Achso, ähh… stimmt ja, da war doch noch die Therapeutensuche

…mit der ich euch hier im Blog nun zum dritten Mal nerven werden. Ich muss dazu in den eigenen Artikeln spicken, denn so sinnvoll das Anonymisieren der beteiligten Personen sein mag, so unübersichtlich ist mir das gerade.

Hier ließ ich mich bereits über meinen Frust aus, hier… auch – aber beschrieb, wie ich mein Säckerl schnürte um auszog (mal wieder) der hiesigen Therapeutenlandschaft das fürchten zu lehren.

Reale Kontakte (dazu gehören keine Anrufbeantworter *grusel*) konnte ich nur, wie schon vorher der Fall mit Herrn Amudsen, nun auch mit Frau Brecht und Herrn Dr. Crumbiegel, wobei sich der Kontakt mit letzterem nur auf Telefonate und einige Mails beschränkte.

Herr Dr. Crumbiegel wäre für diese Stadt meine Präferenz. Er hat mit Abstand die meiste Erfahrung in der Behandlung von Patienten mit DIS mit einem Hintergrund von organisierter, bwz. ritueller Gewalt. Wir hatten das Glück, dass wir ihn nach einiger Beharrlichkeit tatsächlich persönlich an den Hörer bekamen. Wir erzählten von unserer Situation, stellten fest, dass er sich sogar noch an uns erinnern konnte (wir hatten vor mittlerweile 8 Jahren in anderen Zusammenhängen Kontakt) und er schilderte uns im Gegenzug seine gegenwärtige Position. Er führt keine Wartelisten mehr, da der Verwaltungsaufwand für ihn Formen annahm, die ihm Zeit nahm, die er lieber seinen Patienten widmen würde. Seine Vorgehensweise: Wer zuerst kommt malt zuerst. Er sagte mir den Zeitraum, wann er wieder einen freien Platz erwartet und ich kündigte ihm an, dass er ab dann täglich mein liebliches Stimmchen von seinem AB trällern hören wird. Wir witzelten beide noch ein wenig darüber und beendeten das Gespräch.

Bei mir hinterließ es den Gefühl jetzt in einem Wettrennen zu sein, jedenfalls so lange, bis mir aufging, dass die Suche nach einem Traumatherapeuten ein Wettrennen in sich ist.

Natürlich verzögerte sich der Termin für den freien Platz und wie mein Schicksal es so will, fiel Herrn Dr. Crumbiegel auch noch ein, dass es sich dabei nicht um eine Stelle für DIS-Patienten handeln würde, da könne er nicht absehen, wann ein Platz frei wird. Er bat um Verständnis, denn auch er müsse mit seinen Kräften und Ressourcen Haushalten und der Himmel weiß, dass ich das habe. Ich weiß wie sehr „unsereins“ (die einen mehr, die anderen weniger) von Therapeuten einen Neuaufbau des Weltbildes fordern, wie sehr die Kommunikation ein ständiger Eiertanz ist, wie viel projeziert wird, wie schwer es ist ein gewisses Grundvertrauen für eine sinnhafte Arbeit aufzubauen und wie oft dieses Vertrauen durch Provokationen getestet wird. Kurzum „Multis“ sind echt anstrengend. Ständig wechselnde innere Haltung, „Vibes“, „Energien“, Stimmungen – nenn‘ es wie es in dein Weltbild passt – können im Ergebnis für den Therapeuten auch gerne mal einem 10 Stunden Tag auf’m Bau in der prallen Sonne ähneln. Kurz gesagt: ich versteh den armen Mann. Milde Frustration machte sich jedoch in mir breit denn wir hatten im ersten Gespräch ja schon sehr deutlich geklärt, dass eine DIS vorliegt und er stellte auch allerhand Fragen dazu, dem Hintergrund, Vorbehandlung etc.pp., aber wie er ja deutlich betonte, er ist auch nur ein Mensch (und ich will nicht wissen, wie sein Schreibtisch aussieht und ob er einen Anrufbeantworter mit einer 2 TB großen Festplatte ausgestattet ist), kest la fife, wie der Franzose sagt.

Allerdings verwies er mich an eine Psychiatrische Institutsambulanz in der Nachbarstadt, da ich dort, wenn auch nicht regelmäßig, so aber doch von traumatherapieerfahrenem Personal betreut werden könne.

Schockierend aber wahr: Ich bekam dort schneller einen Termin als ich hätte Quidditch sagen können, auch wenn sich herausstellte, dass das mit dem traumatherapieerfahrenen Personal niiiiiiicht so ganz der Realität entspricht, aber offene und freundliche Menschen, sind mir dort begegnet und ich habe in jedem Fall eine Anlaufstelle, auch Fachärztlich (was eine andere Geschichte ist, zu der ein fast fertiger Artikel seit 5 Monaten in meinen Entwürfen mit vielen, vielen Freunden vor sich hinlungert) und „meine“ Therapeutin dort bemüht sich sehr mich bei „passenden“ Kollegen unterzubringen, da einige wenige doch über entsprechende Ausbildung und Erfahrung mit traumatisierten Patienten verfügen, falls sich in der Zusammenarbeit zu viele Fragen auftürmen würden, sich Überforderung einstellt, etc.

Mit Frau Brecht hatte ich zwischenzeitlich auch ein Erstgespräch. Nachdem sie mich beim ersten Telefonat mit ihr recht schnell abwürgen wollte, denn bei ihr würden vor Ende nächsten Jahres ohnehin keine Termine frei werden, sagte ich zu meiner inneren Höflichkeit (die in unserem System besonders durch die Innenperson Heide vertreten ist): „L%&§ mich!!!“, fiel der guten Frau ins Wort und erörterte im zugegebenermaßen nicht sachlichsten aller Tonfälle meine Odyssee. Als sie mir Namen anderer Therapeuten in der Stadt nannte, erzählte ich ihr, dass genau diese mich immer wieder zu ihr schickten – und oh Wunder: noch im gleichen Monat hatte ich einen Termin für ein Erstgespräch.

Nun ja… was soll ich sagen… you can’t get the jungle out of the tiger und Tiefenpsychologe/Analytiker bleibt Tiefenpsychologe/Analytiker, besonders, wenn er schon Jahrzehnte in seinem Beruf gearbeitet hat. Ich hatte leider nicht die Möglichkeit die meisten meiner Fragen zu klären, aber es wird wohl mindestens noch ein 2. Gespräch mit ihr geben. Wir haben glaube ich grundlegende Differenzen in der Weltanschauung und ich rechne es uns beiden hoch an, dass nicht sofort geblockt wird, sondern man den anderen etwas näher beschnuppern möchte.

Fazit: Ich weite meinen Suchradius um einige Kilometer aus.

…und wenn ich mir nun doch einen Therapeuten suche?

Eine Ebene meines Selbst hat mit dem Thema endgültig abgeschlossen. Uns therapeutisch Hilfe zu suchen war – wenn es nicht kläglich scheiterte – selten so hilfreich, dass ich sagen würde die Kosten, die die Krankassen dadurch haben rentieren sich. In dem Artikel „Therapie oder nicht Therapie; das scheint hier die Frage“ sind wir schon einen kleinen Teil unsere persönlichen Frustes losgeworden. Das Lesen der Blogs der Mosaiksteinchen, Rosenblätter und Paulines konfrontiert und auch im Außen mit Themen, die innerlich täglich gewälzt werden. Auch hier bin ich wieder dankbar für dieses Blogphänomen. Es regt ungemein zum Denken an, man experimentiert für sich im stillen Kämmerlein, man lässt Hoffnungen wachsen.

Und ich? Ich schäme mich. Denn ich möchte das nicht mehr alleine durchstehen. Ja, verdammt noch mal, ich wünsche mir eine/n Therapeuten/in, der/die bereit wäre mit uns all die Probleme anzugehen, die es uns nicht erlauben ein größtenteils unbeschwertes Leben zu führen.

Ja, wir können ja schon so viel. Wir sind als System ja schon so unglaublich integriert, weil wir eine teilweise Co-Bewusstheit geschaffen haben und so furchtbar normal aussehen (das ist kein WITZ, so traurig das auch ist, so messen moderne Gutachter und Therapeuten „Erfolg“).

Und nein, wir brauchen keinen der uns imaginative Stabilisierungsübungen beibringt. Da die selten ihren Zweck erfüllten, haben wir unsere eigenen erfunden. Funktioniert.

Und jetzt?

Stabilisierung ist das weiteste, was selbsternannte Traumatherapeuten bereit sind zu gehen.

Ich wurde Zeuge von Therapeuten mit Therapien, die auf Menschen mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstruktur abgestimmt war, Zeuge davon, dass sich nicht jeder von Klienten mit einem Hintergrund in organisierter Gewalt oder bekannten destruktiven Sekten abschrecken lässt.

Die lies in mir den Wunsch erstarken auch so etwas haben zu wollen. Wie angemessen das ist, kann ich nicht beurteilen. Logische Überlegungen sagen mir, dass ich eine geringe Chance habe, da ich nur einige wenige Therapeuten eines solchen Kalibers in der Nähe habe. Die alte Denkweise, die das meiste meines Bewusstseins ausfüllt, weil sie einfach überall ist sagt mir:

Du Dummerchen. Hast du noch immer nichts gelernt? Du hast den größten Fehler überhaupt begangen: Du wünscht es dir. Du weißt doch, dass alles, was du dir wünschst, für dich in unerreichbare Ferne rückt. Schau nicht mich so trotzig an, schau dir dein Leben an, die letzten Jahre reichen. Nun blick mir in die Augen und sage ich habe unrecht.

Nein Erfolg erwarte ich nicht, aber ich habe ein Fünkchen Hoffnung, dass irgendwann dieser Fluch, der sich über unser gesamtes Leben legt durchbrochen wird, nur für einen kurzen Moment. Hoffnung soll ja allen Qualen trotzen (THX Mosaiksteinchen)

Ich tu es jetzt einfach. Es kann ja nur schief gehen und mein Frust wird dabei kaum vergrößert.Ich versuche unterzukommen, denn ich möchte Hilfe mit den Sachen, die mir alleine über den Kopf wachsen. Es sind sehr erfahrene Therapeuten dabei, ich hatte das Privileg in der Vergangenheit in meist anderen Zusammenhängen gute Gespräche mit ihnen zu führen.

So hab ich Santa gespielt und mir eine Liste gemacht. Die ließ sich schnell ausdünnen. Übrig geblieben sind 5 Therapeuten im Umland. Zwei kenne ich bereits ein wenig und dass der eine sich noch an mich erinnert hat uns doch etwas gut getan, zumal der letzte Kontakt (anderer Zusammenhang) über acht Jahre her ist.

[Namen natürlich wie immer geändert]

Wir haben da den Therapeuten Christoph Amundsen. Wir hatten das Glück sehr schnell ein Vorstellungsgespräch bei ihm zu ergattern. Es befremdete ihn in der Anamnese zunächst, dass wir wohl mit einer relativ stoischen Geduld über Jahre hinweg immer wieder auf der Suche nach einer hilfreichen Therapie sind. Schien ihm noch nie untergekommen – was uns etwas befremdete, aber das passiert, wenn man vergisst nicht von sich auf andere zu schließen. Er ist ein älterer Mann, eine gewisse Lebenserfahrung setzen wir hier voraus aber es zeigte sich schnell, dass er mit unserem Hintergrund insgesamt vollkommen überfordert wäre. Er nahm uns dennoch auf seine Warteliste auf, die laut seinen Aussagen und Entschuldigungen sehr lang sei – wir finden ein Jahr im Vergleich wirklich Kindergeburtstag.

Herr Amundsen verwies mich in unserem gemeinsamen Gespräch an eine Frau Christine Brecht und bot an, dass ich ihn dort als Referenz angeben dürfe. Frau Brecht interessiert mich sehr. Sie nutzt Methoden in der Traumatherapie, die uns zum einen neu sind und zum anderen sehr danach klingen auf uns zu passen. Sie ist Analytikerin und würde so abrechnen. Ist etwas organisatorisches aber ein definitiver Bonus. Ich hoffe sehr, diese Frau bald kennenzulernen

Herr Amundsen empfiehlt mir genauso wie Frau Bender, die ich aus anderen Gründen einige Wochen zuvor besuchte, einen gewissen Herrn Dr. Richard Crumbiegel. Für uns nichts neues, wie kennen ihn ein wenig, halten seine therapeutische Arbeit für effizient und wir geben zu, dass wir mehr als Glück brauchen um den nächsten freien Termin zu ergattern. Wir sind ja überhaupt froh, dass er im Moment Patienten aufnimmt.

Als wir vor vielen Jahren schon einmal suchten, verwies er uns an seine Kollegin Cornelia Degen. Wir mochten sie auf Anhieb und hatten auch das Gefühl, sie würde und genügend hart rannehmen und auch über das nötige Hintergrundwissen verfügen. Wir haben bereits fast 2 Jahre auf ihrer Warteliste verbracht, bevor wir die Entscheidung trafen und mit einer weniger geschulten Therapeutin zu arbeiten. Wir würden gerne mit ihr arbeiten, wenn wir es nicht schaffen bei Dr. Crumbiegel unterzukommen und da wir sie bereits kennen, würden wir auch den weiteren Weg in Kauf nehmen.

Es gibt noch Sabrina Ebermann, allerdings wissen wir noch nicht viel über diese Therapeutin. Wir lassen uns überraschen.

Ja, ICH hoffe auf eine angemessene Therapie. Ich muss lernen meinen Frust beiseite zu schieben, sonst ist alles zum scheitern verurteilt

Orpheus ohne Rückfahrschein

Als mir bewusst wurde, dass das, was ich seit meiner Kindheit erleb(t)e Gewalt und Missbrauch ist (es mag paradox klingen, ich kannte die Begriffe, wusste, was dazu im Wörterbuch stand, konnte sie aber lange nicht mit dem, was ich erlebte, in Verbindung bringen), fiel es mir noch schwer die Folgen für mich in meinem Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln zu erkennen.

Ich lernte dann, dass das, was ich erfahren hatte, traumatisierend war. Ich lernte den Begriff Psychotrauma und erfuhr von Ärzten, dass ich offenbar unter einem solchen litt. Man erklärte mir dazu kaum etwas, aber ich habe mein Graecum und wusste, dass „Psychotrauma“ übersetzt in etwa „Verletzung der Seele“ bedeutet. Eine Vertraute schickte mir ein Selbsthilfebuch aus dem ich lernte, was es bedeuten kann traumatisiert zu sein. Ich lernte, dass viele meiner Verhaltensweisen, Gefühle und meiner Denkmuster Folgen der erlittenen Gewalt und dem Aufwachsen in einer dysfunktionalen Familienstruktur waren. Bis dahin war ich der Meinung dass ich so war, wie ich bin, weil ich einfach schlecht war. Ängste, Zwänge, Tics und Anfälle waren für mich Zeichen, dass ich wohl einfach mit einem „minderwertigen“ Gehirn geboren worden war, Depressionen ein Zeichen von Faulheit, scheinbar irrationale Verhaltensweisen ein Zeichen für Dummheit und die furchtbaren Bilder in meinem Kopf, die mich Tag und Nacht quälten zeigten doch nur zu deutlich, dass ich zu all dem anderen offenbar auch verrückt und wahnsinnig war.

Schnittwunden kann man nähen, Abszesse kann man eröffnen und gebrochene Knochen lassen sich schienen. Wenn sich körperliche Wunden heilen lassen, dann muss es doch auch Wege geben die seelischen zu heilen. Das schien mir logisch und ich machte mich auf den Weg der Heilung. Ich suchte mir neue therapeutische Unterstützung, kaufte Bücher, lieh Fachartikel, ging in Selbsthilfegruppen, denn ich wollte wissen, was auf mich zukommen sollte.

Immer wieder hörte ich, dass ich noch einmal zurück in die Hölle müsse, mich meinen Dämonen stellen, sie mir betrachten, sie mir bewusst machen, um dann gestärkt, genesen, integriert wieder zurückzukehren.

Ich schnürte meine feuerfesten Wanderschuhe und stieg hinab.

Wie bei fast allen neuen Wegen, die ich beschreite, begleitete mich eine Naivität, die dem härtesten Rocker die Milch einschießen lässt, und ein merkwürdiger Optimismus, der nur Kopfschütteln verdient hat. Dass ich dennoch Panik schob, ist für mich kein Widerspruch. Wie schlimm konnte es schon sein sich mental in die Hölle zu wagen und die Dämonen betrachten, wenn man mit dem ganzen Rest seines Seins noch immer in ihren Tiefen feststeckte.

Auf der Reise stellte ich fest, dass die von mir betretene Unterwelt aus Ebenen oder Schichten bestand, wie eine Zwiebel oder die Höllenkreise aus Dantes Inferno. Nur unterschieden sich die Kreise, die ich nach und nach betrat, nicht darin, wer dort gepeinigt wurde, sondern darin, was ich erneut und doch ganz anders zu erleben hatte.

Ich pflegte stets zu sagen, dass es nicht so schwer sein würde sich mit mir und meinem Hintergrund auseinanderzusetzen, schließlich sei das Schlimmste die Gewalt und der Missbrauch selbst gewesen. Je tiefer ich aber in die Abgründe meiner Herkunft und meines bisherigen Lebens eintauchte, desto klarer wurde mir, dass dieser Glaubenssatz, an den ich mich wie eine Ertrinkende klammerte, nicht der Realität entspricht. Was zu stimmen scheint ist, dass mir jetzt weniger Schaden zugefügt wird. Es werden nicht konstant neue Wunden geschlagen. Es tut aber nicht weniger weh. Auf eine ganz bestimmte Weise ist es schlimmer. Während ich aufwuchs und solange ich noch körperlich in den destruktiven Strukturen meiner Familie und der RiGaG feststeckte wurde alles, was ich dort erlebte – Dissoziation sei Dank – in kleine, feine Päckchen aufgeteilt und getrennt voneinander in meinen Hirnwindungen abgespeichert. Nun aber soll oder will ich verarbeiten. Was das bedeutet wird mir mit jedem Schritt, den ich wage, klarer. Einer der ersten Therapeuten, die ich aufsuchte, sagte mir ich müsse über das, was mir widerfahren ist, reden. Wenn ich das täte, wäre ich geheilt. Aus der multiplen Persönlichkeit würde automatisch eine einzige, ganze, unbelastete Person werden, wenn ich alles ausspreche.

Die Dinge beim Namen zu nennen ist ein wichtiger Schritt, aber nach meiner Erfahrung nicht alles und auch nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Es ist schwer jemanden zu finden, der sich das, was man zu sagen hätte, anhören kann und will. Der erwähnte Therapeut stellte nach kurzer Zeit fest, dass er sich den Inhalten nicht gewachsen fühlt und damit war er auch nur einer in einer langen Reihe Ärzten und Therapeuten in ambulanten und stationären Settings, die mir rieten doch endlich über die Traumatisierungen zu sprechen – aber bitte woanders.

Fall man doch das Glück hat einen Ort zu finden, wo man aussprechen dürfte, was einem auf der Seele brennt und was einen so sehr geprägt hat, dann finden sich noch genügend innere Barrieren, die das zu verhindern wissen. Oft kennt man keine Worte, die annähernd beschreiben könnten, was man erlebt hat. Man hat ja nie darüber geredet. Es fehlt das Vokabular, denn vieles findet keine Entsprechungen im normalen Alltag. Zudem ist man lange darauf trainiert worden niemals auszusprechen, was hinter den verschlossenen Türen vor sich geht. Man muss kreativ werden, um diese Schweigegebote zu umgehen, viel Geduld mitbringen und Vertrauen lernen, um sie zu durchbrechen.

Reden ist wichtig um sich die Gründe für das Trauma bewusst zu machen. Reden allein ist aber nicht der ganze Verarbeitungsprozess, es kann ihn lediglich auslösen oder ein Teil von ihm sein. Will ich „heilen“, das Trauma integrieren, muss ich das, was dissoziiert wurde, re-assoziieren. Was abgespalten wurde, muss wieder zusammengesetzt werden. Eine Erinnerung besteht aus verschiedenen Ebenen, (Körper)Empfindung, Emotion, Fakten, Bilder und Bedeutung des Geschehenen. Bei dissoziierten Erinnerungen an traumatische Erlebnisse sind diese Ebenen voneinander getrennt. Zu einigen Erlebnissen habe ich nur einige Bilder, weiß aber nicht was eigentlich passiert ist. Getrennt davon sind Emotionen, Empfindungen oder das Faktenwissen. Bei uns ist es aufgrund der dissoziativen Persönlichkeitsstruktur so, dass die Ebenen dieser Erinnerungen auf verschiedene Personen verteilt sind. Eine empfindet immer wieder starke Schmerzen in den Fingerkuppen, ohne zu wissen warum. Eine zweite Person sieht vor sich Bilder von einer fixierten Hand und einer Zange, die an einem Fingernagel ansetzt. Eine dritte weiß, dass ihr die Fingernägel gezogen wurden und wieder jemand anderes weiß, dass dies getan wurde um für ein ganz bestimmtes Fehlverhalten zu bestrafen. Hass auf die Täter, Scham, weil man bestraft werden musste oder der Ekel vor den eigenen blutverschmierten Fingern werden von weiteren Innenpersonen getragen.

Man dissoziiert das Erleben, weil alle Aspekte auf einmal in dem Moment zu viel für die Psyche sind. Für uns stellt sich immer wieder die Frage, ob wir eigentlich vollkommen wahnsinnig geworden sind, wenn wir versuchen ein Ereignis mit all dem, was einzelne von uns dazu beitragen konnten, zu rekonstruieren. Gefoltert zu werden und zu dissoziieren ist leichter als alle Aspekte dieses Ereignisses auf einmal zu erleben. Es zerreißt einen förmlich, wenn man die Schmerzen spürt, das Gesicht des Täters vor sich sieht, durchgeschüttelt von widersprüchlichen Gefühlen und alles in dem Wissen, dass es hier keinen tieferen Sinn zu finden gibt. Warum hat er das getan? Weil er’s kann.

Je länger ich mich auf dieser Reise in meine Unterwelt befinde, je tiefer ich vordringe, umso deutlicher wird, dass mein halb gescherztes Motto „einmal Hölle und zurück, bitte“ nicht mehr ist als das – nämlich halb gescherzt. Es gibt kein Zurück. Nach all dem, was ich gesehen, gefühlt, erkannt habe kann ich nicht zurück. Zurück bedeutet zurück zum Leugnen, zurück zum abgespalten Leben, zurück zum verzweifelten Versuch wenigstens einen Anschein von Normalität zu schaffen. Selbst wenn ich das wollen würde (und noch gibt es immer wieder Phasen, in denen ich mir das wünsche), ich könnte es nicht, egal wie sehr ich mich anstrengen mag.

Es bleibt mir nur tiefer in die Hölle einzudringen, bis ganz auf den Grund und dann noch ein Stück tiefer, immer in der Hoffnung, dass sich ganz weit unten ein neuer Ausgang verbirgt.

Text eines Partners und Freundes: Der Missbrauch und die Gewalt

Auf besonderen Wunsch und Anregung hin hat der Freund und Partner, der den letzten Text verfasst hat auch seine Gedanken zu seinem Umgang mit den Hintergründen und Erfahrungen von Betroffenen von sexualisierter/organisierter/ritueller Gewalt formuliert.

Der Missbrauch und die Gewalt

Das ist ein sehr sehr schwieriges Thema und ich kann hier auch nur für mich selbst sprechen, denn ich habe mich nie mit anderen Angehörigen ausgetauscht.

Es fällt mir sehr schwer mich mit dem ganzen Themenkomplex Vergewaltigung, Folter Kindesmissbrauch und -prostitution auseinander zu setzen, zu wissen das es Menschen im eigenen Umfeld, Freunden so ergangen ist und das der Mensch den ich liebe das erlebt hat. Der Gedanke an die Täter, die noch immer frei herumlaufen und bisher ungeschoren blieben kommt ebenfalls dazu.

Ich bin in einem eher konventionellen Elternhaus aufgewachsen. Gewalt gab es da nicht. Als Kind habe ich nur bin wenigen Situationen den Hintern versohlt bekommen – und bei jeder dieser Gelegenheiten hatte ich mir das redlich verdient. Schläge ins Gesicht oder das Hauen mit Hilfsmitteln, das kam nicht vor. Meine Eltern waren relativ liebevoll und erzogen mich und meine Geschwister zu Anstand, Ehrlichkeit, Fleiß und Respekt.
Soweit ich das beurteilen kann, gab es auch in keinem anderen Familienzweig mit dem ich zu tun hatte irgendwelche häusliche Gewalt. Meine Kindheit war also recht behütet.

Als ich vor ca.10 Jahren erstmalig mit DIS und deren Ursachen konfrontiert wurde, hat das meine Welt nachhaltig erschüttert. Mir war schon klar gewesen das es böse Menschen und böse Taten gab. Ich habe im Laufe meines Lebens viele Mädchen und Frauen kennen gelernt die sexuelle Übergriffe erlebt hatten. Das Ausmaß an Gewalt und Perversion allerdings mit dem ich konfrontiert wurde, als ich in die Forenszene der Missbrauchsüberlebenden und Multis eintrat, übertraf jedes für mich erfassbare Maß. Ich habe damals meine Unschuld und Naivität, was unsere Welt und unseren Staat betrifft, für immer verloren.

Obwohl ich seither viele Schilderungen von Überlebenden gelesen und gehört habe, kann ich nicht sagen das sich bei mir eine Gewöhnung oder eine nennenswerte Desensibilisierung eingestellt hätte.
Jede Erzählung solcher Gräuel löst noch immer die gleichen Reaktionen bei mir aus: Übelkeit und Ekel vor den Tätern, Unglaube über soviel Unmenschlichkeit, der Wunsch jeden Perversen, Kinderschänder oder Vergewaltiger zu verfolgen und zu töten, Hilflosigkeit und Trauer. Manchmal auch würde ich zu gerne bei jenen Tätern vorbei fahren, von denen ich weiß wo sie zu finden sind. Allein aufgrund des Wunsches der Betroffenen tue ich das nicht.
Ich trage oft eine große Wut und manchmal auch große Angst in mir und ich weiß nicht wo ich damit hin soll. Mir fehlt jedes Verständnis für Menschen die freiwillig anderen, vor allem unschuldigen Kindern, solche Abscheulichkeiten antun. Das sind in meinen Augen keine Menschen mehr die irgendwelche Rechte hätten. Denn Menschenrechte hat nur wer sie auch bei anderen achtet.
Es gibt auch Phasen in denen ich mir Wünsche, ich hätte all dies nie erfahren, nie von dieser Welt der abartigen Gewalt gehört, Phasen in denen ich mir meine Unschuld zurück wünsche.
Deshalb habe ich immer wieder Zeiten da ich mich seelisch und geistig von alle dem distanzieren muss, einfach weil es mir zu viel wird, Ruhephasen ohne Gespräche über die Vergangenheit oder deren Folgen. Manchmal muss ich mich von alle dem fernhalten, weil ich es nicht ertragen kann.
Meine Toleranz was die Verarbeitung all dieser Dinge betrifft, ist sehr niedrig da ich früher in meinem Leben nie lernen musste mit diesen Formen der Gewalt, vor allem in diesem Ausmaß, um zu gehen. Vielleicht bin ich auch nur ein Sensibelchen, inzwischen habe ich vermutlich selbst kein objektives Bild mehr.

Als Freund und Angehöriger kann es schnell passieren das man sich seelisch zu tief in den Kaninchenbau wagt und in Folge dessen cotraumatisiert wird. Ich kann deshalb durchaus auch verstehen wenn es immer wieder Menschen gibt, die nicht damit zurecht kommen und den Umgang mit den Betroffenen meiden – einfach weil sie es nicht ertragen.
Sich selbst zu schützen ist zwar eine Sache, das ganze Thema deshalb totzuschweigen und damit die Betroffenen alleine zu lassen ist für mich jedoch nicht akzeptabel. Wenn man ein Verbrechen nicht öffentlich macht und sei es nur im Freundeskreis oder unter anderen Betroffenen, dann ist dass so als wäre es nie passiert – und nach meinem Verständnis der Welt darf das nicht sein.

Mir ist bewusst welche Gewalt meiner Partnerin angetan wurde, ich weiß wie sie aufgewachsen ist und in was für einer ‚Familie‘ sie ‚erzogen‘ wurde. Ich kann die Spuren des Missbrauchs sehen.
Einen Umgang mit ihrer Gewaltvergangenheit, oder der meiner betroffenen Freunde habe ich selbst nach so vielen Jahren noch nicht gefunden.
Meine Lebensgefährtin sehe ich jedenfalls nicht als ‚das Opfer‘. Heute ist sie der Mensch der sie eben heute ist. Ich kann ihre Vergangenheit nicht wieder gut machen, ich kann jedoch versuchen sie in der Bewältigung zu unterstützen und ein Leben mit ihr zu Leben das nun frei von all diesen Dingen ist.
Nichts an ihr stößt mich nichts ab, ganz im Gegenteil von Körper und Seele her würde ich sie nicht einmal ein kleines bisschen anders haben wollen. Und keine noch so detaillierte Schilderung von Ekeltraining oder Vergewaltigung kann daran etwas ändern. Sie ist nicht das Verbrechen, das ihr angetan wurde. Ich sehe und fühle die Narben, und ja, es ist mir stets bewusst woher sie kommen und ich weiß auch teilweise wie sie entstanden sind. Das lässt sich aber nicht mehr ändern. Das Blut, das fremde Sperma, der Kot und Urin und all der andere Dreck sind abgewaschen, nichts ist davon mehr zu sehen, zu fühlen oder zu riechen.
Was noch übrig ist, ist die Frau die ich liebe, so wie sie ist, als System, mit allen und allem was zu ihr gehört.
Die Täter und die Taten stoßen mich ab – nicht der Mensch dem das angetan wurde.

Was einen laufenden Täterkontakt angeht habe ich allerdings eine Nulltoleranz.
Solange ich Partner und Angehöriger bin, kann und werde ich das nicht tolerieren. Damit könnte ich im übrigen auch gar nicht umgehen. Da gibt es weder eine Grauzone noch einen Kompromiss. Sollte ich mich damit konfrontiert sehen, würde ich jedes, buchstäblich jedes Mittel einsetzen um einen Täterkontakt zu verhindern oder zu unterbinden. Ich könnte nicht damit leben so ein Stück Abschaum ungestraft mit seiner Tat davonkommen zu lassen, nicht wenn es um meine Familie geht.

Es ist für mich durchaus nachvollziehbar das es Opfer gibt, die sich freiwillig für die RiGaG entscheiden. Nur wäre das mit mir als Partner keine Alternative. Wer sich freiwillig für die dunkle Seite entscheidet, darf sich keine Illusionen darüber machen das er damit zu einem bösen Menschen wird und nicht mehr besser ist als jeder andere Täter auch.
Mir ist bewusst das manche Betroffenen in meinem Umfeld dazu gezwungen worden sind selbst zum Täter zu werden. Mir ist bewusst das es täteridentifizierte Anteile gibt und das diese genauso Teil meiner Partnerin sind. Und ja, manchmal sind die Übergänge auch fließend. Dennoch gibt es eine klare Grenze: wenn jemand ohne Zwang und damit freiwillig als Täter handelt. Der freie Wille ist der Unterschied zwischen Täter und Opfer.
Ich kann einen Menschen nicht uneingeschränkt für erzwungene oder erpresste Taten verantwortlich machen. ‚Nein‘ zu sagen ist manchmal nicht möglich, denn die RiGaGs verstehen es mit Sicherheit sehr gut entsprechende Inszenierungen und Abhängigkeiten zu schaffen.
Die immer wieder gehörte Täterausrede ‚ich war selbst einmal Opfer‘ ist jedoch in meinen Augen keine Rechtfertigung oder gar Strafmilderung, sondern bestenfalls eine Erklärung.
Meine Einstellung mag sehr hart klingen, für mich ist diese Grenzziehung zwischen der dunklen und hellen Welt jedoch sehr wichtig. Denn es gibt einfach Grenzen über die zu gehen ich nicht bereit bin, Taten, die zu tolerieren ich nicht bereit bin.
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, versuche ich die Hinter- und Beweggründe der Anteile aus der Nachtgesellschaft zu verstehen. Und ich versuche dabei vorurteils- und wertfrei zu bleiben. Denn auch diese Anteile gehören zu meiner Partnerin und kein bisschen weniger als alle anderen auch.
Es ist einfach eine ganz andere Welt als die, in der ich lebe. So Manches ist mir bis heute fremd geblieben.

Ich weiß von Freunden in meinem Umfeld die jetzt noch in diesem Sumpf gefangen sind, die noch in den Händen der RiGaG sind.
Sofern ich es kann und dies auch gewünscht ist, versuche ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Unser Zuhause dient für unsere Freunde als Zuflucht und das jederzeit und unbefristet. Wir beide unterstützen, schützen und beschützen so gut es eben geht. Leider kann ich selbst jedoch meist nicht wirklich viel tun. Meine Möglichkeiten sind begrenzt und deshalb bin ich in erster Linie für meine Partnerin da. Ich denke bei den anderen Betroffenen, ist es in erster Linie Sache deren Partner und/oder Therapeuten ihnen beizustehen. Ich wäre auch einfach nicht in der Lage für jeden, jederzeit uneingeschränkt da zu sein. Das kann ich weder fachlich, seelisch oder körperlich leisten. Deshalb liegt mein Fokus eben auf meiner unmittelbaren Familie.
Ich will und kann meine Augen vor so viel Unrecht nicht verschließen, als Angehöriger und Freund von Betroffenen ist es jedoch auch hier sehr wichtig sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Nur all zu schnell kann man an all dem was man hört, sieht oder erlebt kaputt gehen und damit wäre keinem gedient.

Wie ich schon zu Anfangs schrieb, es ist für mich ein sehr schwieriges Thema und ich habe zu vielen der ober geschilderten Aspekte noch keine abschließende Meinung oder Einstellung entwickelt. Ich glaube auch nicht das dies jemals wirklich der Fall sein wird. Dazu ist der ganze Themenkomplex auch viel zu krass. Und die Betroffenen, ebenso wie ihre Probleme sind meist viel zu individuell.
Oft muss ich das was ich glaube oder das was ich als Grenzen für mich festlege, neu überdenken oder neu definieren. Gerade in der vergangenen Wochen habe ich ein grundlegendes Prinzip, das ich bisher in meiner Partnerschaft als unumstößlich angesehen hatte, komplett über Bord geworfen.
Es gibt so Vieles das ich noch immer nicht richtig verstehe und deshalb versuche ich in Gesprächen Klarheit zu bekommen.
Die Betroffenen haben lernen müssen mit all dem zu Leben, für manche ist die Gewalt zur Gewohnheit geworden, Grenzüberschreitung und erzwungener Sex etwas ganz Alltägliches. Für mich als ‚Normalo‘ wird das nie etwas ‚Gewöhnliches‘ oder ‚Alltägliches‘ sein.

Und ich habe ehrlich Angst vor dem Tag an dem sich das ändern sollte.

Checkliste Folgeerscheinungen bei Überlebenden von sexualisierter Gewalt

Die nachfolgende Liste enthält eine Reihe möglicher spezifischer und unspezifischer Symptome, die Folgen erlebter sexualisierter Gewalt sein können. Einzelne Symptome können auch von anderen Störungen herrühren, ihre Häufung legt aber die Wahrscheinlichkeit, dass es eventuell Missbrauchserfahrungen gegeben hat, nahe. Ich habe den Text mehr oder weniger frei aus dem Englischen übertragen.

Checkliste Folgeerscheinungen bei Überlebenden von sexualisierter Gewalt.
von E.Sue Blume, Autorin von „Secret Survivors“

Diese Liste basiert auf Beobachtungen und Interviews mit Überlebenden sexualisierter Gewalt, sowie der Arbeit der Organisation „New York Women Against Rape“

  1. Angst vor dem Alleinsein in der Dunkelheit, davor alleine zu schlafen, Nachtangst, Albträume (besonders von Vergewaltigung, Verfolgung, Bedrohung, eingesperrt sein, Blut)

  2. Schluckbeschwerden; Abscheu gegen Wasser im Gesicht beim Baden, Duschen oder Schwimmen (Erstickungsgefühle)

  3. Entfremdung vom Körper, sich im Körper nicht zu Hause fühlen; Unfähigkeit Signale des Körper richtig zu deuten und körperliche Bedürfnisse angemessen zu erfüllen; zwanghafte Reinlichkeit, inkl. baden oder duschen mit brühend heißem Wasser oder absolute Gleichgültigkeit was das äußere Erscheinungsbild und Körperhygiene betrifft

  4. Magen-Darm-Beschwerden; gynäkologische Beschwerden (inkl. spontaner vaginaler Infektionen), vaginales Narbengewebe; Kopfschmerzen; Arthritis und Gelenkschmerzen; starke Abneigung gegenüber Ärzten, besonders Gynäkologen und Zahnärzten

  5. Das Tragen von vielen Kleidungsstücken, selbst im Sommer; weite Kleidung; Schwierigkeiten Kleidung abzulegen, selbst wenn angebracht (beim Schwimmen, Baden, Schlafen); extremes  Bedürfnis nach Privatsphäre beim Benutzen des Badezimmers

  6. Essstörungen; Drogen- oder Alkoholmissbrauch (oder totale Abstinenz); andere Abhängigkeiten; zwanghaftes Verhalten (inkl. zwanghaftem Betätigungsdrang)

  7. Selbstverletzung (ritzen, verbrennen, etc., physischer Schmerz ist kontrollierbar, Abhängigkeit erzeugendes Muster); Selbstzerstörung

  8. Phobien, Panikattacken

  9. Bedürfnis danach unsichtbar zu sein, perfekt oder im Gegenteil gänzlich schlecht

  10. Selbstmordgedanken, -versuche oder Besessenheit vom Suizid (inkl. „passiver Selbstmord“)

  11. Depression (zeitweise lähmend), scheinbar grundloses Weinen

  12. Probleme mit Aggression: Unfähigkeit Wut zu erkennen, sich einzugestehen oder auszudrücken; Angst vor tatsächlichem oder eingebildetem Zorn, ständige Wut, heftige Feindseligkeit gegenüber des gesamten Geschlecht oder der ethnischen Gruppe („Rasse“) des Täters

  13. Dissoziation („Abspaltung“), Depersonalisation, Schockzustände; in Krisensituationen blockiert sein (stressige Situationen sind immer Krisen), seelische Erstarrung; körperliche Schmerzen oder Taubheit, die in Verbindung mit einer spezifischen Erinnerung, Emotion (z.B. Wut) oder Situation (z.B. Sex) steht

  14. Kompromisslose Kontrolle der eigenen Denkprozesse; übermäßiger Ernst und Humorlosigkeit oder ein ausgeprägt scharfer Verstand

  15. In der Kindheit oft versteckt, verharrt, sich in Ecken gekauert (Verhalten ausgerichtet darauf Schutz zu suchen); als Erwachsener Nervosität, sich beobachtet fühlen, Schreckhaftigkeit, Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit)

  16. Probleme/Unfähigkeit zu vertrauen (zu vertrauen scheint nicht sicher); bedingungsloses Vertrauen, dass in Zorn umschlägt, wenn enttäuscht; wahlloses Vertrauen

  17. Hohe Risikobereitschaft; Unfähigkeit Risiken einzugehen

  18. Schwierigkeiten mit Grenzen, Kontrolle und Macht; Angst vor Kontrollverlust; zwanghafte Verhaltensweisen (Versuche Unwichtiges zu kontrollieren, nur um überhaupt etwas zu kontrollieren); verwechseln von Macht und Sex

  19. Schuld, Scham, niedriges Selbstbewusstsein, Gefühle von Wertlosigkeit; übertriebene Wertschätzung von keinen Gefallen anderer

  20. Muster von Opferverhalten (sich selbst bestrafen, nachdem man von anderen schikaniert wurde), besonders in sexueller Hinsicht; kein Gefühl für die eigene Macht oder das Recht Grenzen zu setzen und „Nein“ zu sagen; Verhaltensmuster von Beziehungen mit sehr viel älteren Personen (Beginn in der Jugend) oder übertriebener Sinn für den eigenen Bedarf; auch im Erwachsenenalter immer wieder Opfer anderer werden (sexualisierte Gewalt, inkl. sexuelle Ausbeutung durch Vorgesetzte oder professionelle „Helfer“)

  21. Das Bedürfnis etwas zu schaffen und geliebt zu werden; instinktiv wissen und tun, was der andere möchte oder braucht; Beziehungen bedeuten Kompromisse („Liebe“ wird genommen, nicht gegeben)

  22. Verlustangst; Wunsch nach Beziehungen ohne Getrenntsein; Angst vor und Vermeidung von Intimität

  23. Verdrängen bestimmter Lebensabschnitte (besonders zwischen dem 1. und 12. Lebensjahr, kann bis ins Erwachsenenalter reichen), bestimmter Personen oder Orte

  24. Das Gefühl ein schreckliches Geheimnis mit sich herumzutragen; der Drang zu erzählen vs. der Angst, dass es offengelegt werden könnte, bzw. dass niemand zuhören würde; allgemein verschlossen sein; das Gefühl gezeichnet zu sein (der „scharlachrote Buchstabe“)

  25. Sich verrückt fühlen, anders fühlen, sich als unwirklich und andere als real wahrnehmen oder umgekehrt; Phantasiewelten, -beziehungen oder -identitäten (z.B. bei Frauen: sich wünschen oder vorstellen männlich zu sein und vermeintlich damit kein Opfer) erschaffen

  26. Leugnen, verdrängen von Erinnerungen, bagatellisieren („es war ja nicht so schlimm“), Träume oder Erinnerungen („vielleicht bilde ich mir das nur ein“), Flashbacks (so beginnt der Erinnerungsprozess in der Regel), starke und unangemessen negative Reaktionen auf Menschen, Orte oder Situationen, „Körperflashbacks“ (körperliche Reaktionen) ohne deren Bedeutung zu erkennen; das Erinnern einer Umgebung ohne das eigentliche Ereignis zu erinnern. Erinnerungen beginnen oft mit dem am wenigsten bedrohlichen Ereignis oder Täter. Tatsächliche Einzelheiten des Missbrauchs werden eventuell nie vollständig erinnert, dies ist allerdings für die Heilung unerheblich. Innere Beschützerinstanzen/Schuzmechanismen lassen immer nur so viele Erinnerungen zurückkommen, wie man auch in der Lage ist zu verarbeiten.

  27. Sexuelle Probleme: Sex fühlt sich „schmutzig“ an; Abneigung gegen Berührungen, besonders gynäkologische Untersuchungen; starke Abneigung gegen oder der starke Drang nach bestimmten sexuellen Praktiken; sich vom eigenen Körper betrogen fühlen; Schwierigkeiten Sexualität und Emotionen unter einen Hut zu bringen, Verwechseln von Zuneigung, Sex, Dominanz, Aggression und Gewalt; Streben nach Macht in sexuellen Belangen, was tatsächlich ein sexuelles Ausagieren darstellt (Manipulation, Missbrauch anderer); zwanghaft asexuell oder verführerisch sein; Promiskuität; Sex mit Fremden, aber gleichzeitig das Unvermögen Sex innerhalb einer intimen Beziehung zu haben; Prostitution, etc.; Sexsucht, Vermeiden von Sex; weinen nach dem Orgasmus; jeder Verkehr fühlt sich wie eine Grenzüberschreitung an; Sexualisierung aller bedeutsamen Beziehungen; sexuelle Reaktionen auf Missbrauch oder Gefühle der Wut; Vergewaltigungsphantasien (oft resultieren daraus Gefühle von Schuld und Verwirrung , Teenagerschwangerschaften

  28. Muster von ambivalenten oder stark konfliktbehafteten Beziehungen (bei echter Intimität treten die Schwierigkeiten eher auf als in problematischen Beziehungen, wo der Fokus schnell von der eigentlichen Missbrauchsproblematik abgelenkt wird); auch Partner leiden unter den Konsequenzen des erlittenen Missbrauchs des/der Lebensgefährten/in

  29. Meiden von Spiegeln (steht in Verbindung mit dem Gefühl unsichtbar zu sein/sein zu müssen, Scham, Selbstwertproblemen, verzerrter Körperwahrnehmung)

  30. Der Drang den eigenen Namen zu ändern (um sich von den Tätern zu distanzieren oder ein Gefühl von Kontrolle durch die neue Selbstbezeichnung zu gewinnen)

  31. Glücklich zu sein nur begrenzt dulden können, aktives Vermeiden von Freude, dem Gefühl der Freude nur widerstrebend trauen

  32. Scheu davor Lärm zu machen (z.B. während des Geschlechtsverkehrs, weinen, lachen oder andere Körperfunktionen); verstärkt auf jedes Wort achten; leise sprechen, besonders wenn es eigentlich nötig wäre, dass man gehört wird

  33. Stehlen (Erwachsene), Feuer legen (Kinder)

  34. Multiple Persönlichkeiten/Dissoziative Identitätsstörung (die oft unerkannt bleibt)

  35. Vermeiden bestimmter Nahrungsmittel aufgrund der Konsistenz (z.B. Mayonnaise), dem Erscheinungsbild (z.B. Bratwurst), Geruch oder Geräusch an den Missbrauch selbst oder den Täter erinnern; Abneigung gegen Fleisch oder rote Nahrungsmittel

  36. Zwanghafte (Un)ehrlichkeit

  37. Erhöhte Aufmerksamkeit bezüglich Kindesmissbrauch oder das Unvermögen Kindesmissbrauch als solchen zu erkennen; Vermeiden des Themas Missbrauch; die Tendenz Beziehungen zu Menschen einzugehen, die selbst (Kinder) missbrauchen

Quelle: The Incest Suvivors Aftereffect Checklist

Was ist ein Psychotrauma?

Wir wollen hier mit euch einige Texte zum Thema Dissoziation, dissoziative Störungen, Leben mit Dissoziativer Identitätsstörung und Traumafolgen teilen, die wir bereits 2007/’08 verfasst haben:

Als Trauma (von griech. τραύμα; Pl.: Traumata oder Traumen), bzw. Psychotrauma bezeichnet man in der klinischen Psychologie eine von außen einwirkende Verletzung, Schädigung oder Störung der psychischen Integrität, also der Unversehrtheit der Seele.

Im alltäglichen Sprachgebrauch wird der Begriff „Trauma“ oft synonym für traumatische Ereignisse, also gefährliche, bedrohliche Erlebnisse, das die psychische Verarbeitungskapazität eines Menschen vollkommen übersteigen, gebraucht. Dem ist nicht so. Dieser Begriff bezeichnet die schweren Verletzungen, die die Seele aufgrund von traumatischen Ereignissen nehmen kann und die aus dieser Verletzung resultierenden Symptome und Verhaltensweisen. Das Psychotrauma ist also analog zu dem medizinischen Trauma zu verstehen, dass eine Schädigung, Verletzung oder Wunde, die durch äußere Gewalt entsteht, bezeichnet.

Ereignisse die eine psychische Verletzung verursachen sind wie schon erwähnt Situationen in denen eine potentielle Lebensgefahr für den Betroffenen bestand, in denen jemand zu Tode kam oder schwer verletzt wurde oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit für die Person selbst oder jemand anderen bestanden hat. Beispiele für solche Ereignisse sind Unfälle, Folter, Kriegsituationen, Misshandlung, Krankheiten, Überfälle, Vernachlässigung, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung. Ein Trauma kann auch durch einen Verlust einer wichtigen Bezugsperson ausgelöst werden. Wenn es zu einer erneuten Situation kommt, die dem ursprünglichen Trauma ähnelt, kann es zu sog. Retraumatisierungen kommen.

Als Folge eines Psychotrauma können psychische Störungen auftreten, z.B. die Akute Belastungsreaktion, die unmittelbar auf das belastende Ereignis erfolgt und deren Symptome zeitlich begrenzt nicht länger als einige Wochen anhalten oder die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), meist erst einige Zeit später nach dem traumatischen Ereignis auftritt und chronisch werden kann.

Haben die traumatischen Ereignisse wiederholt über einen längeren Zeitraum bestanden und kam es immer wieder zu Traumatisierungen,  die psychische Beeinträchtigungen zur Folge hatte, so spricht man von einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung.

Natürlich führt nicht jedes traumatische Ereignis gleich zu einer psychischen Störung, viele Menschen verarbeiten und überwinden die Belastungen, denen sie ausgesetzt waren ganz gut. Allerdings ist auch die schwere des Traumas da entscheidend, je belastender die Ereignisse waren, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie größere Spuren hinterlassen.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. IV

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

(Teil 3)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 4)

Und neben all dem, deinem ganz normalen Alltag, existiert eine Parallelwelt. Du führst ein Doppelleben, von dem du nichts mitbekommst. Freiheit ist eine Illusion. Noch immer wirst du von einer Tätergruppe, die dich schon seit Jahrzehnten ihr Eigen nennen abgeholt. Du bist Teil ihrer Gemeinschaft – oder um genauer zu sein – Andere in dir sind Teil dieser Gemeinschaft. Ja, du bist nicht die Einzige, die in deinem Körper wohnt und Kontrolle über ihn hat. Du bist aufgespalten. Die „Anderen“ ertragen für dich Folter, Vergewaltigung und viele andere Dinge, von denen du keine Ahnung hast, die du nicht verstehen könntest. Die Anderen in dir sind die Opfer der Gewalt, ertragen, erdulden, wieder andere haben das Gedankengut der Gemeinschaft so sehr verinnerlicht, dass sie so geworden sind wie die Gruppe, der du, der ihr gehört. Es ist wie in einem schlecht gemachten Horrorfilm oder die wahnwitzige Geschichte eines paranoiden Verschwörungstheoretikers.

Wie sollst du das Glauben? Wie sollst du akzeptieren, dass deine eigene Familie dich missbraucht hat, dich weiterverkauft hat, dass dein eigener Großvater in seinem schön ausgebauten Keller eine Folterkammer hatte, dass er dich und deine Geschwister oder Cousinen zu allerhand abartigen Sexualpraktiken hingegeben hat – nicht ohne das ganz auch in Szene zu setzen, zu fotografieren, zu filmen. Wie sollst du glauben, dass du zu einer Art Sekte gehörst, eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder manipuliert, wo nicht nur Tieropfer dargebracht werden.

Du überlebst, weil du es nicht weißt, weil es nicht dir selber passiert.

Natürlich erlebt sich nicht jedes System auf diese Weise. Auch hat nicht jedes System den gleichen Hintergrund. Was ich hier in Bruchstücken beschrieben habe, ist einiges was mir selber passiert ist, wie ich mich und mein Leben wahrgenommen habe.

Bis ich 23 war habe ich ganz ernsthaft geglaubt ich wäre von Dämonen besessen. Das schien mir die passende Erklärung zu sein. Ich dachte dann, ich wäre vielleicht Schizophren, würde mir alles, was in meinem Kopf vor sich geht, was ich glaubte zu erinnern, nur einbilden. Und wer hört schon Stimmen. Es hat eine Weile gedauert bis ich verstehen konnte, wer oder was ich bin – und das auch erst, als sich jemand die Zeit genommen und die Mühe gemacht hat es zu erklären. Die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ wurde schon viel früher gestellt, allerdings sprach niemand mit mir darüber. Ich wusste nicht einmal, dass ich sie hatte oder dass diese Störung existiert.

Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten die Diagnose anzunehmen. Vielleicht nicht in dem Maße, in dem andere Menschen mit „ihrer“ DIS kämpfen, denn auf irgend eine Art und Weise war ich froh endlich herausgefunden zu haben, was da mit mir nicht stimmt. Ich erlebe es immer wieder, dass Multiple ihre Störung nicht wahrhaben wollen und ich kann mir auch vorstellen, dass es Punkte gibt, die man nicht so gerne akzeptiert. Zum einen bekommt man von außen bestätigt, dass man zeitweise keine Kontrolle über sein eigenes Handeln hat. Der Mensch an sich ist ein Kontrollfreak, er benötigt zumindest das Gefühl die Kontrolle zu haben. Es vermittelt ihm Sicherheit.

Ja und dann gibt es das, was ich so gerne als „Rattenschwanz“ bezeichne. Die Diagnose DIS bedeutet auch gleichzeitig, dass einem in einem sehr frühen Stadium der eigenen Entwicklung, also im Kleinkindalter, massive Gewalt angetan wurde. Sonst hätte sich die Seele nicht aufspalten müssen um sich zu schützen, um buchstäblich (und das ist keine Übertreibung) zu überleben. Puh… akzeptieren, dass Menschen ein Kleinkind derartig missbrauchen, foltern, vernachlässigen – und das über Jahre hinweg (denn die DIS entsteht nur, wenn die traumatischen Situationen immer und immer wieder geschehen, es kein Entrinnen, keine Hilfe gibt)… und dann versuchen das mit einem Weltbild von guten Eltern, die ein Kind schützen (sollten) oder dem Bild vom „edel, hilfreich und guten“ Menschen zu vereinbaren… das ist schwer. Man muss eine ganze Weltanschauung über Bord werfen, wenn man eine Diagnose wie die DIS akzeptieren will

Wundert es da, dass Betroffene lieber leugnen, sich einreden sie wären nur „zu gute Schauspieler“ und das Fachleute die Existenz einer solchen Störung aufgrund wiederholter Traumatisierungen in der frühen Kindheit nicht anerkennen?.

Ich bekomme noch immer regelmäßige Anfälle von „Fakeritis“, dann werden die Zweifel zu groß, ich glaube ich bilde mir nur etwas ein, ich lüge, ich übertreibe, ich bin ein Hypochonder, jemand, der zu viele Bücher gelesen hat… oder schlicht ein unglaublich böses Mädchen, dass guten, braven Bürgern die unmöglichsten Sachen unterstellt.

…und vielleicht braucht man das auch manchmal, um sich eine Pause zu gönnen, eine Pause von der oft grausamen Realität.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. III

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 3)

In deinem Kleiderschrank sind Baggypants (du würdest so was im Traum nicht anziehen), komische rote Rollkragenpullover, T-Shirts mit Totenschädeln und bei keinem der Kleidungsstücke könntest du dich erinnern es gekauft zu haben. „Ach“ sagst du dir „die muss wohl jemand hier vergessen haben“ oder du ignorierst es einfach, vergisst, dass es da ist. Ebenso wie die Legosteine, auf die du nachts trittst. Hast du überhaupt Lego? Doch schon seit Jahren nicht mehr…

Du hast aufgehört Tagebuch zu führen. Es macht dir Angst. Es ist als ob sich die Bücher von selber schreiben, du hast es tagelang nicht zur Hand genommen und dennoch sind wieder 20 Seiten mit zum teil merkwürdig fremd und doch vertrauten Handschriften, die hast du schon öfter gesehen, nur was da geschrieben steht, das ergibt für dich keinen Sinn.

Du zeichnest auch nicht mehr gerne, beziehungsweise dein schlägt Herz jedes mal schneller, wenn du deinen Block aufmachst. „Bitte, bitte, lass ihn heute leer sein, nicht schon wieder eines dieser schrecklichen Bilder“. Du öffnest den Block und es flattert dir ein Blatt entgegen mit einer merkwürdigen Szene. Du hast diese Szenen schon öfter gesehen, es gibt bestimmt tausende solcher Bögen in deiner Wohnung, aber sie machen dir Angst. Du weißt nicht genau warum, aber diese merkwürdigen Bilder, die du nicht verstehst, lösen in dir ein tiefes Grauen aus, dass du gar nicht benennen kannst. Ab und an nimmst du einen Stapel und wirfst ihn in die Papiertonne.

Dein Lehrer möchte dringend mit dir reden. Er hätte dich schon eine ganze Weile beobachtet, dein Verhalten sei so merkwürdig, er findet du benimmst dich, als wärst du eine gespaltene Persönlichkeit. Du denkst: „Ich bin doch nicht schizophren“, bekommst Angst. Etwas tief in dir schreit „Er hat uns erkannt“ mit vielleicht so was wie Hoffnung, andere Stimmen, lautere Stimmen schreien „Verräter“, in deinem Kopf wird es so laut, dass du nicht mehr klar denken kannst, du hast hämmernde Kopfschmerzen, bekommst nicht mehr mit was passiert. Irgendwie raus aus der Situation, die du selber nicht verstehst. Im Ausreden finden bist du klasse, los, lass dir was einfallen.

Du gehst in eine Kirchengemeinde, schon recht oft, recht lange. Du suchst nach etwas, vielleicht ist es Gott, vielleicht aber nur andere Menschen, die nett zu dir sind. Du liest in der Bibel, dort steht etwas geschrieben von einem Mann, der von Dämonen besessen wurde, diese nannten sich Legion, denn sie waren viele. Es knallt in deinem Kopf. Vielleicht ist es das, denkst du dir, vielleicht ist es das was mit mir los ist. Ich bin von vielen Dämonen besessen die in meinem Kopf wohnen. Der nette Geistheiler mit dem blonden Bart ist schon seit Tagen dieser Meinung und bietet dir an dir die Dämonen auszutreiben. Drei Tage und Nächte verbringst du im Kreis einiger unermüdlicher, die Beten, in Zungenreden, die Dämonen in dir anbrüllen und sie zum Auszug zu bewegen. So jedenfalls stellst du dir das vor. Du tauchst ständig ab, bist in Trance und verstehst ohnehin nicht was passiert.

Gebracht hat es nichts. Dein Leben geht weiter wie bisher. Du hast einfach keine Ahnung was passiert. Du betest jeden Tag, du verzweifelst. Du fühlst dich dreckig und schmutzig.

Dein Kumpel macht dir eine mächtige Szene, weil du nicht mit ihm Schlafen willst (hast du auch noch nie, ihr seit einfach gute Freunde), er meint, dass du dich sonst ja nicht so anstellen würdest, du beschimpfst ihn als dreckigen Lügner, bekommst das auch prompt zurück. Du bist sauer, verstehst die Welt nicht mehr und ziehst von dannen.

Du hasst es. Es scheint als hätte jeder Mensch mehr Kontrolle über sein Leben als du. Oftmals wachst du morgens auf, hast überall blaue Flecke, dein Hals tut dir weh und du hast Schürfwunden an Hand und Fußgelenken. Du hast Schmerzen im Schritt und als du aufs Klo gehst, stellst du fest, dass der Damm ein Stück eingerissen ist, ein „nicht schon wieder“ verhallt in deinen Gedanken, du willst es einfach gar nicht wissen. Wenn du dich geduscht hast und zur Uni gegangen bist, hast du es auch schon wieder vergessen, du wunderst dich vielleicht noch über die Schmerzen in deinen Hüften… aber das muss wohl daran gelegen haben, dass du heute Nacht wieder so schräg im Bett gelegen hast.

Nächte sind sowieso miserabel. Du hast eigentlich nur Albträume, du traust dich kaum einzuschlafen, wenn du mal mehr als 3 Stunden geschlafen hast, beglückwünschst du dich. Jeden Morgen fühlst du dich gerädert, wie ein benutztes Taschentuch. Das Chaos in deinem Kopf kannst du kaum aushalten, du bist depressiv, verzweifelt und weißt nicht wo all das herkommt. Du hast Angst. Oft ist es als drifte die Welt von dir weg, oder du aus deinem Körper. Um dich überhaupt mal spüren zu können schlägst du deinen Kopf so lange gegen deine Zimmerwand, bis es blutet oder du ohnmächtig wirst.

(Teil 4)

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. II

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 2)

Wie ist es multipel zu sein? Ich werde das öfter mal gefragt. Nun, stell dir vor, dein Gedächtnis ist ein Schweizer Käse, nein, es stinkt nicht und schmeckt gut… es ist voller Löcher. Stell dir vor, dein Wecker klingelt, du stehst auf, willst ins Bad gehen und das nächste was du weißt ist, wie du in der Straßenbahn stehst, ein Goofy-T-Shirt trägst und feststellst, dass du nur eine Tasche dabei hast und die Ordner für die Uni wohl noch daheim liegen – wo sie nicht hingehören. Kling lustig? Mag sein, von außen betrachtet.

Stell dir vor du stehst mitten im Kaufhaus, einer der Mitarbeiter spricht recht unfreundlich zu dir, um es vorsichtig zu formulieren, neben dir ist ein Regal wohl vollkommen abgeräumt, Scherben auf dem Boden, deine Hände sind blutig. Nicht mehr ganz so lustig, oder? Der Rest des Tages auch nicht.

Du gehst in der warmen Maisonne spazieren… und das nächste was du weißt ist, wie du daheim vor dem Fernseher sitzt, der Regen prasselt gegen die Fensterscheibe und das Datum, dass in deiner Nachrichtensendung eingeblendet ist lässt auf November schließen. Da bekommt Rudi Carrells Frage danach, wo der Sommer geblieben ist eine ganz neue Bedeutung.

Manchmal findest du dich an Orten wieder, die du weder kennst noch wüsstest du, wie du dort hin gelangt bist. Du möchtest deinen Dozenten anrufen und dich dafür entschuldigen, dass du in der letzten Seminarstunde gefehlt hast, denn du kannst dich partout nicht daran erinnern was gestern war – sicher ist sicher. der Tag ist wie aus deinem Gedächtnis radiert. Zufällig stolperst du über deinen Block mit den üblichen Aufzeichnungen für die Uni, dort steht in kleiner, ordentlicher Schrift das Datum vom gestrigen Tage, der Name des Seminars und darauf ungefähr 10 Seiten Notizen in dieser mikroskopisch kleiner Schrift, die wohl öfter mirakulös in deinen Aufzeichnungen auftaucht.

Du hörst Stimmen, jeden Tag und zu jeder Minute. Manchmal kannst du sie verdrängen. Stimmenhören ist nicht gut, das haben nur schizophrene Menschen, Menschen die deswegen in die Klapsmühle bekommen. Hoffentlich erfährt niemand, wie laut es in deinem Kopf ist, die würden dich bestimmt sofort einweisen. Die Stimmen sind in deinem Kopf, fast wie Gedanken die zu laut sind und die du nicht selber denkst. Du kannst sie regelrecht hören. Streitenden Stimmen, beruhigende Stimmen, ängstliche Stimmen, die immer und immer wieder die gleichen Sätze sagen oder brüllen, Unterhaltungen, du wirst angesprochen – bloß nicht reagieren, ich glaube ich werde verrückt – kleine Mädchenstimmen singen ein Lied, Babys jammern und Schreien, weit in der Ferne hörst du eine Frau schreien, ganz langsam und durchdringend. Du hast mal den Fehler gemacht und so etwas angedeutet, als du wieder nicht wusstest, was passiert ist und du dich in der geschlossenen Station der örtlichen Psychiatrie wieder gefunden hast, mit Tränen in den Augen hast du den Mann gebeten dir zu helfen, der Lärm im Kopf sei unerträglich. Auch was danach passierte weißt du nicht mehr genau. Irgendwann hast du einen Wisch gefunden wo etwas von „halluzinatorischer Psychose“ drinstand, offenbar wurdest du nach einigen Tagen entlassen…

Und bei alledem hast du keine Ahnung was da in dir vor sich geht.

(Teil 3)

(Teil 4)