutlich schwierigeres Thema. Meine Paranoia ist nicht nur wahnhaftes Erleben, die kommt nicht von ungefähr. Für Sicherheit vor den Zugriffen meiner Herkunftsfamilie und dem organisierten Täterkreis haben wir lange gekämpft und wir schaffen es Schritt für Schritt und innerlich und äußerlich zu lösen. Wir haben ein soziales Netz, wir leben nicht mehr alleine, wir können nicht mehr „einfach so“ verschwinden. In den letzten Monaten haben wir erneut lernen müssen, dass es wichtig ist darauf zu achten wem man vertraut. Es gibt eben doch Menschen, die ohne groß zu zögern sensible Informationen gegen einen benutzen und wenn das nicht zieht, dann einfach was erfinden. Wir haben uns wieder verstricken lassen, Ängste, Schlafstörungen, depressive Episoden und Somatisierung waren die Folgen. Wir gehen diese Probleme an, halten Rücksprache mit unseren Nächsten, ziehen uns aus Situationen, die uns nicht gut tun.
  • Anerkennung, Bestätigung, Erfolgserlebnisse. Noch eine Baustelle. Aktuell gibt es eindeutig zu wenig Erfolgserlebnisse. Aber ich arbeite daran, wir arbeiten daran. Es stehen Veränderungen an, gerade was das berufliche betrifft. Wir brauchen das. Anerkennung unserer akademischen Leistungen, Erfolge im Job, Bestätigung durch Kollegen und Vorgesetzte haben hier immer eine enorme Stabilität gebracht. Wir fühlen uns dann nicht beschädigt, behindert und gestört, sondern als Teil der Gemeinschaft.
  • Raum zu freiem schöpferischen Tun. Die Notwendigkeit des schöpferischen Ausdrucks wird oft verkannt. Schlimmer noch: kreative Betätigungen gelten gern als Zeitverschwendung. Es gibt ja Wichtigeres. Selbst in unseren Schulen sind Inhalte wie Kunst, Musik, Tanz, freies Schreiben am ehesten von Kürzungen betroffen. Ich bin im Alltag meist keinen Deut besser. Ich habe so viele Möglichkeiten, um mich auzudrücken. Ich liebe es mit meinen Händen zu arbeiten, ich liebe Musik und kenne die heilende Wirkung des „Schöfpens“. Mit meiner Antriebslosigkeit nehme ich mir aber so viel und gerate in einen Teufelskreis, aus dem ich nur ausbrechen kann, wenn ich mir immer wieder bewusst mache, wie wichtig es ist die eigene Kreativität auszuleben. Ich muss nicht gleich eine meterhohe Marmorstatue schaffen. Im Alltag bleibt genügend Raum für größere und kleinere Projekte. Mal wieder jammen, mit Kindern ein Lego-Raumschiff bauen, ein Fensterbild oder ein Gedicht schreiben. Es gibt so viele Möglichkeiten zum Ausdruck. Die eigene Psyche dankt’s einem.
  • Erlebnisse mit Erinnerungswert. Check. Ein Essen mit Freunden, bei denen sein darf wie man ist oder über die guten alten Zeiten plaudern kann, ein Ausflug, den ersten Schnee begrüßen… die Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die Erinnerungen an positive Erlebnisse bleiben und sind ein Licht in der Dunkelheit, wenn wieder alles über einem zusammenzustürzen scheint.
  • Selbstachtung. In Ordnung. Da reden wir ein anderes Mal drüber. Alles, was wir da gerade tun können, ist und von uns selbst nicht allzu arg zerfleischen lassen, sich nicht immer wieder plagen. Baustelle.

Mit der Bestandsaufnahme, motiviert durch den Hausarzt, wurde uns auch klar, dass wir in letzter Zeit zu wenig haben distanzieren können. We were bothered. Das führte dazu, dass Sicherheit und Selbstachtung wieder stärker zu einem Problem wurden. Drum der Versuch einer neuen Haltung. Ich lass mich nicht weiter blockieren.

I won’t be bovvered