Alltag mit DIS #1: Schreib dir deine Termine auf

…und vergiss dabei nicht die Hälfte! …sprach es, seufzte tief und legte die Finger wieder auf die Tastatur…

Wie hier schon an verschiedenen Stellen berichtet, zeichnet sich die dissoziative Identitätsstörung durch amnestische Barrieren zwischen den verschiedenen Anteilen oder Innenpersonen aus. Das heißt Person A ist amnestisch für Person B und weiß folglich nicht immer was B tut. In der Therapie wird versucht diese Barrieren zu überwinden, Kommunikation zwischen den Anteilen möglich zu machen und im Idealfall ein Co-Bewusstsein zu erreichen (das bedeutet Person A kann „zuschauen“, wenn Person B im Außen agiert, eventuell sogar selbst eingreifen).

Ich denke es ist auch für Außenstehende gut nachvollziehbar, dass sich die Organisation des Alltags als ein ganz winzig kleines bisschen schwierig gestaltet, wenn man über große Teile des Geschehens nicht informiert ist. Aufgrund dieses Handicaps entwickeln Multiple häufig eine gewisse Routine in Improvisation, einen reichhaltigen Fundus an Ausreden zu jeder Gelegenheit und peinlich genau geführte Kalender und Notizbücher.

Wir wären ohne unsere heiß geliebten Kalender wahrlich aufgeschmissen. Da wir insgesamt betrachtet allerdings ein tendenziell eher chaotischer Haufen sind, ist das mit dem „peinlich genau geführt“ nicht weit her. Wir geben uns dennoch Mühe so viel Ordnung und Struktur wir möglich in den Alltag zu bringen. Sämtliche Termine werden nach einem vorgegebenen Schema farbcodiert, für die Arbeit werden täglich Aufgabenpläne erstellt, bzw. aktualisiert, erledigte Aufgaben werden nicht nur abgehakt, sondern auch kommentiert. Wir hinterlassen uns gegenseitig kleine Nachrichten an dafür vorgesehenen Orten (z.B. „M., könntest du bitte den grauen Hosenanzug aufbügeln, ich brauche den am Montag.“ oder eine Anfahrtsbeschreibung für einen Termin) und führen Buch über aktuelle persönliche Kontakte, damit man auch im Notfall nachvollziehen kann, wen man in welcher Situation anruft. Mit all diesen Maßnahmen versuchen wir zu kompensieren, dass die Anforderungen des Alltags von verschiedenen Innenpersonen gemeistert werden.

Alles in allem sind wir ein System, dass eine verhältnismäßig gute Kommunikation untereinander hat und begrenzt auch co-bewusst ist. Damit erscheinen wir im Alltag auch nicht auffälliger als jeder andere „zerstreute Professor“.

Das Co-Bewusstsein ist allerdings ein dynamischer und kein stabiler Zustand. Gerade in stressigen Zeiten oder belastenden Situationen verlässt einen dieser äußerst praktische Zustand. Arzttermine gehören zu diesen belastenden Situationen. Da hüpft man lieber tagelang mit einem gebrochenen Fuß durch die Gegend oder redet sich ein, dass die Hörfähigkeit auf dem linken Ohr schon von alleine wiederkommt – immerhin ging sie ja auch von alleine – als sich den manigfaltigen Problemen im Umgang mit sich und der Berufsgruppe des mitteleuropäischen Medizinmanns zu stellen. Es herrscht bei uns noch das Gesetz des Dschungels: Wer es bei einem Arzttermin nicht schafft schnell genug nach Innen zu verschwinden, hat die Arschkarte gezogen und darf die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit oder eine Vaginalsonografie ganz allein genießen. Wir sind nicht immer nett zueinander – aber darin sind wir großzügig!

Ich bin froh, dass es doch eine Handvoll Innenpersonen in unserem System gibt, die sich für die Organisation und Einhaltung von Arztterminen verantwortlich fühlen. Da es sich bei einigen von ihnen um jüngere Anteile unseres Systems handelt, die zwar eifrig (denn den Großen zu helfen macht schon stolz), aber unerfahren und häufig nicht besonders effizient sind, kommt es immer wieder zu kleineren Zwischenfällen. So auch heute wieder geschehen.

Ich fand in unserem Blog einen kleinen, als privat markierten, Beitrag:

29.01. 15:30 Schädel-MRT, Kreatinin-Wert nicht vergessen!

Fein, es hat tatsächlich jemand daran gedacht letztes Jahr noch einen Termin beim Radiologen auszumachen. Das ist gut, denn mir ist das vollkommen entfallen. Einen Kalender für dieses Jahr hatten wir da wahrscheinlich noch nicht. Okay, ein Zettel auf dem Schreibtisch hätte es auch getan, aber ich kann schon verstehen, dass so ein Novum wie der Blog und seine Funktionen zum Herumspielen einlädt. Die Nachricht hat mich immerhin erreicht. Kreatinin-Wert ist auch wichtig, da kann ich gleich einen Termin beim Hausarzt ausmachen. Wunderbar. Ich hab alles, was ich brauche. Moment… nee… stopp mal… wo müssen wir überhaupt hin? Halloohooo!?! Wer hat denn den Termin gemacht und wo habt ihr angerufen?

Ihr kennt die Szenen in schlechten Western, wenn der Protagonist auf der staubigen Straße inmitten einer verlassenen Stadt steht? Grillen zirpen, der Wind bläst einen Steppenläufer vor sich her, ein Kojote heult… so ähnlich habe ich mich gefühlt.

Also gut, ich habe meine Antipathie dem Telefon gegenüber beiseitegeschoben und mich daran gemacht jede Klinik und jede radiologische Praxis im Umkreis anzurufen, um zu fragen, ob ich zufällig dort am 29.01. um 15:30 Uhr einen Termin habe. Ganz murphy-getreu war die vorletzte Praxis auf meiner Liste diejenige welche.

Wir lernen: Vollständige Informationen mach das Leben erheblich einfacher.

Text eines Partners und Freundes: Der Missbrauch und die Gewalt

Auf besonderen Wunsch und Anregung hin hat der Freund und Partner, der den letzten Text verfasst hat auch seine Gedanken zu seinem Umgang mit den Hintergründen und Erfahrungen von Betroffenen von sexualisierter/organisierter/ritueller Gewalt formuliert.

Der Missbrauch und die Gewalt

Das ist ein sehr sehr schwieriges Thema und ich kann hier auch nur für mich selbst sprechen, denn ich habe mich nie mit anderen Angehörigen ausgetauscht.

Es fällt mir sehr schwer mich mit dem ganzen Themenkomplex Vergewaltigung, Folter Kindesmissbrauch und -prostitution auseinander zu setzen, zu wissen das es Menschen im eigenen Umfeld, Freunden so ergangen ist und das der Mensch den ich liebe das erlebt hat. Der Gedanke an die Täter, die noch immer frei herumlaufen und bisher ungeschoren blieben kommt ebenfalls dazu.

Ich bin in einem eher konventionellen Elternhaus aufgewachsen. Gewalt gab es da nicht. Als Kind habe ich nur bin wenigen Situationen den Hintern versohlt bekommen – und bei jeder dieser Gelegenheiten hatte ich mir das redlich verdient. Schläge ins Gesicht oder das Hauen mit Hilfsmitteln, das kam nicht vor. Meine Eltern waren relativ liebevoll und erzogen mich und meine Geschwister zu Anstand, Ehrlichkeit, Fleiß und Respekt.
Soweit ich das beurteilen kann, gab es auch in keinem anderen Familienzweig mit dem ich zu tun hatte irgendwelche häusliche Gewalt. Meine Kindheit war also recht behütet.

Als ich vor ca.10 Jahren erstmalig mit DIS und deren Ursachen konfrontiert wurde, hat das meine Welt nachhaltig erschüttert. Mir war schon klar gewesen das es böse Menschen und böse Taten gab. Ich habe im Laufe meines Lebens viele Mädchen und Frauen kennen gelernt die sexuelle Übergriffe erlebt hatten. Das Ausmaß an Gewalt und Perversion allerdings mit dem ich konfrontiert wurde, als ich in die Forenszene der Missbrauchsüberlebenden und Multis eintrat, übertraf jedes für mich erfassbare Maß. Ich habe damals meine Unschuld und Naivität, was unsere Welt und unseren Staat betrifft, für immer verloren.

Obwohl ich seither viele Schilderungen von Überlebenden gelesen und gehört habe, kann ich nicht sagen das sich bei mir eine Gewöhnung oder eine nennenswerte Desensibilisierung eingestellt hätte.
Jede Erzählung solcher Gräuel löst noch immer die gleichen Reaktionen bei mir aus: Übelkeit und Ekel vor den Tätern, Unglaube über soviel Unmenschlichkeit, der Wunsch jeden Perversen, Kinderschänder oder Vergewaltiger zu verfolgen und zu töten, Hilflosigkeit und Trauer. Manchmal auch würde ich zu gerne bei jenen Tätern vorbei fahren, von denen ich weiß wo sie zu finden sind. Allein aufgrund des Wunsches der Betroffenen tue ich das nicht.
Ich trage oft eine große Wut und manchmal auch große Angst in mir und ich weiß nicht wo ich damit hin soll. Mir fehlt jedes Verständnis für Menschen die freiwillig anderen, vor allem unschuldigen Kindern, solche Abscheulichkeiten antun. Das sind in meinen Augen keine Menschen mehr die irgendwelche Rechte hätten. Denn Menschenrechte hat nur wer sie auch bei anderen achtet.
Es gibt auch Phasen in denen ich mir Wünsche, ich hätte all dies nie erfahren, nie von dieser Welt der abartigen Gewalt gehört, Phasen in denen ich mir meine Unschuld zurück wünsche.
Deshalb habe ich immer wieder Zeiten da ich mich seelisch und geistig von alle dem distanzieren muss, einfach weil es mir zu viel wird, Ruhephasen ohne Gespräche über die Vergangenheit oder deren Folgen. Manchmal muss ich mich von alle dem fernhalten, weil ich es nicht ertragen kann.
Meine Toleranz was die Verarbeitung all dieser Dinge betrifft, ist sehr niedrig da ich früher in meinem Leben nie lernen musste mit diesen Formen der Gewalt, vor allem in diesem Ausmaß, um zu gehen. Vielleicht bin ich auch nur ein Sensibelchen, inzwischen habe ich vermutlich selbst kein objektives Bild mehr.

Als Freund und Angehöriger kann es schnell passieren das man sich seelisch zu tief in den Kaninchenbau wagt und in Folge dessen cotraumatisiert wird. Ich kann deshalb durchaus auch verstehen wenn es immer wieder Menschen gibt, die nicht damit zurecht kommen und den Umgang mit den Betroffenen meiden – einfach weil sie es nicht ertragen.
Sich selbst zu schützen ist zwar eine Sache, das ganze Thema deshalb totzuschweigen und damit die Betroffenen alleine zu lassen ist für mich jedoch nicht akzeptabel. Wenn man ein Verbrechen nicht öffentlich macht und sei es nur im Freundeskreis oder unter anderen Betroffenen, dann ist dass so als wäre es nie passiert – und nach meinem Verständnis der Welt darf das nicht sein.

Mir ist bewusst welche Gewalt meiner Partnerin angetan wurde, ich weiß wie sie aufgewachsen ist und in was für einer ‚Familie‘ sie ‚erzogen‘ wurde. Ich kann die Spuren des Missbrauchs sehen.
Einen Umgang mit ihrer Gewaltvergangenheit, oder der meiner betroffenen Freunde habe ich selbst nach so vielen Jahren noch nicht gefunden.
Meine Lebensgefährtin sehe ich jedenfalls nicht als ‚das Opfer‘. Heute ist sie der Mensch der sie eben heute ist. Ich kann ihre Vergangenheit nicht wieder gut machen, ich kann jedoch versuchen sie in der Bewältigung zu unterstützen und ein Leben mit ihr zu Leben das nun frei von all diesen Dingen ist.
Nichts an ihr stößt mich nichts ab, ganz im Gegenteil von Körper und Seele her würde ich sie nicht einmal ein kleines bisschen anders haben wollen. Und keine noch so detaillierte Schilderung von Ekeltraining oder Vergewaltigung kann daran etwas ändern. Sie ist nicht das Verbrechen, das ihr angetan wurde. Ich sehe und fühle die Narben, und ja, es ist mir stets bewusst woher sie kommen und ich weiß auch teilweise wie sie entstanden sind. Das lässt sich aber nicht mehr ändern. Das Blut, das fremde Sperma, der Kot und Urin und all der andere Dreck sind abgewaschen, nichts ist davon mehr zu sehen, zu fühlen oder zu riechen.
Was noch übrig ist, ist die Frau die ich liebe, so wie sie ist, als System, mit allen und allem was zu ihr gehört.
Die Täter und die Taten stoßen mich ab – nicht der Mensch dem das angetan wurde.

Was einen laufenden Täterkontakt angeht habe ich allerdings eine Nulltoleranz.
Solange ich Partner und Angehöriger bin, kann und werde ich das nicht tolerieren. Damit könnte ich im übrigen auch gar nicht umgehen. Da gibt es weder eine Grauzone noch einen Kompromiss. Sollte ich mich damit konfrontiert sehen, würde ich jedes, buchstäblich jedes Mittel einsetzen um einen Täterkontakt zu verhindern oder zu unterbinden. Ich könnte nicht damit leben so ein Stück Abschaum ungestraft mit seiner Tat davonkommen zu lassen, nicht wenn es um meine Familie geht.

Es ist für mich durchaus nachvollziehbar das es Opfer gibt, die sich freiwillig für die RiGaG entscheiden. Nur wäre das mit mir als Partner keine Alternative. Wer sich freiwillig für die dunkle Seite entscheidet, darf sich keine Illusionen darüber machen das er damit zu einem bösen Menschen wird und nicht mehr besser ist als jeder andere Täter auch.
Mir ist bewusst das manche Betroffenen in meinem Umfeld dazu gezwungen worden sind selbst zum Täter zu werden. Mir ist bewusst das es täteridentifizierte Anteile gibt und das diese genauso Teil meiner Partnerin sind. Und ja, manchmal sind die Übergänge auch fließend. Dennoch gibt es eine klare Grenze: wenn jemand ohne Zwang und damit freiwillig als Täter handelt. Der freie Wille ist der Unterschied zwischen Täter und Opfer.
Ich kann einen Menschen nicht uneingeschränkt für erzwungene oder erpresste Taten verantwortlich machen. ‚Nein‘ zu sagen ist manchmal nicht möglich, denn die RiGaGs verstehen es mit Sicherheit sehr gut entsprechende Inszenierungen und Abhängigkeiten zu schaffen.
Die immer wieder gehörte Täterausrede ‚ich war selbst einmal Opfer‘ ist jedoch in meinen Augen keine Rechtfertigung oder gar Strafmilderung, sondern bestenfalls eine Erklärung.
Meine Einstellung mag sehr hart klingen, für mich ist diese Grenzziehung zwischen der dunklen und hellen Welt jedoch sehr wichtig. Denn es gibt einfach Grenzen über die zu gehen ich nicht bereit bin, Taten, die zu tolerieren ich nicht bereit bin.
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, versuche ich die Hinter- und Beweggründe der Anteile aus der Nachtgesellschaft zu verstehen. Und ich versuche dabei vorurteils- und wertfrei zu bleiben. Denn auch diese Anteile gehören zu meiner Partnerin und kein bisschen weniger als alle anderen auch.
Es ist einfach eine ganz andere Welt als die, in der ich lebe. So Manches ist mir bis heute fremd geblieben.

Ich weiß von Freunden in meinem Umfeld die jetzt noch in diesem Sumpf gefangen sind, die noch in den Händen der RiGaG sind.
Sofern ich es kann und dies auch gewünscht ist, versuche ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Unser Zuhause dient für unsere Freunde als Zuflucht und das jederzeit und unbefristet. Wir beide unterstützen, schützen und beschützen so gut es eben geht. Leider kann ich selbst jedoch meist nicht wirklich viel tun. Meine Möglichkeiten sind begrenzt und deshalb bin ich in erster Linie für meine Partnerin da. Ich denke bei den anderen Betroffenen, ist es in erster Linie Sache deren Partner und/oder Therapeuten ihnen beizustehen. Ich wäre auch einfach nicht in der Lage für jeden, jederzeit uneingeschränkt da zu sein. Das kann ich weder fachlich, seelisch oder körperlich leisten. Deshalb liegt mein Fokus eben auf meiner unmittelbaren Familie.
Ich will und kann meine Augen vor so viel Unrecht nicht verschließen, als Angehöriger und Freund von Betroffenen ist es jedoch auch hier sehr wichtig sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Nur all zu schnell kann man an all dem was man hört, sieht oder erlebt kaputt gehen und damit wäre keinem gedient.

Wie ich schon zu Anfangs schrieb, es ist für mich ein sehr schwieriges Thema und ich habe zu vielen der ober geschilderten Aspekte noch keine abschließende Meinung oder Einstellung entwickelt. Ich glaube auch nicht das dies jemals wirklich der Fall sein wird. Dazu ist der ganze Themenkomplex auch viel zu krass. Und die Betroffenen, ebenso wie ihre Probleme sind meist viel zu individuell.
Oft muss ich das was ich glaube oder das was ich als Grenzen für mich festlege, neu überdenken oder neu definieren. Gerade in der vergangenen Wochen habe ich ein grundlegendes Prinzip, das ich bisher in meiner Partnerschaft als unumstößlich angesehen hatte, komplett über Bord geworfen.
Es gibt so Vieles das ich noch immer nicht richtig verstehe und deshalb versuche ich in Gesprächen Klarheit zu bekommen.
Die Betroffenen haben lernen müssen mit all dem zu Leben, für manche ist die Gewalt zur Gewohnheit geworden, Grenzüberschreitung und erzwungener Sex etwas ganz Alltägliches. Für mich als ‚Normalo‘ wird das nie etwas ‚Gewöhnliches‘ oder ‚Alltägliches‘ sein.

Und ich habe ehrlich Angst vor dem Tag an dem sich das ändern sollte.

Text eines Partners und Freundes: „Mein Umgang als Angehöriger mit der DIS“

Hier im Blog wird ja vornehmlich die Sicht einer Betroffenen (sprich mir) auf die DIS und die damit einhergehenden Probleme und Hintergründe dargestellt. Ich freue mich daher sehr darüber hier auch den Text eines Partners und Freundes von multiplen Menschen veröffentlichen zu dürfen, der den Umgang mit Betroffenen von seiner Warte aus beschreibt.

Mein Umgang als Angehöriger mit der DIS

Wie die meisten Menschen die in ihrem Leben nie direkt mit dem Thema Missbrauch konfrontiert waren, hatte ich zu Anfangs große Schwierigkeiten mich mit DIS und deren Ursachen auseinander zu setzen. Und weil ich es damals nicht anders wusste, übernahm ich im Umgang mit den Multis die ich kannte die Sichtweise der Betroffenen. Ich behandelte jeden Innie so wie er sich selbst auch wahrnahm: als eigenständig und entsprechend als Kind oder als Erwachsenen und passend zu dem gefühlten Geschlecht.

Im Ergebnis war das allerdings keine so gute Idee, wie ich aber auch erst viele Jahre später realisiert habe. Zum Einen machte ich mir damit letztlich selbst das Leben schwer, denn ein multiples System ist auf höchst effiziente Weise funktional und Betroffene wissen dies zudem auch effektiv zu nutzen, wenngleich dies in der Mehrzahl der Fälle sicher nicht mit bewusster Absicht geschieht sondern instinktiv passiert. Zum Zweiten unterstützt es die Trennung der einzelnen Anteile und nimmt dem Systems die Notwendigkeit ab, selbständige ein gemeinsames Verantwortungsgefühl zu entwickeln.

So als Beispiel: hatte ich mit Person A Streit, verschwand die einfach und Person B tauchte auf, welche von ihrer Sicht aus mit dem ganzen Thema nichts zu tun hatte. Für das System funktioniert das als Ausweichmechanismus prima – für mich leider überhaupt nicht.
Im Übrigen ist man als Freund eines Multis auf diese Weise mehr oder weniger oft in ‚guter Cop, böser Cop‘ Spiele verwickelt. Denn zur Überlebensstrategie vieler Systeme gehört auch das Mittel der Manipulation. Jedenfalls ist das meiner Erfahrung nach so.
Wer in einer Welt aufwächst in der Manipulation allgegenwärtig ist, in einer Welt in der Bedürfnisse im besten Fall ignoriert, im schlimmsten Fall bestraft werden, der sucht eben zwangsläufig eigenen Wege um seine Wünschte zu erreichen. Als gutmütiger oder unerfahrener Freund oder Partner kann man da tatsächlich recht schnell unter die Räder geraten, wenn man sich nicht rechtzeitig genug abgrenzt und selbst schützt.

Wie ich auch erst im Nachhinein bemerkte, hat mir diese oben beschriebene Art des Umgangs mit der DIS überhaupt nicht gut getan und durch verschiedene Umstände hat sich deshalb meine Einstellung inzwischen auch sehr geändert.
Heute behandle ich einen Multi auch nicht mehr anders als ich es mit jedem anderen Menschen tun würde. Ich hatte unlängst mit einer lieben Freundin, selbst Betroffene, ein Gespräch zu genau diesem Thema.
Mir ist durchaus klar, das sich viele Persönlichkeitsanteile subjektiv als eigenständig erleben. Doch wie der Name sich ja nun selbst erklärt ist es ein Persönlichkeitsanteil, also ein Teil eines Ganzen. Und jeder abgespaltene Anteil ist ursprünglich entstanden um ein Bedürfnis zu befriedigen – das Bedürfnis zu Überleben. Und das hat eben nur durch diesen radikalen Mechanismus der Psyche, der Dissoziation und die amnestische Trennung funktioniert.
Dieser Verarbeitungsmechanismus jedenfalls hat den Nebeneffekt, das wenn der eine Anteil etwas tut, dann fühlt sich der andere Anteil dafür oft nicht verantwortlich. Nun entspringen aber beide der gleichen ursprünglichen Psyche und unabhängig davon wie eigenständig sich Einzelner erleben mag, ist und bleibt er doch immer eine Facette vom gesamten System und damit Teil eines jeden anderen. Jeder einzelne Anteil trägt den Charakter des Gesamtsystems in sich und trägt umgekehrt auch zum Charakter des Gesamtsystems bei. Das gilt im Guten wie im Schlechten. Wenn also ein einzelner Anteil lieb und nett ist und der Rest des Systems das nicht ist, macht das für mich als Außenstehenden keinen Unterschied mehr. Oder als einfaches Beispiel: wenn mich das System mit den Leuten A – F verarscht, dann ist es unerheblich das Kind G nach vorne kommt und wieder lieb mit mir sein will. Aber das funktioniert eben auch umgekehrt: wenn ich mit allen Anteilen eines Systems nur positive Erfahrungen gemacht habe, dann fällt es mir leichter mit Täterintrojekt X umzugehen, bzw. dessen Umgang zu verarbeiten.

Was nun das weiter oben genannte Beispiel für Streitkultur angeht, so lässt es erkennen das sich Multi und Uno grundsätzlich mal gar nicht so sehr voneinander unterscheiden: wenn mir persönlich etwas nicht passt, entweder was ich bin oder das ich tue, dann verdränge ich diesen Aspekt eben einfach – in letzter Zeit kaum noch, früher tat ich das dafür sehr stark. Multi hingegen spaltet vergleichbaren Aspekt in Form eines sich als eigenständig erlebenden Persönlichkeitsanteils, ab. Also tun wir beide nix anderes. Die Bewältigungsstrategie ist im Kern die gleiche.
Der Unterschied liegt nur darin, das ich als Uno sehr viel leichter lernen konnte diese Strategie zu erkennen und ihr entgegen zu wirken. Multi hingegen war gezwungen diesen psychischen Mechanismus ins Extremste zu perfektionieren um überhaupt überleben zu können. Und das lässt sich nicht mal so eben umlernen.

Meine sehr liebe Freundin hat mich nun auch gefragt, bzw. gemeint, das ich aber die Kinder anders behandeln würde als ich es mit den Erwachsenen Anteilen tue. Und nein, das tue ich nicht mehr.
Ich trage sehr wohl der Tatsache Rechnung das sich jeder als eigenständig erlebt und das eben jeder auch für eine Gemütsverfassung oder eine Situation oder anderes steht, oder stehen kann – das er aber nicht eigenständig ist, bleibt für mich deswegen unbestritten.
Heute sehe ich den Wechsel zwischen einzelnen Systemanteilen einfach als ein Mittel oder als Ausdruck des Systems in einer Bestimmte Situation auf adäquate Weise zu (re)agieren. Kommen etwa Kinder nach vorne, kann das systemabhängig z.B. ein Bedürfnis nach Nähe oder auch im Gegenteil, nach Ruhe ausdrücken.
Wenn ich den Einzelnen vor mir habe und entsprechend handle und doch ebenfalls das System als Ganzes sehe, ist das also kein Widerspruch.

Natürlich ist es nicht immer ganz so einfach, denn von allem anderen abgesehen handelt es sich bei einem Multi noch immer um einen traumatisierten Menschen und diesem Aspekt ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings nicht, das ein Multi nun erwarten darf, das sich sein Umfeld deshalb gänzlich und bis zur Selbstaufgabe auf ihn einlässt.
Mit der Einstellung die ich heute zur DIS habe, ist mein Leben mit Vielen um Einiges unkomplizierter geworden. Und das gilt für mich selbst und in gleichem Maße für meine Partnerin. Nach meiner Erfahrung lassen sich auf diese Weise sowohl Missverständnisse besser klären, aber auch Bedürfnisse und Wünsche viel direkter und einfacher ansprechen. Es gelten für alle Beteiligten die selben Regeln und der selbe Bezugsrahmen, unabhängig vom erlebten Alter, Geschlecht oder der persönlichen Weltanschauung.

Manch einem Multi(Anteil) mag es ungerecht oder schwierig erscheinen so behandelt zu werden, denn schließlich ist DIS keine gewählte Lebenseinstellung, sondern eine Überlebensstrategie die für Betroffene auch für die Alltagsbewältigung oft notwendig ist. Und wenn Multi nur diesen einen Umgang mit der Welt kennt, dann ist meine dargelegte Einstellung dem ein oder anderen vielleicht zuwider. Doch um mich hier ganz klar abzugrenzen: darauf einzugehen liegt nicht in meiner Verantwortung. Es ist nicht meine Sache, auch nicht als Freund oder Partner, mit jedem Innie so umzugehen wie der das gerne hätte. Für mich als Außenstehender ist nur der Umgang mit dem System als Ganzes entscheidend und entsprechend werde ich mich auch verhalten. Alles andere liegt beim System, entweder im Umgang mit der Situation oder im Umgang mit sich selbst und seinen Anteilen – Systemverantwortung eben.

Als Angehöriger will ich meine Partnerin natürlich so gut ich kann unterstützen. Und ich habe festgestellt, das dies am besten funktioniert, wenn unser Umgang miteinander so unkompliziert wie irgend möglich ist. Und was soll ich sagen? So wie es jetzt ist, tut uns das beiden und der Beziehung offensichtlich richtig gut ^^

Fünf Regeln für einen besseren Umgang im internen Miteinander

So hilfreich das Aufspalten in verschiedene Identitäten im Überlebenskampf war, so dysfunktional können die Auswirkung dieser Aufspaltung Alltag, im Versuch der Heilung der Traumata und im Erreichen eines eigenständigen Lebens sein. Aus unseren Erfahrungen beim Lernen auf eigenen Füßen zu stehen, Traumata zu verarbeiten und als System wieder funktionaler zu werden haben wir auch gelernt, dass es einige wichtige Regeln gibt, wenn man erfolgreicher als System zusammenarbeiten möchte.

  • Seit ehrlich zueinander

Wie soll man weiterkommen, wenn man sich ständig selbst belügt. Ihr seit wahrscheinlich euer Leben lang belogen worden. Seht selbst, was es euch gebracht hat. Wenn ihr einander vertrauen wollt, hilft es zu wissen, woran ihr seit. Nicht jede Wahrheit ist angenehm und manche Wahrheiten tun weh, aber nur aus Wahrheiten könnt ihr Konsequenzen ziehen, lernen und euch entwickeln.

  • Respektiert einander

Jeder von euch hat eine Berechtigung da zu sein. Jeder von euch ist entstanden um das Überleben des Systems zu gewährleisten, das gilt für das Täterintrojekt genauso wie für die Alltagspersönlichkeit. Irgendjemand musste das Glaubenssystem oder das Verhalten des/der Täter/s rechtfertigen, irgendjemand musste mit Schule, Hausarbeit und soziale Interaktionen zurechtkommen. Kein Job war weniger wichtig als der andere. Bedenkt das, wenn ihr heute in Interaktion tretet und respektiert einander und das, was ihr zu eurem Überleben beigetragen habt. Versucht zu verstehen, wo der jeweils andere herkommt, welche Umstände er kennengelernt hat und wie diese ihn geprägt haben. Ihr werdet nicht immer die gleiche Meinung haben, aber zu einer gemeinsamen Lösung, werdet ihr ohne Respekt füreinander nur schwer kommen.

  • Arbeitet mit

(Therapeutische) Arbeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Tut was ihr könnt, teilt eure Erfahrungen und euer Wissen, arbeitet an den euch gestellten Aufgaben.

  • Kooperiert

Erklärt sich von selbst, oder? Arbeitet zusammen, entwickelt ein Interesse an der Zusammenarbeit und den gemeinsamen Zielen. Wenn ihr euch nicht mit dem gemeinsamen Zielen identifizieren könnt, dann liegt es in eurer Verantwortung euch mitzuteilen, euch die Gründe der Zielsetzung verständlich machen zu lassen und eventuell gemeinsam die Ziele zu revidieren. Seit ihr in der Position, dass ihr Ziele gesetzt habt, die andere bei euch nicht teilen oder nachvollziehen können, dann nehmt euch die Zeit eure Intentionen zu erklären und hört euch auch Gegenmeinungen an. Jedes Infragestellen birgt die Chance Berichtigung, Verbesserung und Bestätigung des Weges, den man eingeschlagen hat.

  • Gebt auch mal die Kontrolle ab

Das fällt oft besonders den Alltags-/Gastgeberpersönlichkeiten schwer. Nur gemeinsam habt ihr eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, nur gemeinsam könnt ihr heilen, nur gemeinsam schafft ihr eine stabile Kommunikation und Co-Bewusstsein und – wenn ihr das wünscht – eine Integration im Sinne einer Fusion zu einer einzigen Identität und Persönlichkeit.

Multipel und Mutter- passt das zusammen?

Wir wollten mit euch hier die, wie wir finden, sehr interessanten Überlegungen der Mosaiksteinchen zum Thema Mutter-sein, wenn man gleichzeitig an einer Dissoziativen Identitätsstörung leidet, mit ihrer Erlaubnis teilen, denn wir finden, dass diese Überlegungen sehr grundlegende und äußerst wichtige sind. Gerade Erziehung und Verantwortung sind Fragestellungen mit weitreichenden Konsequenzen und nicht einfach, wenn man selbst Erziehung als wenig liebe- und verantwortungsvoll kennengelernt hat.

Parallelwelten der Mosaiksteinchen

Ein Thema über das ich immer wieder gestolpert bin und was mich nicht los lässt ist: Multipel und trotzdem Mutter ober können psychisch kranke gute Mütter sein?

Zuerst war die Überlegung den Fakt, selbst Mutter zu sein, aus unserem Blog fern zu halten. Wir haben uns nun aber dagegen entschieden.

Die Gründe dafür sind, dass unser Leben sehr geprägt davon ist Mutter zu sein. Wir leben vom Vater des Kindes getrennt und bezeichnen uns hauptsächlich als allein erziehend. Das ist, um unsere Argumentation zu dem oben genannten Thema einordnen zu können, sicher auch von Vorteil zu wissen.

In den meisten Fällen, in denen wir mit diesem Thema konfrontiert waren, trafen wir entweder auf das eine Extrem oder das Andere. Einerseits: psychisch Kranken sollte es verboten sein Kinder zu bekommen! Andererseits: psychisch Kranke, die sich ihrer Krankheit bewusst sind, sind oft die besseren Mütter!

Nun wir vertreten keine dieser Meinungen…

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Wir sind eins.

Du und ich: Wir sind eins. Ich kann dir nicht wehtun, ohne mich zu verletzen.
(Mahatma Gandhi)

Was Gandhi verstand, lehrt der Buddhismus seit Jahrtausenden und selbst John Donne wusste, dass „kein Mensch […] eine Insel“ ist. Aber gerade wir, in unserer westlichen, ach-so-aufgeklärten Gesellschaft, tun gerne so, als ob all unser Tun keine Konsequenzen nach sich ziehen würde. Es fällt mir schwer ruhig zu bleiben, wenn Menschen Begrifflichkeiten wie „Verantwortung“ als „Un-wort“ abtun. Das lässt tief blicken. Sind wir soweit, dass nur der eigene, kurzfristige Nutzen Maßstab für unser Handeln wird? Wir nehmen dankbar mit, was wir kriegen können. Welche Auswirkungen das auf andere haben könnte scheint uns egal – schließlich ist nun mal  jeder nur für sich selbst verantwortlich.

Ernsthaft?

Was wir sagen und tun gestaltet unsere Umwelt, es beeinflusst andere, genau wie uns selbst. Schaffe ich mir ein Umfeld, in dem das Handeln von Gewalt bestimmt wird, so zerstöre ich andere, die Gemeinschaft und im letzten mich selbst.

Die Gesetzmäßigkeiten einer menschlichen Gesellschaft sind allzu oft auch auf die Strukturen eines multiplen Persönlichkeitssystems übertragbar. In diesem speziellen Fall vielleicht sogar noch deutlicher. Ein multiples System zeichnet sich dadurch aus, dass Anteile der Gesamtpersönlichkeit unabhängig Kontrolle über Fühlen, Denken und Handeln übernehmen können, oft ohne auch nur voneinander zu wissen. Das bringt viele Probleme mit sich. Diese scheinbare Unabhängigkeit führt nicht selten dazu, dass sich Anteile oder Innenpersonen Betroffener lange weigern zusammenzuarbeiten und dass Ärzte und Therapeuten noch immer glauben, es wäre im Interesse des Betroffenen die „unerwünschten“ Anteile zu unterdrücken, dauerhaft „wegzusperren“ oder zu „töten“.

Unerwünscht ist gern alles, dessen Handeln nicht verstanden wird. Geurteilt wird schnell, nachgefragt nur selten. Dabei war für uns der erste Schritt zum eigenen Verständnis zu begreifen, dass wir als Teile eines multiplen Systems eben nicht unabhängig voneinander existieren und der Glaube, unser jeweiliges Tun betrifft entweder andere oder uns selber nicht, ein Trugschluss ist. Erst nach dieser Erkenntnis waren Kapazitäten frei die Motivationen hinter den Handlungen der einzelnen Anteile oder Innenpersonen zu begreifen. Auch half das Verstehen, dass wir alle in Abhängigkeit voneinander so existieren wie wir sind, besser zu akzeptieren, dass es (noch) kein einheitliches Leben und Erleben – so wie es ein nicht-Multipler wahrscheinlich wahrnimmt – gibt.

Wir sind eins. Nicht in der Form eines „normalen“, einheitlichen Identitätserlebens, auch heißt es nicht wir sind alle einer Meinung (nichts wäre ferner der Wahrheit), aber wir begreifen Schritt für Schritt, dass wir nicht unabhängig voneinander existieren können, egal wie sehr bisweilen diese Tatsache ignoriert wird.