DIS ist…#12

DIS ist… im Buchladen Richard David Prechts „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ im Regal zu sehen, laut die Anzahl der eigenen Innenpersonen brüllen, mit erhobenen Fäusten triumphierend aus dem Laden auf die Straße zu laufen, wo dir jemand laut „Schizo“ hinterher ruft.

Neulich in der Innenstadt

Falls es noch keinem aufgefallen sein sollte: es weihnachtet gar sehr (sprach’s und warf ein paar künstliche Schneeflocken in den viel zu warmen Dezemberhimmel). Und auch, wenn sich der Hype, den wir veranstalten, arg in Grenzen hält, das ein oder andere Geschenk, möchte wenigstens für die Kinder der Familie besorgt sein (wobei wir enormen Spaß hatten, besonders unsere Innenkids).

So zog dann unsereiner mit ner Menge Ideen im Kopf und bewaffnet mit EC- und Kreditkarte todesmutig gen völlig überfüllter Fußgängerzone in der örtlichen Innenstadt.

Überfüllte Fußgängerzonen zeichnen sich dadurch, dass sie eine ganze Menge Menschen beinhalten („Ernsthaft?“ „Ja, ich sag’s dir doch“ „Schockierend!!!“). Unsere Stadt ist verhältnismäßig übersichtlich und wir leben seit mittlerweile 15 Jahren dort. Dadurch, dass wir wir über die Jahre hinweg in den unterschiedlichsten Netzwerken aktiv waren oder auch noch sind (Sei es durch unsere Musik, Uni, Kirchengemeinde oder Job), haben wir eine Menge Bekannte. Und dadurch, dass sich diese Aktivitäten sich zum Teil auf bestimmte Innenpersonen von uns beziehen und nicht jeder andere von uns da immer Anteil nimmt oder nehmen kann, hat auch nicht jeder einen Überblick z.B. über die geknüpften Kontakte.

So begab es sich also, dass ein Pärchen in besagter Fußgängerzone recht zielstrebig auf uns zusteuerte. Sie winkte währen er laut: „Nina, hey Nina [sämtliche Namen von der Redaktion geändert], dich hat man ja schon ewig nicht mehr gesehen!“ rief.

Gut dachte ich mir, die scheinen wohl tatsächlich mich zu meinen, jedenfalls sehen sie auch beim Näherkommen nicht so aus, als hätten sie sich geirrt, meinen Namen trage ich in der Regel auch nicht auf einem Pappschild mit mir rum.

Ein verzweifeltes Wühlen in den eigenen Hirnwindungen begann, aber ich konnte die Gesichter beim besten Willen nicht zuordnen, ja nicht einmal erinnern. Aber gut, das kennen wir ja schon, passiert nicht zum ersten Mal (und auch nicht all zu selten), dass sich jemand von uns – in diesem Falle ich – sich mit einer Bekanntschaft einer anderen Innenperson konfrontiert sieht

Kleiner Zeitsprung:

Ich war ungefähr 8 Jahre alt und stand vor dem Haus meiner Klavierlehrerin, den „Czerny Krentzlin“ fest im Arm. Wie ich dort gelandet war, war mir auch damals nicht ganz klar, aber Amnesien und Zeitlücken gehörten zu der Zeit schon zu meinem Leben dazu und da ich nie etwas anderes kannte, war es meine „Normalität“. Da sich mein Finger bereits am Klingelknopf befand ging ich davon aus, dass wohl zum Unterricht gehen sollte.

Im Treppenhaus begegnete mir ein anderes Mädchen, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich. Sie kam freudestrahlend auf mich zu.
„Hallo Nina, du warst ja schon seit Monaten nicht mehr hier. Ich hab gehört du warst so schlimm krank.“

Ich habe wirklich angefangen zu schwitzen, als ich verzweifelt versuchte mich zu erinnern welche Krankheit das wohl gewesen sein mochte und stellte fest, dass ich keine Ahnung hatte, was in den vergangenen Monaten gewesen war. Es war eindeutig Herbst. Auf dem Hof vor dem Haus der Klavierlehrerin lagen überall Haufen mit braunem Laub. In meiner letzten Erinnerung war es noch später Frühling, ich durfte mit meiner Cousine und meinem Onkel zu Himmelfahrt eine kleine Wanderung unternehmen.

„Ja.“, sagte ich, „Es geht mir aber schon wieder viel besser.“ Und es fühlte sich wie eine Lüge an.

Erleichtert, dass diese Antwort das Mädchen zufrieden zu stellen schien, verabschiedete ich mich und steig weiter die Treppen zur Wohnung der Klavierlehrerin hinauf.

Danach war ich auch schon wieder „weg“.

Ich hoffte also in dem nun beginnenden Small-Talk einige Hinweise darauf zu finden, woher man nun dieses Pärchen kennen könnte.

Ich: „Oh, schön euch mal wieder zu sehen, wie geht’s euch denn?“ (Bloß allgemein bleiben, da kann man nicht viel mit falsch machen)

Sie: „Ganz gut soweit… und dir?“ (Wahnsinnig hilfreich)

Ich: „Sehr gut. Viel zu tun, neuer Job und so, aber macht wirklich Spaß.“

Er: „Oh prima, was machst du denn jetzt?“

Ich erzähle und bin derweil immer noch nicht schlauer wie und wo ich die beiden zuordnen soll. Stelle erneut eine Frage: „Und ihr beiden, was gibt’s bei euch Neues?“

Sie: „Wir haben ja im Sommer endlich geheiratet.“ Sie hält mir stolz ihren Ehering unter die Nase, ein hübsches und interessantes Stück geziert von einer kleinen, polierten Froschkönig-Krone. „Schau, die hat Tina für uns angefertigt.“ (Es wird wärmer. Tina, eine Goldschmiedin, kenne ich. Das schränkt den Kreis der Verdächtigen trotzdem nicht ein. Tina ist ein regelrechter „Socializing-Guru“.)

Er: „Wir hätten es ja schön gefunden, wenn du auch auf der Hochzeit gespielt hättest. Wann hört man denn mal wieder was von dir?“ (Aha, Musik. Eine – wenn auch nicht besonders nennenswerte – Einschränkung des Kreises der Verdächtigen.)

Ich entschuldige mich und erwähne, dass ich (will in diesem Zusammenhang heißen die normalerweise musizierenden Innenpersonen von uns) im Moment aus Zeitmangel ohnehin nicht viel aktiv mache, aber neue Projekte schon wieder am Start sind (so viel bekomme ich dann immerhin doch mit).

Sie: „Das verstehe ich. Ich komme im Moment auch nicht mehr dazu.“ (Warm. Scheint eine „befreundete“ Musikerin zu sein.)

Wie bei Small-Talk üblich erschöpft sich der Gesprächsstoff schnell und wir verabschieden uns, nicht ohne das beiderseitig obligatorische Versprechen, dass man sich mal wieder melden würde und man zieht von dannen um seiner zuvor schon beschrittenen Wege zu gehen.

Irgendwann zu Hause angekommen packt mich erneut die Neugier. Ich krame in einer Kiste mit alten Jahrbüchern, Fotos und Sonstigem mit Erinnerungswert und ziehe einige Konzertveranstaltungsprogramme hervor. Ich werde tatsächlich fündig. Über den Fotos der beiden, die mir in der Innenstadt begegnet waren, prangt der Name einer Band, darunter ihre eigenen. Also doch richtig geraten. Eine gewisse Genugtuung erfüllt mich. Insgesamt ist dieses Aufeinandertreffen ohne über die Maßen merkwürdig zu werden über die Bühne gegangen.

Und weil ich ein freundlicher Anteil unseres Systems bin, mache ich in unserem gemeinsam geführten Kalender und Tagebuch eine Notiz: „Alexandra und Tobias Müllermeyer in der Stadt getroffen. Sind so verblieben, dass wir uns bei Gelegenheit mal wieder bei ihnen melden.“