Im Namen des Teufels: Rituelle Gewalt in satanistischen Sekten

Im Namen des Teufels: Rituelle Gewalt in satanistischen Sekten

Zahlreiche Aussteigerinnen und Aussteiger berichten von satanistischen Sekten, in denen Rituelle Gewalt im Dienste Satans ausgeübt wird. Sie informieren über barbarische Praktiken, massive körperlichen Misshandlungen und einem unerträglichen psychischen Druck. Ein absolutes Schweigegebot hat dazu geführt, dass kaum Informationen an die Öffentlichkeit gedrungen sind. Die Berichte sind erschreckend und fordern auf, tätig zu werden. Der Film ermutigt zum Ausstieg, hilft Betroffene zu erkennen und gibt Hinweise zum Handeln. Es kommen Überlebende zu Wort. In Interviewausschnitten mit Experten werden Fakten und Hintergrundwissen zur Rituellen Gewalt in der deutschen Gegenwartsgesellschaft geliefert.

Aus der Filmbeschreibung des Bistums Münster

Der Film wird von der Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen im Bistum Münster unter anderem in Fortbildungsveranstaltungen gezeigt, hier kommen neben der Referentin der oben genannten Fachstelle Brigitte Hahn und Domkapitular und Mitglied des Arbeitskreises „Rituelle Gewalt“ im Bistum Osnabrück, der Polizeipsychologe und Prodekan an der Hochschule für Polizei in Villingen-Schwenningen Prof. Dr. Adolf Gallwitz, die Psychotherapeutin Michaela Huber zu Wort, außerdem berichtet das von ritueller Gewalt in einer satanistischen Sekte betroffene System „Nickis“ von ihren Erfahrungen.

Schwerpunkte/Kapitel des Films:

  • [Was ist] rituelle Gewalt in satanistischen Sekten
  • Wie funktioniert der satanistische Kult?
  • Ist ein Ausstieg möglich?
  • Wie sieht Hilfe aus?
  • Rituelle Gewalt – mitten in unserer Gesellschaft?

Quelle: youtube, Bistum Münster

Dank den Rosenblättern, die uns auf das Video aufmerksam gemacht haben.

„Kultidentität“

Kultidentität.

Ein Begriff, den unsere Therapeutin geprägt hat. Ein Begriff der uns offenbar hilft das wie im uns zu verstehen. Kompliziert ausgedrückt? Ist es wohl auch. Trotz eines nicht zu verleugnenden Aha-Effektes bei den Ausführungen unserer Therapeutin, wirft es mindestens genau so viele Fragen auf, wie es zu beantworten scheint.

Wir sprachen über unsere Lebens- und (damit) auch Therapieziele. Wir sind schon einen langen Weg gegangen, haben ja schon einiges erreicht. Sind schon in einige Untiefen unserer Seele vorgedrungen, aber anstatt den Boden des Abgrundes erkennen zu können, scheinen wir (gefühlt) ein Fass ohne Boden zu sein.

Sein vielen Jahren suchen wir ja schon nach einer/m erfahrenen TherapeutIn, der/die bereit ist sich gemeinsam mit uns in diese Untiefen vorzuwagen.

Bisherige Therapien hatten eher „kosmetische“ Ziele. Jeder Therapeut machte uns deutlich, dass es zuerst wichtig ist, dass wir (möglichst unauffällig) in der Gesellschaft funktionieren (cool, da hätte meine Familie, als sie es herausfand gar nicht so ausflippen müssen, es wollten ja alle das gleiche)

Zunächst ging es darum die Essstörung zu überwinden, wen von dem krankhaften Untergewicht -> Ziel erreicht (gut, seien wir ehrlich, das Essverhalten ist immer noch gestört und was das Untergewicht betrifft sind wir über’s Ziel hinausgeschossen).

Es ging darum die Selbstverletzung, die damals massiv war und eingeschränkt werden musste, wenigstens der Schaden an Knochen und Weichteilen -> Ziel in dem Sinne erreicht. Selbstverletzung ist selten und passiert nur noch in Situationen mit großem Druck, die neu für uns sind (intensive Gefühle) und wo sonst wirksame Skills scheitern.

Es ging um die äußere Funktionalität. Von irgendetwas mussten wir ja leben, also war wichtig, dass wir auf der Arbeit zurecht kamen, dass wir nebenbei unser Studium bewältigen konnten und die parallel laufenden Ausbildung -> Ziel lange erreicht. Wir haben Skills gelernt mit bestimmten Triggern, die wir nicht vermeiden konnten umzugehen -> Ziel erreicht.

Wir haben gelernt uns als System zu akzeptieren, jede Menge Psychoedukation gemacht. Verstehen gelernt, warum das, was man hatte eben keine Schizophrenie ist, sondern Dissoziation. Das war wohl eher ein Nebeneffekt oder etwas, was wir einem damals noch sehr unerfahrenen, aber sehr verbissenen Therapeuten zu verdanken hatten (der uns davor bewahren konnte dauerhaft und ohne Aussicht auf Ausstieg in ein Programm für Schizophrene Menschen, die nicht mehr für sich sorgen konnten, zwangseingewiesen zu werden – man bedenke: damals hatten wir einen Job, eine gerade erfolgreich abgeschlossene Ausbildung und waren auch akademisch erfolgreich, dazu ein soziales Netz und tragfähige Beziehungen… aber das ist eine ganz andere Geschichte, damit könnte ich Bücher füllen und nicht nur ausschweifend vom Blog-Artikel Thema ablenken 😉 ). Dieser Therapeut leitet heute, 9 Jahre später übrigens recht erfolgreich eine wunderbare Institution, die sehr vielen psychisch Beeinträchtigten Menschen eine gute Stütze ist. Und auch wenn wir damals nur philosophiert und gemeinsam Unmengen an vorhandenem Material durchforstet haben, ihm die Freude einer (ein Jahr lang dauernden) ausführlichen Differentialdiagnostik gegönnt haben, so war das nicht ganz beabsichtigte Ziel: Erkenne dich selbst -> erreicht.

Auf sein Geheiß machten wir uns dann wieder auf die zermürbende Suche nach guten Traumatherapeuten. Oft wurden wir mehr oder weniger abgewiesen, weil z.B. noch der Studienabschluss ausstand. Das solle man doch bitte zuerst machen.

Den Therapeuten, den wir fanden, hat sich immerhin unserer angenommen. Auch hier war das erklärte Ziel: Äußere Funktionalität. Funktionalität über allem. Dennoch nahmen wir einiges für uns mit. Er hatte keine Ahnung, war aber in der Welt herumgekommen und brachte viele Sichtweisen in die Therapie mit. Häufig war uns beiden klar, dass das, was wir innerhalb der Therapie besprachen, erarbeiteten, usw. gelinde gesagt suboptimal war. Es half uns aber unsere eigenen Wege und Interventionen zu finden. Die eingeübten Imaginationsübungen nach Muster gingen nach hinten los? Also wurden neue geschrieben. Wir schafften uns Projekte und damit unfreiwillig die ersten Anläufe von Innenkommunikation und später sogar (steuerbarer) Co-Bewusstheit. Unsere Funktionalität verbesserte sich zeitweise -> sein Ziel erreicht (leider schien er es regelrecht persönlich zu nehmen, als dieses Korsett der äußeren Funktionalität begann zu knarzen und dann zu zerbrechen). Unser Ziel: ein Miteinander zu schaffen haben wir in den Anfängen – erreicht.

Damit können wir jetzt arbeiten. Mit vielen Innenpersonen und Gruppen (wir haben uns da die Begrifflichkeiten der Systemik, wie wir sie gelernt haben, angeeignet und bezeichnen solche Gruppen als Subsysteme, wir als ganzer Mensch, mit allen bekannten und unbekannten Anteilen, nennen wir System) haben wir die Möglichkeit in Kontakt zu treten. Wir können bedürftige Innenpersonen (z.B. traumatisierte Kinder) an innere, imaginierte, sichere Orte schicken oder – falls es (wie in den meisten Fällen) nicht funktioniert einen imaginierten sicheren Ort zu schaffen, so können sich andere Innenpersonen nach ihren Fähigkeiten kümmern.

Es ist also schon eine Basis vorhanden.

Für die jetzige Therapie haben wir klar gemacht, dass es uns kurzfristig nicht um „Frisur und Make-up“ geht, sondern, dass wir jetzt diese Therapie machen um dort zu graben, wo es vor sich hinschimmelt, dass man es bis nach draußen riechen kann. Was wir auch tun, das, was aus uns versucht wurde zu machen, das was wir auch sind, beeinflusst und heute kaum weniger als noch vor ein paar Jahren. So viele eingepflanzte Überzeugungen, die es fast unmöglich machen gesunde Entscheidungen zu treffen. So viel zerstörtes, dass man seine gesamte Energie darauf verwendet, dass es nach außen nicht so auffällt, dass man imitiert, wie man angemessene Gefühle äußert, dass man Nähe spielt, ohne je wirklich zu vertrauen.

Wir wissen um diese Untiefen. Wir wissen, wie man ein Kind seiner Bindung berauben kann. Ich weiß, dass ich meine Mutter bestimmt liebe, aber ich habe mich auch als Kind nie nach meiner Mami gesehnt, wenn ich krank war. Ich wollte nie zu ihr (oder einer der anderen „Bezugspersonen“) laufen, um ihnen zu erzählen, was der freche Andi heute in der Schule wieder angestellt hat. All diese Menschen waren mir egal. Und auch, wenn ich heute mit viel Mühe versuche eine Beziehung zu meiner Mutter (die übrigens nie aktive Täterin an mir war, sie war nur die unglückliche Seele, die mich austragen musste) aufzubauen, so trifft es mich doch immer wieder, wie egal es mir ist. Stürbe sie, so wäre meine erste Sorge, wie ich ihren Nachlass verwalten soll und wie man eine Beerdigung organisiert.

Für mich ist es eine dieser Abgründe. Mit Bindungen war ich schon als Kind nicht zu ködern. Einmal in unserem Leben, haben sich welche von uns „verwoben“. Ich hoffe es war nicht das letzte Mal.

So, wie schlage ich nun den Bogen?

Was mich ja eigentlich beschäftigte war der Begriff „Kultidentität“, der mich und uns auf so vielen Ebenen traf. Die Therapeutin sprach davon, dass es für uns notwendig ist, dass wir uns mit dieser Kultidentität auseinandersetzen. Zunächst war mir nicht ganz klar, was sie meint. Glaubt sie da gibt es einen einzigen Anteil, der sämtliches Gedankengut der RiGaG in sich vereint und mit dem müsse gearbeitet werden? Nein, so sieht sie es offensichtlich nicht. Sie sprach damit den Teil unserer Gesamtpersönlichkeit, des gesamten Systems an, der in der RiGaG entstanden ist, deren Gedankengut vertritt, der darin gefangen ist, aber noch mehr betonte sie die Anteile, die in der RiGaG ja ihre Heimat gefunden haben. Die dort jemand waren. Die Gefühle der Grandiosität, die mit bestimmten Aufgaben oder einfach dem „Stand“ einhergehen, das Ausleben von sadistischen Gelüsten. All die Widerwärtigkeiten, die man sehr gerne von sich abschiebt.

Ein weinendes und sich vor Schmerzen windendes Innenkind, dass gerade in einem Flashback eine Folterszene wiedererlebt mag für viele herzzerreißend sein. Aber der Mensch, der dieses Innenkind in sich beherbergt wird leichter Akzeptanz erfahren, als wenn statt des kleinen Kindes ein erwachsener Mann da steht, der süffisant grinst, deutlich macht, dass seiner Meinung nach alle anderen nur Bodensatz für ihn sind. Einer der  vielleicht mit Lust in seiner Stimme von Handlungen erzählt, die er noch gestern durchgeführt hat und die man hier nicht so ohne weiteres beim Namen nennen kann. Und es ist immer noch der gleiche Mensch, dessen Innenkind nur Stunden vorher Schutz unter einer Decke gesucht hat, sein Kuscheltier an sich nahm, den Daumen in den Mund steckte und nach seiner innerlich durchlebten Tortur endlich einschlief.

Das ist es also, was uns erwartet, wir schauen genauer hin. Arbeit mit der Kultidentität. Es geht um Bewusstseins- und Verhaltenskontrolle, wir mögen den Begriff „mind-control“ mit jedem Tag mehr, er erfasst mehr und ist doch deutlich kürzer. Wir wollten es ja auch. Wir wollten im zähen Morast waten, denn früher oder später breitet sich die Fäulnis aus dem inneren bis ganz an die Oberfläche durch – und so können und wollen wir nicht leben.

„Wollt ihr irgewann mal eins werden?“

„Wollt ihr irgewann mal eins werden?“ – Integration, Fusion, Volksunion, Kontemplation, Resignation?

Vor über einem Jahr (an dieser Stelle: bitte verzeih mir, dass es sooo lange gedauert hat) stelle Sherry eine Frage, die glaube ich auch jede(n) Multiple(n) früher oder später beschäftigt:

Hättet ihr denn gerne nur eine einzige Persönlichkeit? Oder könnt ihr euch die Beschränktheit der Normalos gar nicht mehr vorstellen?

Auch wenn hier wir darauf schon ein wenig ausführlicher geantwortet hatten, wollen wir das Thema erneut aufgreifen.

Ob die Fusion der Persönlichkeitsanteile, bzw. Innenpersonen, angestrebt werden soll wird für viele Multiple zur Gretchenfrage. Für die meisten Therapeuten ist die Verschmelzung eines multiplen Systems zu einer einzigen Persönlichkeit, also die Fusion (oft auch „Integration“ genannt, allerdings halte ich diese Bezeichnung für zu unpräzise, da eine Integration des Erlebens, des Wahrnehmens und Fühlens, sowie der erlittenen Traumata auch ohne eine Verschmelzung aller Identitäten eines Systems erreicht werden kann) das primäre Therapieziel. Viele Multiple haben das Gefühl, dass eine Entscheidung für eine Fusion ihr bisheriges Selbstverständnis in Frage stellt, selbst wenn der Wunsch nach „Normalität“ und einem einzigen Gesamt-Ich vorhanden ist so ist doch auch die Angst dia, dass mit einer Integration Eigenschaften, Wesenszüge oder Fähigkeiten bestimmter Innenpersonen verlorengehen, diese regelrecht “sterben”.

Das Thema Fusion eines multiplen Systems wirft eine ganze Reihe Fragen auf, die meiner Meinung nach auch geklärt werden müssen, und stellt sowohl den Therapeuten, als auch den Patienten vor immer wieder neue Probleme stellen.

Was geschieht mit den einzelnen Anteilen während und nach einer Fusion?

Diese Frage können am Besten Systeme beantworten, die bereits erfolgreich das gesamte System oder Teile davon fusioniert haben. An dieser Stelle kann und darf ich etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Wir sind etwas, was wir selbst als „spaltungsfreudiges System“ bezeichnen. Unter Druck, was alleine neue, ungewohnte Anforderungen sein können bis hin zu überwältigenden Erlebnissen, neigen wir dazu weitere Fragmente oder ganze Innenpersonen abzuspalten. Dieses Prozedere ist nicht immer dysfunktional, immerhin haben wir so über Jahrzehnte eine recht erfolgreiche akademische Laufbahn und sehr gute Leistungen im Job erzielt. Es ist nur furchtbar anstrengend. Auch ist es kaum einem „normalen“ einzelnen Menschen verständlich zu machen, wie anstrengend die pure Existenz, schon gar das Funktionieren ist.

Unser System ist verhältnismäßig groß (was sich höchstens in der Organisation auswirkt, man geht andere Wege. Schwerer scheint es definitiv nicht zu sein. Systeme, die ich kennengelernt habe und die „nur“ ca. 5 Innenpersonen hatte, hatten es für meine Begriffe deutlich schwerer Struktur ins System zu bringen) und so kommt es, dass nicht eine „Host“ oder Gastgeberpersönlichkeit oder eine ANP (ich muss das Buch „Das verfolgte Selbst“ von van der Hart, Nijenhuis und Steele noch fertiglesen, bevor ich da zu tief und zu falsch in die Materie einsteige – übrigens nicht schlecht was ich bisher las) die Situationen des Alltags meisterst, sondern eine ganze Gruppe Innenpersonen. Mittlerweile sind wir sogar in der glücklichen Position fast alle von uns zu kennen und in diversen Formen miteinander zu kommunizieren. Wir haben es gelernt uns aneinander anzupassen, Wechsel möglichst fließend zu gestalten, so, dass wir nicht auffällig sind. Bei geschulten Therapeuten oder dem besten Nicht-Ehemann von allen hilft das oft wenig (gerade was Therapeuten betrifft, da fuchst es uns schon, wenn da jemand JEDEN erkannt hat, der auch nur ein halbes Wort beigesteuert hat… und es freut zur gleichen Zeit 😉 . Andere Menschen erkennen nur radikalere Wechsel, die nicht den Alltag betreffen und selten beabsichtigt sind.)

Wie üblich: laaange Vorrede.

Nun zu dem, was ich eigentlich berichten wollte. Nein, es ist nicht so, dass unser gesamtes System zu einer einzelnen Person verschmolzen ist (sonst hätte der Blog auch einen anderen Namen), aber wir hatten einen Vorgeschmack darauf, wie es sich wohl anfühlen könnte, wenn wenigstens einzelne Gruppen von uns verschmelzen.

Ohne unser aktive Zutun, ohne Therapeuten, Kliniken oder andere professionelle Helfer, passierte es vor ca. 1 1/2 Jahren dass die etwa 20 Innenpersonen, die derzeit das Alltagsteam (so bezeichnen wir es) ausmachen langsam aber stetig zusammenwuchsen. Anfänglich wurde es erst gar nicht bemerkt. Der beste Nicht-Ehemann von allen war der erste, der die Veränderung bemerkte. Immerhin hatte er täglich mit diesen Innenpersonen zu tun.

Wir sprachen über seine Beobachtungen, beobachteten uns selber, fühlten nach usw. und stellten fest, dass aus diesen 20 Innenpersonen im Laufe einige Wochen eine Einzige geworden war. Es war nicht so, dass irgendjemand oder irgendetwas verloren ging, im Gegenteil. Als Gesamtheit haben wir einiges gewonnen, hauptsächlich mehr Energie oder Kraft oder wie immer man es nennen möchte. Ich schreibe jetzt von mir als Beispiel für das Empfinden dieser einzelnen Person und das empfinden der Innenperson, die lediglich einen Teil des Alltagsteams darstellte. Ich war ja eine von ihnen.

Ich weiß, ich kann nur von uns reden.

Nichts ging verloren. Kein wissen, keine Persönlichkeitseigenschaften, keine Fertigkeiten. Das hat uns sehr viele Ängste genommen.

Vorher, als Team, als Gruppe von Leuten, wenn wir dann jemanden benötigten, der ordentlich Pigmente zusammenmischen konnte, dir rückwärts den Pschyrembel (253. Auflage) herunterbeten konnte oder der in der Lage war ein Essen zuzubereiten, das tatsächlich genießbar war… ja dann wartete man, versuchte die Person zu kontaktieren und hoffte, dass die Situation (z.B. Küche, Kochtöpfe oder ein breit grinsender Professor in seinem winzigen Konferenzraum, aka Büro) genügend „Trigger“ für die passenden Innenperson sei.

Nun war es so, dass die Anforderungen die gleichen waren, nur waren all diese sonst beteiligten Innenpersonen ein einziges „Ich“. Da ich nun mal eine dieser ca. 20 war, mitverschmolz, war das ein neues und regelrecht aufregendes Gefühl. Ich wusste auf einmal all die Dinge, die Reiner* weiß, ich konnte, was Katja tat, war so launisch wie Dunja und so liebenswürdig, gerade zu fremden, wie Helene. Natürlich nicht alles auf einmal, oder können sie Balken zurecht sägen, während sie das Mittagessen kochen und einen Plausch mit einer älteren Dame auf der Straße führen? Im Grunde hatte sich wenig verändert. das „Ich“ funktionierte ein wenig reibungsloser – und auch hier waren Abstriche zu machen. Wir sind doch alle nur Menschen. Es war aber nicht die Funktionalität, vor allem war es die Energie und Kraft die diesem neuen Individuum zur Verfügung stand. Niemand ging verloren. Reiner war genauso das „Ich“, wie ich, Helene, Dunja, Katja und all die anderen. Als gemeinsames Ich hatten wir mehr Energie für uns zur Verfügung als jeder Einzelne vorher alleine

Leider hielt dieser Zustand nur einige Wochen und wir zerfielen wieder in unsere Einzelteile. Das machte nichts. Es war eine wundervolle Erfahrung und auch wenn die Gesamtheit unseres Systems eine vollständige Fusion weder für möglich noch für sinnvoll hält, so steht es doch jedem frei mit anderen danach zu streben.

Hat die Fusion einen Einfluss auf eventuelle komorbide Störungen?

Die Zeit war sehr kurz und die neuen Erfahrungen überwogen. Ich bezweifle, dass eine Fusion Einfluss auf andere Persönlichkeitsstörungen hat. Aus Erfahrungsberichten anderer weiß ich, dass sich die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung, bzw. der sog. Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung nicht verbessert haben und die eigentliche therapeutische Arbeit er nach der Fusion hätte beginnen sollen. Die Patienten kennen neben der Dissoziation wenig andere Strategien um mit den Belastungen im Leben fertig zu werden. Der „Fusions-Boom“ in den USA in den späten 80ern und 90ern hat seine Spuren hinterlassen. Als fusioniert und damit geheilt entlassene Patientinnen, leben eine Weile ihr Leben, aber bei der nächsten Krise zerbrach die Gesamtpersönlichkeit wieder, teilweise sogar in weitaus mehr Fragmente, als ursprünglich da gewesen waren.

Ich glaube nicht, dass es viele komorbide Störungen gibt, auf die eine Fusion Einfluss hat. Depressionen vielleicht? Das ist aber nur meine Vermutung, weil ich während der Zeit der Fusion, mit nur einem winzigen Teil meines Systems deutlich weniger Erschöpfung wahrgenommen habe und das Leben mir auch etwas „bunter und farbenprächtiger“ erschien, weil ich es gleichzeitig durch „andere“ Augen sehen konnte.

Was verändert sich für den Patienten, wenn er fusioniert hat?

Vieles habe ich oben erläutert. Es ist natürlich nur meine eigene Erfahrung und ich brenne darauf auch mit anderen Multiplen zu sprechen oder anderweitig direkt zu kommunizieren, die ähnliches erlebt haben oder vielleicht sogar ganz fusioniert haben.

Laut meiner Erfahrung wird sich wenig ändern, was die Barrieren im Kopf verschwinden lässt, aber auch dazu führt, dass man sich mit vielem, was einem vorher nicht bewusst war auseinandersetzen darf oder muss (Emotionen, (Körper)Empfindungen, Kognitionen die einander widersprechen, unterschiedliche Selbst- und Weltbilder, usw.) und das sind ganz neue – und wichtige – Herausforderungen

Wie kann ich eine Fusion erreichen?

Therapeuten hier mit Ahnung? Bitte vortreten!

Ich habe im Laufe der Jahre schon viele Therapeuten und solche, die es gerne wären, kennengelernt und jeder hatte da so seine eigenen Techniken eine zersplitterte Persönlichkeit wie die meine zusammenzufügen. Da waren die Geistlichen, die zu ihrem Gott beteten. Als das nichts half, so schickte man mich zu den Charismatikern (heidenei, das gab Beulen) und betete in Zungen (oder das, was der unaufmerksame Bibelstudent dafür hält… Grundgütiger, studiert wenigstens die Texte, auf die ihr euch beruft *seufz* ), auch ein Katholik, jung an Jahren, war schnell dabei seinen wahrscheinlich ersten Exorzismus durchzuführen. Er las in der Bibel von den Dämonen und war (wie die meisten anderen fundamentalistischen Christen, die eine gute Beobachtungsgabe besitzen) überzeugt, ich trage den Dämon Legion (wer’s wissen will: Markus 5 Vers 9 aus der Elberfelder Bibel, findet sich auch in Lukas 8 Vers 30 – übrigens die erste mir bekannte schriftliche Erwähnung des Phänomens der multiplen Persönlichkeit) in mir. Schweine waren wohl gerade nicht zur stelle, aber der gute Mann schritt zur Tat. Es schien wohl nicht in gewünschtem Maße zu helfen. So tut der gute Christ, was der gute Christ tut – er schickt seine gleichaltrige Tochter zu mir um mir mitzuteilen, dass ich „okkult vorbelastet“ sei (wäre ich’s nicht vorher gewesen, nach den 7 Jahren war ich’s bestimmt) und ich solle mich „bebeten“ lassen oder besser doch den Kontakt abbrechen. Das Mädchen tat mir unendlich leid.

Das sind weder Witze noch Übertreibungen um einen Blog interessanter zu gestalten. Das war meine (frühe) Jugend.

Im jungen Erwachsenenalter begegnete ich dann den anprobierten Quacksalbern ihrer Zeit, Psychiater, Neurologen, Psychologen. Ich hatte dort auch Glück und all das habe ich einer lieben Freundin und Mentorin zu verdanken, ohne die ich damals die richtige Therapeutin nie gefunden hätte. Die war echt in Ordnung.

Aber wieder zurück zu der Frage, wie mache ich aus so einem gestörten Etwas eine Person, die den Normen der Gesellschaft entspricht. Jedenfalls war das in aller Regel der Tenor. Wie es mir und uns dabei ging wurde nicht einmal gefragt. Wir waren nicht normal, damit krank und das müsse geändert werden (lest doch bei Interesse einfach mal einen Artikel aus dem Blog „vieleineinerhülle“). Es gab da die abenteuerlichsten Herangehensweisen. Hypnose, bestimmte Mantras, das simple durchlaufen einer Psychoanalyse und ein Verhaltenstherapeut war der Meinung (oder hoffte), dass ich ihm nur alles schlimme, was mir je widerfahren sei erzählen müsse, und dann hätten wir die Fusion automatisch nach allerspätestens 2 Monaten. Ja. Is klar, ne.

Ist eine Fusion, all das betrachtet, dann überhaupt sinnvoll?

Hey, Ich hätte gerne etwas mehr Fusion. Wenigstens in Teilen und natürlich auch nur mit und für die, die es auch wollen. Für uns war es eine positive Erfahrung. Ich würde mich gerne wieder so „stark“ fühlen, nicht immer chronisch müde und antriebslos. Vielleicht könnte eine Fusion mit einigen Gleichgesinnten helfen.

Ich glaube auch, dass eine erzwungene Fusion nie gut für Körper und Seele ist. Wenn die Seele bereit ist, wird es automatisch passieren – ohne Schaden anzurichten. So ist es meine aktuelle Meinung. Ich lese, ich erfahre, ich lerne und so ist auch meine Sicht auf dieses Thema bis zu einem gewissen Grad (da wo er sich noch mit den Menschenrechten vereinbaren lässt) dynamisch

*Ihr kennt mich, ich verändere auch Namen von Innenpersonen 😉

Ein Jahr „Pandy’s“ Vitrine

Kaum zu fassen aber war, vor einem Jahr, einer Woche und einem Tag, habe ich hier das erste mal etwas geschrieben und damit meinen ersten Blog eröffnet (hätte ich mit diesem Posting noch einen Monat warten sollen? Hätte definitiv noch cooler geklungen :mrgreen: )

Mein Postfach quillt über, einigen von euch konnte ich schon antworten. Alle anderen bitte ich um etwas Geduld – oder schreibt mir einfach noch mal, nicht dass ihr mir aus versehen verloren gegangen seit.

Jetzt ist es auch schon wieder drei Monate her, dass ich den Blog mit Inhalt gefüllt habe, der mir auch wirklich wichtig war und nahe ging.

Gelobet sei die Dissoziation, die ja nicht nur für das Aufpalten von Menschen in verschiedene Teilpersönlichkeiten verantwortlich, sondern in meinem Fall das, was mühsam zusammengefügt wurde, wieder fein säuberlich trennt und mir jegliche Erinnerungen nimmt, sowohl an die Inhalte der Themen aus der Kategorie „Kabinett“ als auch die simple Tatsache, dass sie tatsächlich geschrieben wurden. Ich musste einiges kurz überfliegen, nur um mir sicher zu sein, dass ich nicht geträumt habe zuzulassen, dass „böse Dinge“, Dinge über die man mit „denen da draußen“ nicht spricht, ja nicht einmal wirklich mit den Involvierten der Familie oder außenstehender Täter. Wenn man darüber sprach, dann nur unter Aufforderung und fast nie ohne mehr oder weniger geschickte Suggestivfragen (á la „Du magst es doch gern wenn der Günter dich so lieb streichelt, da freust du dich die ganze Woche drauf, nicht wahr?“)

Das erste Blogger-Jahr, werde ich nicht großartig kommentieren. Es hat mir viel geholfen. Ich habe mir sozusagen selbst vor Augen führen können, was offensichtlich – wenn auch in einer deutlich abstrakteren Form – schon in meinem Verstand vorhanden war. Privat hat mir das Jahr viel Neues und/oder „einfach sehr Anderes“ gebracht. Auch wurde ich und habe mich selber mit vielen Themen konfrontiert, die ich hier gerne näher beleuchten möchte.

Viele sind zunächst allgemein philosophischer Natur:

„Wer bin ich?“
„Was ist das ‚Ich'“
„Zu was bin ich fähig, im Guten wie im Bösen“
„Was ist eine gesunde Sexualität, wie erfahre ich ob ich eine habe und wenn dem nicht so ist, wie erreiche ich das“
„Wie lernt Mensch zu vertrauen, wenn er klein ist, wie ist es, wenn er erwachsen ist?“
„Zu was kann ich gebracht/getrieben werden und was oder wie lange braucht es dazu (Stichwort Bewusstseins- und Verhaltenskontrolle, bzw. mind-control)?“
„Zu welchen Methoden greifen welche Organisationen um Menschen unter Kontrolle zu bringen?“
„Was motiviert solche Organisationen oder RiGaGs?“
„Wann verliert die Ware Mensch ihren Wert für die Organisation?“
„Wie löse ich mich aus solchen Netzwerken von RiGaGs, Organisationen von Tätern, involvierten Familien oder Einzeltätern

Mit dem Hintergrund der Themen, mit denen ich mich hier beschäftige, nämlich Störungen im Identitätserleben, gestörte Familienstrukturen mit psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt, organisierter Menschenhandel, Gewalt als Bestandteil ritueller Handlungen von Kulten mit den verschiedensten Ideologischen Unterbauten, bekommen viele der Fragen – wenigstens für mich – eine ganz neue Dimension.

Ich freue mich, dass sich für diesen Blog einige Gastschreiber bereit erklärt haben das ein oder andere Thema aus ihrer Sicht zu beleuchten.

…und wenn ich mir nun doch einen Therapeuten suche?

Eine Ebene meines Selbst hat mit dem Thema endgültig abgeschlossen. Uns therapeutisch Hilfe zu suchen war – wenn es nicht kläglich scheiterte – selten so hilfreich, dass ich sagen würde die Kosten, die die Krankassen dadurch haben rentieren sich. In dem Artikel „Therapie oder nicht Therapie; das scheint hier die Frage“ sind wir schon einen kleinen Teil unsere persönlichen Frustes losgeworden. Das Lesen der Blogs der Mosaiksteinchen, Rosenblätter und Paulines konfrontiert und auch im Außen mit Themen, die innerlich täglich gewälzt werden. Auch hier bin ich wieder dankbar für dieses Blogphänomen. Es regt ungemein zum Denken an, man experimentiert für sich im stillen Kämmerlein, man lässt Hoffnungen wachsen.

Und ich? Ich schäme mich. Denn ich möchte das nicht mehr alleine durchstehen. Ja, verdammt noch mal, ich wünsche mir eine/n Therapeuten/in, der/die bereit wäre mit uns all die Probleme anzugehen, die es uns nicht erlauben ein größtenteils unbeschwertes Leben zu führen.

Ja, wir können ja schon so viel. Wir sind als System ja schon so unglaublich integriert, weil wir eine teilweise Co-Bewusstheit geschaffen haben und so furchtbar normal aussehen (das ist kein WITZ, so traurig das auch ist, so messen moderne Gutachter und Therapeuten „Erfolg“).

Und nein, wir brauchen keinen der uns imaginative Stabilisierungsübungen beibringt. Da die selten ihren Zweck erfüllten, haben wir unsere eigenen erfunden. Funktioniert.

Und jetzt?

Stabilisierung ist das weiteste, was selbsternannte Traumatherapeuten bereit sind zu gehen.

Ich wurde Zeuge von Therapeuten mit Therapien, die auf Menschen mit einer dissoziativen Persönlichkeitsstruktur abgestimmt war, Zeuge davon, dass sich nicht jeder von Klienten mit einem Hintergrund in organisierter Gewalt oder bekannten destruktiven Sekten abschrecken lässt.

Die lies in mir den Wunsch erstarken auch so etwas haben zu wollen. Wie angemessen das ist, kann ich nicht beurteilen. Logische Überlegungen sagen mir, dass ich eine geringe Chance habe, da ich nur einige wenige Therapeuten eines solchen Kalibers in der Nähe habe. Die alte Denkweise, die das meiste meines Bewusstseins ausfüllt, weil sie einfach überall ist sagt mir:

Du Dummerchen. Hast du noch immer nichts gelernt? Du hast den größten Fehler überhaupt begangen: Du wünscht es dir. Du weißt doch, dass alles, was du dir wünschst, für dich in unerreichbare Ferne rückt. Schau nicht mich so trotzig an, schau dir dein Leben an, die letzten Jahre reichen. Nun blick mir in die Augen und sage ich habe unrecht.

Nein Erfolg erwarte ich nicht, aber ich habe ein Fünkchen Hoffnung, dass irgendwann dieser Fluch, der sich über unser gesamtes Leben legt durchbrochen wird, nur für einen kurzen Moment. Hoffnung soll ja allen Qualen trotzen (THX Mosaiksteinchen)

Ich tu es jetzt einfach. Es kann ja nur schief gehen und mein Frust wird dabei kaum vergrößert.Ich versuche unterzukommen, denn ich möchte Hilfe mit den Sachen, die mir alleine über den Kopf wachsen. Es sind sehr erfahrene Therapeuten dabei, ich hatte das Privileg in der Vergangenheit in meist anderen Zusammenhängen gute Gespräche mit ihnen zu führen.

So hab ich Santa gespielt und mir eine Liste gemacht. Die ließ sich schnell ausdünnen. Übrig geblieben sind 5 Therapeuten im Umland. Zwei kenne ich bereits ein wenig und dass der eine sich noch an mich erinnert hat uns doch etwas gut getan, zumal der letzte Kontakt (anderer Zusammenhang) über acht Jahre her ist.

[Namen natürlich wie immer geändert]

Wir haben da den Therapeuten Christoph Amundsen. Wir hatten das Glück sehr schnell ein Vorstellungsgespräch bei ihm zu ergattern. Es befremdete ihn in der Anamnese zunächst, dass wir wohl mit einer relativ stoischen Geduld über Jahre hinweg immer wieder auf der Suche nach einer hilfreichen Therapie sind. Schien ihm noch nie untergekommen – was uns etwas befremdete, aber das passiert, wenn man vergisst nicht von sich auf andere zu schließen. Er ist ein älterer Mann, eine gewisse Lebenserfahrung setzen wir hier voraus aber es zeigte sich schnell, dass er mit unserem Hintergrund insgesamt vollkommen überfordert wäre. Er nahm uns dennoch auf seine Warteliste auf, die laut seinen Aussagen und Entschuldigungen sehr lang sei – wir finden ein Jahr im Vergleich wirklich Kindergeburtstag.

Herr Amundsen verwies mich in unserem gemeinsamen Gespräch an eine Frau Christine Brecht und bot an, dass ich ihn dort als Referenz angeben dürfe. Frau Brecht interessiert mich sehr. Sie nutzt Methoden in der Traumatherapie, die uns zum einen neu sind und zum anderen sehr danach klingen auf uns zu passen. Sie ist Analytikerin und würde so abrechnen. Ist etwas organisatorisches aber ein definitiver Bonus. Ich hoffe sehr, diese Frau bald kennenzulernen

Herr Amundsen empfiehlt mir genauso wie Frau Bender, die ich aus anderen Gründen einige Wochen zuvor besuchte, einen gewissen Herrn Dr. Richard Crumbiegel. Für uns nichts neues, wie kennen ihn ein wenig, halten seine therapeutische Arbeit für effizient und wir geben zu, dass wir mehr als Glück brauchen um den nächsten freien Termin zu ergattern. Wir sind ja überhaupt froh, dass er im Moment Patienten aufnimmt.

Als wir vor vielen Jahren schon einmal suchten, verwies er uns an seine Kollegin Cornelia Degen. Wir mochten sie auf Anhieb und hatten auch das Gefühl, sie würde und genügend hart rannehmen und auch über das nötige Hintergrundwissen verfügen. Wir haben bereits fast 2 Jahre auf ihrer Warteliste verbracht, bevor wir die Entscheidung trafen und mit einer weniger geschulten Therapeutin zu arbeiten. Wir würden gerne mit ihr arbeiten, wenn wir es nicht schaffen bei Dr. Crumbiegel unterzukommen und da wir sie bereits kennen, würden wir auch den weiteren Weg in Kauf nehmen.

Es gibt noch Sabrina Ebermann, allerdings wissen wir noch nicht viel über diese Therapeutin. Wir lassen uns überraschen.

Ja, ICH hoffe auf eine angemessene Therapie. Ich muss lernen meinen Frust beiseite zu schieben, sonst ist alles zum scheitern verurteilt

Orpheus ohne Rückfahrschein

Als mir bewusst wurde, dass das, was ich seit meiner Kindheit erleb(t)e Gewalt und Missbrauch ist (es mag paradox klingen, ich kannte die Begriffe, wusste, was dazu im Wörterbuch stand, konnte sie aber lange nicht mit dem, was ich erlebte, in Verbindung bringen), fiel es mir noch schwer die Folgen für mich in meinem Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln zu erkennen.

Ich lernte dann, dass das, was ich erfahren hatte, traumatisierend war. Ich lernte den Begriff Psychotrauma und erfuhr von Ärzten, dass ich offenbar unter einem solchen litt. Man erklärte mir dazu kaum etwas, aber ich habe mein Graecum und wusste, dass „Psychotrauma“ übersetzt in etwa „Verletzung der Seele“ bedeutet. Eine Vertraute schickte mir ein Selbsthilfebuch aus dem ich lernte, was es bedeuten kann traumatisiert zu sein. Ich lernte, dass viele meiner Verhaltensweisen, Gefühle und meiner Denkmuster Folgen der erlittenen Gewalt und dem Aufwachsen in einer dysfunktionalen Familienstruktur waren. Bis dahin war ich der Meinung dass ich so war, wie ich bin, weil ich einfach schlecht war. Ängste, Zwänge, Tics und Anfälle waren für mich Zeichen, dass ich wohl einfach mit einem „minderwertigen“ Gehirn geboren worden war, Depressionen ein Zeichen von Faulheit, scheinbar irrationale Verhaltensweisen ein Zeichen für Dummheit und die furchtbaren Bilder in meinem Kopf, die mich Tag und Nacht quälten zeigten doch nur zu deutlich, dass ich zu all dem anderen offenbar auch verrückt und wahnsinnig war.

Schnittwunden kann man nähen, Abszesse kann man eröffnen und gebrochene Knochen lassen sich schienen. Wenn sich körperliche Wunden heilen lassen, dann muss es doch auch Wege geben die seelischen zu heilen. Das schien mir logisch und ich machte mich auf den Weg der Heilung. Ich suchte mir neue therapeutische Unterstützung, kaufte Bücher, lieh Fachartikel, ging in Selbsthilfegruppen, denn ich wollte wissen, was auf mich zukommen sollte.

Immer wieder hörte ich, dass ich noch einmal zurück in die Hölle müsse, mich meinen Dämonen stellen, sie mir betrachten, sie mir bewusst machen, um dann gestärkt, genesen, integriert wieder zurückzukehren.

Ich schnürte meine feuerfesten Wanderschuhe und stieg hinab.

Wie bei fast allen neuen Wegen, die ich beschreite, begleitete mich eine Naivität, die dem härtesten Rocker die Milch einschießen lässt, und ein merkwürdiger Optimismus, der nur Kopfschütteln verdient hat. Dass ich dennoch Panik schob, ist für mich kein Widerspruch. Wie schlimm konnte es schon sein sich mental in die Hölle zu wagen und die Dämonen betrachten, wenn man mit dem ganzen Rest seines Seins noch immer in ihren Tiefen feststeckte.

Auf der Reise stellte ich fest, dass die von mir betretene Unterwelt aus Ebenen oder Schichten bestand, wie eine Zwiebel oder die Höllenkreise aus Dantes Inferno. Nur unterschieden sich die Kreise, die ich nach und nach betrat, nicht darin, wer dort gepeinigt wurde, sondern darin, was ich erneut und doch ganz anders zu erleben hatte.

Ich pflegte stets zu sagen, dass es nicht so schwer sein würde sich mit mir und meinem Hintergrund auseinanderzusetzen, schließlich sei das Schlimmste die Gewalt und der Missbrauch selbst gewesen. Je tiefer ich aber in die Abgründe meiner Herkunft und meines bisherigen Lebens eintauchte, desto klarer wurde mir, dass dieser Glaubenssatz, an den ich mich wie eine Ertrinkende klammerte, nicht der Realität entspricht. Was zu stimmen scheint ist, dass mir jetzt weniger Schaden zugefügt wird. Es werden nicht konstant neue Wunden geschlagen. Es tut aber nicht weniger weh. Auf eine ganz bestimmte Weise ist es schlimmer. Während ich aufwuchs und solange ich noch körperlich in den destruktiven Strukturen meiner Familie und der RiGaG feststeckte wurde alles, was ich dort erlebte – Dissoziation sei Dank – in kleine, feine Päckchen aufgeteilt und getrennt voneinander in meinen Hirnwindungen abgespeichert. Nun aber soll oder will ich verarbeiten. Was das bedeutet wird mir mit jedem Schritt, den ich wage, klarer. Einer der ersten Therapeuten, die ich aufsuchte, sagte mir ich müsse über das, was mir widerfahren ist, reden. Wenn ich das täte, wäre ich geheilt. Aus der multiplen Persönlichkeit würde automatisch eine einzige, ganze, unbelastete Person werden, wenn ich alles ausspreche.

Die Dinge beim Namen zu nennen ist ein wichtiger Schritt, aber nach meiner Erfahrung nicht alles und auch nicht so einfach, wie es zunächst scheint. Es ist schwer jemanden zu finden, der sich das, was man zu sagen hätte, anhören kann und will. Der erwähnte Therapeut stellte nach kurzer Zeit fest, dass er sich den Inhalten nicht gewachsen fühlt und damit war er auch nur einer in einer langen Reihe Ärzten und Therapeuten in ambulanten und stationären Settings, die mir rieten doch endlich über die Traumatisierungen zu sprechen – aber bitte woanders.

Fall man doch das Glück hat einen Ort zu finden, wo man aussprechen dürfte, was einem auf der Seele brennt und was einen so sehr geprägt hat, dann finden sich noch genügend innere Barrieren, die das zu verhindern wissen. Oft kennt man keine Worte, die annähernd beschreiben könnten, was man erlebt hat. Man hat ja nie darüber geredet. Es fehlt das Vokabular, denn vieles findet keine Entsprechungen im normalen Alltag. Zudem ist man lange darauf trainiert worden niemals auszusprechen, was hinter den verschlossenen Türen vor sich geht. Man muss kreativ werden, um diese Schweigegebote zu umgehen, viel Geduld mitbringen und Vertrauen lernen, um sie zu durchbrechen.

Reden ist wichtig um sich die Gründe für das Trauma bewusst zu machen. Reden allein ist aber nicht der ganze Verarbeitungsprozess, es kann ihn lediglich auslösen oder ein Teil von ihm sein. Will ich „heilen“, das Trauma integrieren, muss ich das, was dissoziiert wurde, re-assoziieren. Was abgespalten wurde, muss wieder zusammengesetzt werden. Eine Erinnerung besteht aus verschiedenen Ebenen, (Körper)Empfindung, Emotion, Fakten, Bilder und Bedeutung des Geschehenen. Bei dissoziierten Erinnerungen an traumatische Erlebnisse sind diese Ebenen voneinander getrennt. Zu einigen Erlebnissen habe ich nur einige Bilder, weiß aber nicht was eigentlich passiert ist. Getrennt davon sind Emotionen, Empfindungen oder das Faktenwissen. Bei uns ist es aufgrund der dissoziativen Persönlichkeitsstruktur so, dass die Ebenen dieser Erinnerungen auf verschiedene Personen verteilt sind. Eine empfindet immer wieder starke Schmerzen in den Fingerkuppen, ohne zu wissen warum. Eine zweite Person sieht vor sich Bilder von einer fixierten Hand und einer Zange, die an einem Fingernagel ansetzt. Eine dritte weiß, dass ihr die Fingernägel gezogen wurden und wieder jemand anderes weiß, dass dies getan wurde um für ein ganz bestimmtes Fehlverhalten zu bestrafen. Hass auf die Täter, Scham, weil man bestraft werden musste oder der Ekel vor den eigenen blutverschmierten Fingern werden von weiteren Innenpersonen getragen.

Man dissoziiert das Erleben, weil alle Aspekte auf einmal in dem Moment zu viel für die Psyche sind. Für uns stellt sich immer wieder die Frage, ob wir eigentlich vollkommen wahnsinnig geworden sind, wenn wir versuchen ein Ereignis mit all dem, was einzelne von uns dazu beitragen konnten, zu rekonstruieren. Gefoltert zu werden und zu dissoziieren ist leichter als alle Aspekte dieses Ereignisses auf einmal zu erleben. Es zerreißt einen förmlich, wenn man die Schmerzen spürt, das Gesicht des Täters vor sich sieht, durchgeschüttelt von widersprüchlichen Gefühlen und alles in dem Wissen, dass es hier keinen tieferen Sinn zu finden gibt. Warum hat er das getan? Weil er’s kann.

Je länger ich mich auf dieser Reise in meine Unterwelt befinde, je tiefer ich vordringe, umso deutlicher wird, dass mein halb gescherztes Motto „einmal Hölle und zurück, bitte“ nicht mehr ist als das – nämlich halb gescherzt. Es gibt kein Zurück. Nach all dem, was ich gesehen, gefühlt, erkannt habe kann ich nicht zurück. Zurück bedeutet zurück zum Leugnen, zurück zum abgespalten Leben, zurück zum verzweifelten Versuch wenigstens einen Anschein von Normalität zu schaffen. Selbst wenn ich das wollen würde (und noch gibt es immer wieder Phasen, in denen ich mir das wünsche), ich könnte es nicht, egal wie sehr ich mich anstrengen mag.

Es bleibt mir nur tiefer in die Hölle einzudringen, bis ganz auf den Grund und dann noch ein Stück tiefer, immer in der Hoffnung, dass sich ganz weit unten ein neuer Ausgang verbirgt.

Verarbeitungsphase

Im Moment ist es hier ein wenig stiller.

In den letzten Wochen und Monaten haben wir einiges an Texten und Inhalten generiert und uns damit auch zwangsläufig auseinandergesetzt. Noch achten wir sehr darauf hier im Blog nicht allzu privat zu werden. Nicht zu intim – so paradox das vielleicht auch klingen mag, denn die hier behandelten Themen sind sehr persönlich. Was ich damit aber sagen möchte ist, dass wir, wenn wir hier schreiben, uns in aller Regel bemühen viel emotionalen Abstand zu halten. Ein bisschen Ironie, ein bisschen Sarkasmus, möglichst sachlich bleiben, all das hilft gut kurzfristig die Illusion zu kreieren, dass „das alles“ einen selbst nur marginal tangiert. Wir nähern uns der Thematik rituelle Gewalt, destruktive Familienstrukturen und systematischer Missbrauch wie einem Gedankenexperiment, wobei wir oft verdrängen, wie sehr unser eigenes Leben davon beeinflusst ist. Mit dieser Haltung schreiben wir hier und – durch das Bloggen angeregt – diskutieren wir mit Familie und Freunden (was wir im Übrigen als sehr produktiv wahrnehmen).

Ab und an und momentan verstärkt trifft uns die Erkenntnis, dass das tatsächlich unser Leben ist und was eigentlich alles ge- und zerstört ist, wie ein Faustschlag in die Magengrube. Dann ist es mit sonst gut aufrechterhaltenen Distanz zur eigenen Geschichte vorbei. Dann werden auch die emotionalen Dimensionen dessen, was wir sonst „nur wissen“, deutlich. Wir wissen, dass wir wahrscheinlich nie ein unbeobachtetes Leben führen werden, dann aber fühlen wir wir es auch.

Wir stecken gerade wieder in so einer Verarbeitungsphase. Das passiert in unregelmäßigen Abständen. Wir beschäftigen uns damit, wie es für uns war in unserer Herkunftsfamilie aufzuwachsen, wie sich systematische Folter und mind control auf der einen Seite und die Unberechenbarkeit der häuslichen Gewalt auf der anderen auf uns, unsere Wahrnehmung, unsere Denkstrukturen und unser Verhalten ausgewirkt hat. Wir erleben gerade lange verschüttete oder abgespaltene Emotionen, wenn auch eher in der „dritten oder vierten Reihe“, quasi im Hinterkopf, während man sich vorn versucht stabil zu halten und seinen (im Moment zugegebenermaßen sehr schönen) Alltag so gut es geht zu leben. Auch der Körper reagiert, „macht mit“. Wir erleben Furcht, Wut, Verwirrung und auch einige körperliche Schmerzen, die zu vergangenen Ereignisse gehören, wieder. Einige unserer Verhaltensmuster und verinnerlichten „Mantras“ werden uns deutlich. Wir verstehen ein wenig mehr.

In den stilleren Stunden wird all das noch deutlicher, noch plastischer, noch realer. Viel Schlaf gibt es so gerade nicht. Es ist erschreckend und wahrscheinlich würde ich hier durchdrehen, wenn ich nicht mittlerweile gelernt hätte, dass, bevor wir innerlich vollständig überflutet werden und zu ertrinken drohen, die altbewährten Schutzmechanismen greifen. Dissoziation, dein Fallschirm und dein Rettungsboot.