„Kultidentität“

Kultidentität.

Ein Begriff, den unsere Therapeutin geprägt hat. Ein Begriff der uns offenbar hilft das wie im uns zu verstehen. Kompliziert ausgedrückt? Ist es wohl auch. Trotz eines nicht zu verleugnenden Aha-Effektes bei den Ausführungen unserer Therapeutin, wirft es mindestens genau so viele Fragen auf, wie es zu beantworten scheint.

Wir sprachen über unsere Lebens- und (damit) auch Therapieziele. Wir sind schon einen langen Weg gegangen, haben ja schon einiges erreicht. Sind schon in einige Untiefen unserer Seele vorgedrungen, aber anstatt den Boden des Abgrundes erkennen zu können, scheinen wir (gefühlt) ein Fass ohne Boden zu sein.

Sein vielen Jahren suchen wir ja schon nach einer/m erfahrenen TherapeutIn, der/die bereit ist sich gemeinsam mit uns in diese Untiefen vorzuwagen.

Bisherige Therapien hatten eher „kosmetische“ Ziele. Jeder Therapeut machte uns deutlich, dass es zuerst wichtig ist, dass wir (möglichst unauffällig) in der Gesellschaft funktionieren (cool, da hätte meine Familie, als sie es herausfand gar nicht so ausflippen müssen, es wollten ja alle das gleiche)

Zunächst ging es darum die Essstörung zu überwinden, wen von dem krankhaften Untergewicht -> Ziel erreicht (gut, seien wir ehrlich, das Essverhalten ist immer noch gestört und was das Untergewicht betrifft sind wir über’s Ziel hinausgeschossen).

Es ging darum die Selbstverletzung, die damals massiv war und eingeschränkt werden musste, wenigstens der Schaden an Knochen und Weichteilen -> Ziel in dem Sinne erreicht. Selbstverletzung ist selten und passiert nur noch in Situationen mit großem Druck, die neu für uns sind (intensive Gefühle) und wo sonst wirksame Skills scheitern.

Es ging um die äußere Funktionalität. Von irgendetwas mussten wir ja leben, also war wichtig, dass wir auf der Arbeit zurecht kamen, dass wir nebenbei unser Studium bewältigen konnten und die parallel laufenden Ausbildung -> Ziel lange erreicht. Wir haben Skills gelernt mit bestimmten Triggern, die wir nicht vermeiden konnten umzugehen -> Ziel erreicht.

Wir haben gelernt uns als System zu akzeptieren, jede Menge Psychoedukation gemacht. Verstehen gelernt, warum das, was man hatte eben keine Schizophrenie ist, sondern Dissoziation. Das war wohl eher ein Nebeneffekt oder etwas, was wir einem damals noch sehr unerfahrenen, aber sehr verbissenen Therapeuten zu verdanken hatten (der uns davor bewahren konnte dauerhaft und ohne Aussicht auf Ausstieg in ein Programm für Schizophrene Menschen, die nicht mehr für sich sorgen konnten, zwangseingewiesen zu werden – man bedenke: damals hatten wir einen Job, eine gerade erfolgreich abgeschlossene Ausbildung und waren auch akademisch erfolgreich, dazu ein soziales Netz und tragfähige Beziehungen… aber das ist eine ganz andere Geschichte, damit könnte ich Bücher füllen und nicht nur ausschweifend vom Blog-Artikel Thema ablenken 😉 ). Dieser Therapeut leitet heute, 9 Jahre später übrigens recht erfolgreich eine wunderbare Institution, die sehr vielen psychisch Beeinträchtigten Menschen eine gute Stütze ist. Und auch wenn wir damals nur philosophiert und gemeinsam Unmengen an vorhandenem Material durchforstet haben, ihm die Freude einer (ein Jahr lang dauernden) ausführlichen Differentialdiagnostik gegönnt haben, so war das nicht ganz beabsichtigte Ziel: Erkenne dich selbst -> erreicht.

Auf sein Geheiß machten wir uns dann wieder auf die zermürbende Suche nach guten Traumatherapeuten. Oft wurden wir mehr oder weniger abgewiesen, weil z.B. noch der Studienabschluss ausstand. Das solle man doch bitte zuerst machen.

Den Therapeuten, den wir fanden, hat sich immerhin unserer angenommen. Auch hier war das erklärte Ziel: Äußere Funktionalität. Funktionalität über allem. Dennoch nahmen wir einiges für uns mit. Er hatte keine Ahnung, war aber in der Welt herumgekommen und brachte viele Sichtweisen in die Therapie mit. Häufig war uns beiden klar, dass das, was wir innerhalb der Therapie besprachen, erarbeiteten, usw. gelinde gesagt suboptimal war. Es half uns aber unsere eigenen Wege und Interventionen zu finden. Die eingeübten Imaginationsübungen nach Muster gingen nach hinten los? Also wurden neue geschrieben. Wir schafften uns Projekte und damit unfreiwillig die ersten Anläufe von Innenkommunikation und später sogar (steuerbarer) Co-Bewusstheit. Unsere Funktionalität verbesserte sich zeitweise -> sein Ziel erreicht (leider schien er es regelrecht persönlich zu nehmen, als dieses Korsett der äußeren Funktionalität begann zu knarzen und dann zu zerbrechen). Unser Ziel: ein Miteinander zu schaffen haben wir in den Anfängen – erreicht.

Damit können wir jetzt arbeiten. Mit vielen Innenpersonen und Gruppen (wir haben uns da die Begrifflichkeiten der Systemik, wie wir sie gelernt haben, angeeignet und bezeichnen solche Gruppen als Subsysteme, wir als ganzer Mensch, mit allen bekannten und unbekannten Anteilen, nennen wir System) haben wir die Möglichkeit in Kontakt zu treten. Wir können bedürftige Innenpersonen (z.B. traumatisierte Kinder) an innere, imaginierte, sichere Orte schicken oder – falls es (wie in den meisten Fällen) nicht funktioniert einen imaginierten sicheren Ort zu schaffen, so können sich andere Innenpersonen nach ihren Fähigkeiten kümmern.

Es ist also schon eine Basis vorhanden.

Für die jetzige Therapie haben wir klar gemacht, dass es uns kurzfristig nicht um „Frisur und Make-up“ geht, sondern, dass wir jetzt diese Therapie machen um dort zu graben, wo es vor sich hinschimmelt, dass man es bis nach draußen riechen kann. Was wir auch tun, das, was aus uns versucht wurde zu machen, das was wir auch sind, beeinflusst und heute kaum weniger als noch vor ein paar Jahren. So viele eingepflanzte Überzeugungen, die es fast unmöglich machen gesunde Entscheidungen zu treffen. So viel zerstörtes, dass man seine gesamte Energie darauf verwendet, dass es nach außen nicht so auffällt, dass man imitiert, wie man angemessene Gefühle äußert, dass man Nähe spielt, ohne je wirklich zu vertrauen.

Wir wissen um diese Untiefen. Wir wissen, wie man ein Kind seiner Bindung berauben kann. Ich weiß, dass ich meine Mutter bestimmt liebe, aber ich habe mich auch als Kind nie nach meiner Mami gesehnt, wenn ich krank war. Ich wollte nie zu ihr (oder einer der anderen „Bezugspersonen“) laufen, um ihnen zu erzählen, was der freche Andi heute in der Schule wieder angestellt hat. All diese Menschen waren mir egal. Und auch, wenn ich heute mit viel Mühe versuche eine Beziehung zu meiner Mutter (die übrigens nie aktive Täterin an mir war, sie war nur die unglückliche Seele, die mich austragen musste) aufzubauen, so trifft es mich doch immer wieder, wie egal es mir ist. Stürbe sie, so wäre meine erste Sorge, wie ich ihren Nachlass verwalten soll und wie man eine Beerdigung organisiert.

Für mich ist es eine dieser Abgründe. Mit Bindungen war ich schon als Kind nicht zu ködern. Einmal in unserem Leben, haben sich welche von uns „verwoben“. Ich hoffe es war nicht das letzte Mal.

So, wie schlage ich nun den Bogen?

Was mich ja eigentlich beschäftigte war der Begriff „Kultidentität“, der mich und uns auf so vielen Ebenen traf. Die Therapeutin sprach davon, dass es für uns notwendig ist, dass wir uns mit dieser Kultidentität auseinandersetzen. Zunächst war mir nicht ganz klar, was sie meint. Glaubt sie da gibt es einen einzigen Anteil, der sämtliches Gedankengut der RiGaG in sich vereint und mit dem müsse gearbeitet werden? Nein, so sieht sie es offensichtlich nicht. Sie sprach damit den Teil unserer Gesamtpersönlichkeit, des gesamten Systems an, der in der RiGaG entstanden ist, deren Gedankengut vertritt, der darin gefangen ist, aber noch mehr betonte sie die Anteile, die in der RiGaG ja ihre Heimat gefunden haben. Die dort jemand waren. Die Gefühle der Grandiosität, die mit bestimmten Aufgaben oder einfach dem „Stand“ einhergehen, das Ausleben von sadistischen Gelüsten. All die Widerwärtigkeiten, die man sehr gerne von sich abschiebt.

Ein weinendes und sich vor Schmerzen windendes Innenkind, dass gerade in einem Flashback eine Folterszene wiedererlebt mag für viele herzzerreißend sein. Aber der Mensch, der dieses Innenkind in sich beherbergt wird leichter Akzeptanz erfahren, als wenn statt des kleinen Kindes ein erwachsener Mann da steht, der süffisant grinst, deutlich macht, dass seiner Meinung nach alle anderen nur Bodensatz für ihn sind. Einer der  vielleicht mit Lust in seiner Stimme von Handlungen erzählt, die er noch gestern durchgeführt hat und die man hier nicht so ohne weiteres beim Namen nennen kann. Und es ist immer noch der gleiche Mensch, dessen Innenkind nur Stunden vorher Schutz unter einer Decke gesucht hat, sein Kuscheltier an sich nahm, den Daumen in den Mund steckte und nach seiner innerlich durchlebten Tortur endlich einschlief.

Das ist es also, was uns erwartet, wir schauen genauer hin. Arbeit mit der Kultidentität. Es geht um Bewusstseins- und Verhaltenskontrolle, wir mögen den Begriff „mind-control“ mit jedem Tag mehr, er erfasst mehr und ist doch deutlich kürzer. Wir wollten es ja auch. Wir wollten im zähen Morast waten, denn früher oder später breitet sich die Fäulnis aus dem inneren bis ganz an die Oberfläche durch – und so können und wollen wir nicht leben.

„Wollt ihr irgewann mal eins werden?“

„Wollt ihr irgewann mal eins werden?“ – Integration, Fusion, Volksunion, Kontemplation, Resignation?

Vor über einem Jahr (an dieser Stelle: bitte verzeih mir, dass es sooo lange gedauert hat) stelle Sherry eine Frage, die glaube ich auch jede(n) Multiple(n) früher oder später beschäftigt:

Hättet ihr denn gerne nur eine einzige Persönlichkeit? Oder könnt ihr euch die Beschränktheit der Normalos gar nicht mehr vorstellen?

Auch wenn hier wir darauf schon ein wenig ausführlicher geantwortet hatten, wollen wir das Thema erneut aufgreifen.

Ob die Fusion der Persönlichkeitsanteile, bzw. Innenpersonen, angestrebt werden soll wird für viele Multiple zur Gretchenfrage. Für die meisten Therapeuten ist die Verschmelzung eines multiplen Systems zu einer einzigen Persönlichkeit, also die Fusion (oft auch „Integration“ genannt, allerdings halte ich diese Bezeichnung für zu unpräzise, da eine Integration des Erlebens, des Wahrnehmens und Fühlens, sowie der erlittenen Traumata auch ohne eine Verschmelzung aller Identitäten eines Systems erreicht werden kann) das primäre Therapieziel. Viele Multiple haben das Gefühl, dass eine Entscheidung für eine Fusion ihr bisheriges Selbstverständnis in Frage stellt, selbst wenn der Wunsch nach „Normalität“ und einem einzigen Gesamt-Ich vorhanden ist so ist doch auch die Angst dia, dass mit einer Integration Eigenschaften, Wesenszüge oder Fähigkeiten bestimmter Innenpersonen verlorengehen, diese regelrecht “sterben”.

Das Thema Fusion eines multiplen Systems wirft eine ganze Reihe Fragen auf, die meiner Meinung nach auch geklärt werden müssen, und stellt sowohl den Therapeuten, als auch den Patienten vor immer wieder neue Probleme stellen.

Was geschieht mit den einzelnen Anteilen während und nach einer Fusion?

Diese Frage können am Besten Systeme beantworten, die bereits erfolgreich das gesamte System oder Teile davon fusioniert haben. An dieser Stelle kann und darf ich etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Wir sind etwas, was wir selbst als „spaltungsfreudiges System“ bezeichnen. Unter Druck, was alleine neue, ungewohnte Anforderungen sein können bis hin zu überwältigenden Erlebnissen, neigen wir dazu weitere Fragmente oder ganze Innenpersonen abzuspalten. Dieses Prozedere ist nicht immer dysfunktional, immerhin haben wir so über Jahrzehnte eine recht erfolgreiche akademische Laufbahn und sehr gute Leistungen im Job erzielt. Es ist nur furchtbar anstrengend. Auch ist es kaum einem „normalen“ einzelnen Menschen verständlich zu machen, wie anstrengend die pure Existenz, schon gar das Funktionieren ist.

Unser System ist verhältnismäßig groß (was sich höchstens in der Organisation auswirkt, man geht andere Wege. Schwerer scheint es definitiv nicht zu sein. Systeme, die ich kennengelernt habe und die „nur“ ca. 5 Innenpersonen hatte, hatten es für meine Begriffe deutlich schwerer Struktur ins System zu bringen) und so kommt es, dass nicht eine „Host“ oder Gastgeberpersönlichkeit oder eine ANP (ich muss das Buch „Das verfolgte Selbst“ von van der Hart, Nijenhuis und Steele noch fertiglesen, bevor ich da zu tief und zu falsch in die Materie einsteige – übrigens nicht schlecht was ich bisher las) die Situationen des Alltags meisterst, sondern eine ganze Gruppe Innenpersonen. Mittlerweile sind wir sogar in der glücklichen Position fast alle von uns zu kennen und in diversen Formen miteinander zu kommunizieren. Wir haben es gelernt uns aneinander anzupassen, Wechsel möglichst fließend zu gestalten, so, dass wir nicht auffällig sind. Bei geschulten Therapeuten oder dem besten Nicht-Ehemann von allen hilft das oft wenig (gerade was Therapeuten betrifft, da fuchst es uns schon, wenn da jemand JEDEN erkannt hat, der auch nur ein halbes Wort beigesteuert hat… und es freut zur gleichen Zeit 😉 . Andere Menschen erkennen nur radikalere Wechsel, die nicht den Alltag betreffen und selten beabsichtigt sind.)

Wie üblich: laaange Vorrede.

Nun zu dem, was ich eigentlich berichten wollte. Nein, es ist nicht so, dass unser gesamtes System zu einer einzelnen Person verschmolzen ist (sonst hätte der Blog auch einen anderen Namen), aber wir hatten einen Vorgeschmack darauf, wie es sich wohl anfühlen könnte, wenn wenigstens einzelne Gruppen von uns verschmelzen.

Ohne unser aktive Zutun, ohne Therapeuten, Kliniken oder andere professionelle Helfer, passierte es vor ca. 1 1/2 Jahren dass die etwa 20 Innenpersonen, die derzeit das Alltagsteam (so bezeichnen wir es) ausmachen langsam aber stetig zusammenwuchsen. Anfänglich wurde es erst gar nicht bemerkt. Der beste Nicht-Ehemann von allen war der erste, der die Veränderung bemerkte. Immerhin hatte er täglich mit diesen Innenpersonen zu tun.

Wir sprachen über seine Beobachtungen, beobachteten uns selber, fühlten nach usw. und stellten fest, dass aus diesen 20 Innenpersonen im Laufe einige Wochen eine Einzige geworden war. Es war nicht so, dass irgendjemand oder irgendetwas verloren ging, im Gegenteil. Als Gesamtheit haben wir einiges gewonnen, hauptsächlich mehr Energie oder Kraft oder wie immer man es nennen möchte. Ich schreibe jetzt von mir als Beispiel für das Empfinden dieser einzelnen Person und das empfinden der Innenperson, die lediglich einen Teil des Alltagsteams darstellte. Ich war ja eine von ihnen.

Ich weiß, ich kann nur von uns reden.

Nichts ging verloren. Kein wissen, keine Persönlichkeitseigenschaften, keine Fertigkeiten. Das hat uns sehr viele Ängste genommen.

Vorher, als Team, als Gruppe von Leuten, wenn wir dann jemanden benötigten, der ordentlich Pigmente zusammenmischen konnte, dir rückwärts den Pschyrembel (253. Auflage) herunterbeten konnte oder der in der Lage war ein Essen zuzubereiten, das tatsächlich genießbar war… ja dann wartete man, versuchte die Person zu kontaktieren und hoffte, dass die Situation (z.B. Küche, Kochtöpfe oder ein breit grinsender Professor in seinem winzigen Konferenzraum, aka Büro) genügend „Trigger“ für die passenden Innenperson sei.

Nun war es so, dass die Anforderungen die gleichen waren, nur waren all diese sonst beteiligten Innenpersonen ein einziges „Ich“. Da ich nun mal eine dieser ca. 20 war, mitverschmolz, war das ein neues und regelrecht aufregendes Gefühl. Ich wusste auf einmal all die Dinge, die Reiner* weiß, ich konnte, was Katja tat, war so launisch wie Dunja und so liebenswürdig, gerade zu fremden, wie Helene. Natürlich nicht alles auf einmal, oder können sie Balken zurecht sägen, während sie das Mittagessen kochen und einen Plausch mit einer älteren Dame auf der Straße führen? Im Grunde hatte sich wenig verändert. das „Ich“ funktionierte ein wenig reibungsloser – und auch hier waren Abstriche zu machen. Wir sind doch alle nur Menschen. Es war aber nicht die Funktionalität, vor allem war es die Energie und Kraft die diesem neuen Individuum zur Verfügung stand. Niemand ging verloren. Reiner war genauso das „Ich“, wie ich, Helene, Dunja, Katja und all die anderen. Als gemeinsames Ich hatten wir mehr Energie für uns zur Verfügung als jeder Einzelne vorher alleine

Leider hielt dieser Zustand nur einige Wochen und wir zerfielen wieder in unsere Einzelteile. Das machte nichts. Es war eine wundervolle Erfahrung und auch wenn die Gesamtheit unseres Systems eine vollständige Fusion weder für möglich noch für sinnvoll hält, so steht es doch jedem frei mit anderen danach zu streben.

Hat die Fusion einen Einfluss auf eventuelle komorbide Störungen?

Die Zeit war sehr kurz und die neuen Erfahrungen überwogen. Ich bezweifle, dass eine Fusion Einfluss auf andere Persönlichkeitsstörungen hat. Aus Erfahrungsberichten anderer weiß ich, dass sich die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung, bzw. der sog. Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung nicht verbessert haben und die eigentliche therapeutische Arbeit er nach der Fusion hätte beginnen sollen. Die Patienten kennen neben der Dissoziation wenig andere Strategien um mit den Belastungen im Leben fertig zu werden. Der „Fusions-Boom“ in den USA in den späten 80ern und 90ern hat seine Spuren hinterlassen. Als fusioniert und damit geheilt entlassene Patientinnen, leben eine Weile ihr Leben, aber bei der nächsten Krise zerbrach die Gesamtpersönlichkeit wieder, teilweise sogar in weitaus mehr Fragmente, als ursprünglich da gewesen waren.

Ich glaube nicht, dass es viele komorbide Störungen gibt, auf die eine Fusion Einfluss hat. Depressionen vielleicht? Das ist aber nur meine Vermutung, weil ich während der Zeit der Fusion, mit nur einem winzigen Teil meines Systems deutlich weniger Erschöpfung wahrgenommen habe und das Leben mir auch etwas „bunter und farbenprächtiger“ erschien, weil ich es gleichzeitig durch „andere“ Augen sehen konnte.

Was verändert sich für den Patienten, wenn er fusioniert hat?

Vieles habe ich oben erläutert. Es ist natürlich nur meine eigene Erfahrung und ich brenne darauf auch mit anderen Multiplen zu sprechen oder anderweitig direkt zu kommunizieren, die ähnliches erlebt haben oder vielleicht sogar ganz fusioniert haben.

Laut meiner Erfahrung wird sich wenig ändern, was die Barrieren im Kopf verschwinden lässt, aber auch dazu führt, dass man sich mit vielem, was einem vorher nicht bewusst war auseinandersetzen darf oder muss (Emotionen, (Körper)Empfindungen, Kognitionen die einander widersprechen, unterschiedliche Selbst- und Weltbilder, usw.) und das sind ganz neue – und wichtige – Herausforderungen

Wie kann ich eine Fusion erreichen?

Therapeuten hier mit Ahnung? Bitte vortreten!

Ich habe im Laufe der Jahre schon viele Therapeuten und solche, die es gerne wären, kennengelernt und jeder hatte da so seine eigenen Techniken eine zersplitterte Persönlichkeit wie die meine zusammenzufügen. Da waren die Geistlichen, die zu ihrem Gott beteten. Als das nichts half, so schickte man mich zu den Charismatikern (heidenei, das gab Beulen) und betete in Zungen (oder das, was der unaufmerksame Bibelstudent dafür hält… Grundgütiger, studiert wenigstens die Texte, auf die ihr euch beruft *seufz* ), auch ein Katholik, jung an Jahren, war schnell dabei seinen wahrscheinlich ersten Exorzismus durchzuführen. Er las in der Bibel von den Dämonen und war (wie die meisten anderen fundamentalistischen Christen, die eine gute Beobachtungsgabe besitzen) überzeugt, ich trage den Dämon Legion (wer’s wissen will: Markus 5 Vers 9 aus der Elberfelder Bibel, findet sich auch in Lukas 8 Vers 30 – übrigens die erste mir bekannte schriftliche Erwähnung des Phänomens der multiplen Persönlichkeit) in mir. Schweine waren wohl gerade nicht zur stelle, aber der gute Mann schritt zur Tat. Es schien wohl nicht in gewünschtem Maße zu helfen. So tut der gute Christ, was der gute Christ tut – er schickt seine gleichaltrige Tochter zu mir um mir mitzuteilen, dass ich „okkult vorbelastet“ sei (wäre ich’s nicht vorher gewesen, nach den 7 Jahren war ich’s bestimmt) und ich solle mich „bebeten“ lassen oder besser doch den Kontakt abbrechen. Das Mädchen tat mir unendlich leid.

Das sind weder Witze noch Übertreibungen um einen Blog interessanter zu gestalten. Das war meine (frühe) Jugend.

Im jungen Erwachsenenalter begegnete ich dann den anprobierten Quacksalbern ihrer Zeit, Psychiater, Neurologen, Psychologen. Ich hatte dort auch Glück und all das habe ich einer lieben Freundin und Mentorin zu verdanken, ohne die ich damals die richtige Therapeutin nie gefunden hätte. Die war echt in Ordnung.

Aber wieder zurück zu der Frage, wie mache ich aus so einem gestörten Etwas eine Person, die den Normen der Gesellschaft entspricht. Jedenfalls war das in aller Regel der Tenor. Wie es mir und uns dabei ging wurde nicht einmal gefragt. Wir waren nicht normal, damit krank und das müsse geändert werden (lest doch bei Interesse einfach mal einen Artikel aus dem Blog „vieleineinerhülle“). Es gab da die abenteuerlichsten Herangehensweisen. Hypnose, bestimmte Mantras, das simple durchlaufen einer Psychoanalyse und ein Verhaltenstherapeut war der Meinung (oder hoffte), dass ich ihm nur alles schlimme, was mir je widerfahren sei erzählen müsse, und dann hätten wir die Fusion automatisch nach allerspätestens 2 Monaten. Ja. Is klar, ne.

Ist eine Fusion, all das betrachtet, dann überhaupt sinnvoll?

Hey, Ich hätte gerne etwas mehr Fusion. Wenigstens in Teilen und natürlich auch nur mit und für die, die es auch wollen. Für uns war es eine positive Erfahrung. Ich würde mich gerne wieder so „stark“ fühlen, nicht immer chronisch müde und antriebslos. Vielleicht könnte eine Fusion mit einigen Gleichgesinnten helfen.

Ich glaube auch, dass eine erzwungene Fusion nie gut für Körper und Seele ist. Wenn die Seele bereit ist, wird es automatisch passieren – ohne Schaden anzurichten. So ist es meine aktuelle Meinung. Ich lese, ich erfahre, ich lerne und so ist auch meine Sicht auf dieses Thema bis zu einem gewissen Grad (da wo er sich noch mit den Menschenrechten vereinbaren lässt) dynamisch

*Ihr kennt mich, ich verändere auch Namen von Innenpersonen 😉

Alltag mit DIS #1: Schreib dir deine Termine auf

…und vergiss dabei nicht die Hälfte! …sprach es, seufzte tief und legte die Finger wieder auf die Tastatur…

Wie hier schon an verschiedenen Stellen berichtet, zeichnet sich die dissoziative Identitätsstörung durch amnestische Barrieren zwischen den verschiedenen Anteilen oder Innenpersonen aus. Das heißt Person A ist amnestisch für Person B und weiß folglich nicht immer was B tut. In der Therapie wird versucht diese Barrieren zu überwinden, Kommunikation zwischen den Anteilen möglich zu machen und im Idealfall ein Co-Bewusstsein zu erreichen (das bedeutet Person A kann „zuschauen“, wenn Person B im Außen agiert, eventuell sogar selbst eingreifen).

Ich denke es ist auch für Außenstehende gut nachvollziehbar, dass sich die Organisation des Alltags als ein ganz winzig kleines bisschen schwierig gestaltet, wenn man über große Teile des Geschehens nicht informiert ist. Aufgrund dieses Handicaps entwickeln Multiple häufig eine gewisse Routine in Improvisation, einen reichhaltigen Fundus an Ausreden zu jeder Gelegenheit und peinlich genau geführte Kalender und Notizbücher.

Wir wären ohne unsere heiß geliebten Kalender wahrlich aufgeschmissen. Da wir insgesamt betrachtet allerdings ein tendenziell eher chaotischer Haufen sind, ist das mit dem „peinlich genau geführt“ nicht weit her. Wir geben uns dennoch Mühe so viel Ordnung und Struktur wir möglich in den Alltag zu bringen. Sämtliche Termine werden nach einem vorgegebenen Schema farbcodiert, für die Arbeit werden täglich Aufgabenpläne erstellt, bzw. aktualisiert, erledigte Aufgaben werden nicht nur abgehakt, sondern auch kommentiert. Wir hinterlassen uns gegenseitig kleine Nachrichten an dafür vorgesehenen Orten (z.B. „M., könntest du bitte den grauen Hosenanzug aufbügeln, ich brauche den am Montag.“ oder eine Anfahrtsbeschreibung für einen Termin) und führen Buch über aktuelle persönliche Kontakte, damit man auch im Notfall nachvollziehen kann, wen man in welcher Situation anruft. Mit all diesen Maßnahmen versuchen wir zu kompensieren, dass die Anforderungen des Alltags von verschiedenen Innenpersonen gemeistert werden.

Alles in allem sind wir ein System, dass eine verhältnismäßig gute Kommunikation untereinander hat und begrenzt auch co-bewusst ist. Damit erscheinen wir im Alltag auch nicht auffälliger als jeder andere „zerstreute Professor“.

Das Co-Bewusstsein ist allerdings ein dynamischer und kein stabiler Zustand. Gerade in stressigen Zeiten oder belastenden Situationen verlässt einen dieser äußerst praktische Zustand. Arzttermine gehören zu diesen belastenden Situationen. Da hüpft man lieber tagelang mit einem gebrochenen Fuß durch die Gegend oder redet sich ein, dass die Hörfähigkeit auf dem linken Ohr schon von alleine wiederkommt – immerhin ging sie ja auch von alleine – als sich den manigfaltigen Problemen im Umgang mit sich und der Berufsgruppe des mitteleuropäischen Medizinmanns zu stellen. Es herrscht bei uns noch das Gesetz des Dschungels: Wer es bei einem Arzttermin nicht schafft schnell genug nach Innen zu verschwinden, hat die Arschkarte gezogen und darf die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit oder eine Vaginalsonografie ganz allein genießen. Wir sind nicht immer nett zueinander – aber darin sind wir großzügig!

Ich bin froh, dass es doch eine Handvoll Innenpersonen in unserem System gibt, die sich für die Organisation und Einhaltung von Arztterminen verantwortlich fühlen. Da es sich bei einigen von ihnen um jüngere Anteile unseres Systems handelt, die zwar eifrig (denn den Großen zu helfen macht schon stolz), aber unerfahren und häufig nicht besonders effizient sind, kommt es immer wieder zu kleineren Zwischenfällen. So auch heute wieder geschehen.

Ich fand in unserem Blog einen kleinen, als privat markierten, Beitrag:

29.01. 15:30 Schädel-MRT, Kreatinin-Wert nicht vergessen!

Fein, es hat tatsächlich jemand daran gedacht letztes Jahr noch einen Termin beim Radiologen auszumachen. Das ist gut, denn mir ist das vollkommen entfallen. Einen Kalender für dieses Jahr hatten wir da wahrscheinlich noch nicht. Okay, ein Zettel auf dem Schreibtisch hätte es auch getan, aber ich kann schon verstehen, dass so ein Novum wie der Blog und seine Funktionen zum Herumspielen einlädt. Die Nachricht hat mich immerhin erreicht. Kreatinin-Wert ist auch wichtig, da kann ich gleich einen Termin beim Hausarzt ausmachen. Wunderbar. Ich hab alles, was ich brauche. Moment… nee… stopp mal… wo müssen wir überhaupt hin? Halloohooo!?! Wer hat denn den Termin gemacht und wo habt ihr angerufen?

Ihr kennt die Szenen in schlechten Western, wenn der Protagonist auf der staubigen Straße inmitten einer verlassenen Stadt steht? Grillen zirpen, der Wind bläst einen Steppenläufer vor sich her, ein Kojote heult… so ähnlich habe ich mich gefühlt.

Also gut, ich habe meine Antipathie dem Telefon gegenüber beiseitegeschoben und mich daran gemacht jede Klinik und jede radiologische Praxis im Umkreis anzurufen, um zu fragen, ob ich zufällig dort am 29.01. um 15:30 Uhr einen Termin habe. Ganz murphy-getreu war die vorletzte Praxis auf meiner Liste diejenige welche.

Wir lernen: Vollständige Informationen mach das Leben erheblich einfacher.

„Die müssen sie schon wegsperren.“ – Vom Umgang mit schwierigen Anteilen

Jeder Mensch hat an sich Seiten, die ihm oder anderen unangenehm sind, die als schwierig empfunden werden oder unangemessen.

Hat man eine dissoziative Persönlichkeitsstruktur, bezieht sich dieses „Problem“ weniger auf einzelne Verhaltensweisen eines Individuums, sondern auf einige vollständige und separate Identitäten innerhalb eines Persönlichkeitssystems.

Als wir vor einiger Zeit auf der Suche nach einem Therapeuten waren, der uns helfen sollte einen Umgang mit uns als System zu finden und uns aus dem Griff des Täterkreises zu lösen, hatten wir unter anderem auch ein Telefonat mit einer Therapeutin, die von sich selbst behauptete Ahnung zu haben. Also machten wir einen Termin für ein Erstgespräch aus, zu welchem wir voller Hoffnung einige Wochen später fuhren. Im Laufe dieses Gespräches wich die anfängliche Hoffnung endlich einen Therapeuten gefunden zu haben, der wirklich helfen konnte, nach und nach aufkommender Enttäuschung und Ernüchterung. Obwohl diese Therapeutin behauptete schon „viele multiple Frauen erfolgreich therapiert zu haben“, warfen ihre Äußerungen zu dem Thema bei uns die Frage auf, ob wir da von dem Gleichen sprechen und ob diese Frauen, von denen sie (übrigens auch viel zu viel) berichtete, tatsächlich multipel waren, oder (und man möge mir das verzeihen) lediglich gelangweilte Hausfrauen, denen etwas mehr Aufmerksamkeit, als sie zu Hause bekommen, schon Hilfe zur Heilung genug war.

Eine ihrer Äußerungen war, dass sie erst bereit wäre mit uns in die therapeutische Arbeit einzusteigen, wenn wir es geschafft hätten sämtliche „unerwünschte“ Innenpersonen dauerhaft wegzusperren. „Unerwünscht“ war ihren Worten nach jeder Anteil, der destruktives Verhalten zeigte, sich z.B. selbst verletzte, Wutausbrüche hatte oder in irgendeiner Form täteridentifiziert und -loyal war. Sie riet dazu einen Kerker zu imaginieren, in den diese Innenpersonen geworfen werden würden und zu dicken Gitterstäben, die sie daran hindern sollten wieder an die Oberfläche zu kommen. Großzügig bot sie uns an, uns dabei zu helfen, wenn wir das selber noch nicht schaffen würden. Wir lehnten dankend ab und gingen wieder unserer Wege. Dafür war uns unser sauer verdientes Geld dann doch zu schade, denn sie war keine Psychotherapeutin, lediglich Heilpraktikerin, die einige Modulen Traumatherapie belegt hatte, und somit hätten wir sie selber gezahlt. Hätte sie getaugt, wären wir mehr als bereit gewesen die Kosten der Therapie selbst auf uns zu nehmen, allerdings war die oben wiedergegebene Äußerung nicht die einzige, die uns an ihrem Verständnis der Störung zweifeln ließ.

Anteile wegsperren.

Das ist ein Konzept, das damals (und zugegebener Maßen auch heute noch) für einige von uns eine große Verlockung darstellte. Wie ruhig könnte doch das Leben sein, wenn alle Innenpersonen dauerhaft verschwinden würden, die emotionalen Druck mit Selbstverletzung kompensieren, die es bis heute nicht geschafft haben ein gesundes Essverhalten an den Tag zu legen, deren Geduld an einem zu dünnen Faden hängt, die noch immer an ihrer Loyalität gegenüber einzelnen Tätern festhalten, die den Mist glauben, der ihnen in der RiGaG eingetrichtert wurde, die sich mit dem Verhalten einzelner Täter identifiziert haben und kurz alle, deren eigenes Verhalten so stark durch Familie, RiGaG und Leben in Zwangsprostitution beeinflusst wurde, dass sie in der normalen Taggesellschaft auffallen.

Und wenn wir schon dabei sind, können wir noch mehr Ruhe reinbringen, wenn wir die Anteile loswerden, die viel zu emotional sind, die bei jeder Gelegenheit einen Heulkrampf bekommen, das ist ja sowas von peinlich. Die männlichen Anteile können auch verschwinden, die haben in einem Frauenkörper ohnehin nichts verloren. Weg mit Teenagern mit zweifelhafter Körperhygiene und Wortwahl, Innenkinder, die sich nicht richtig artikulieren können – wer brauch die schon – oder überhaupt sämtliche Innenkinder, die nicht „herzerfrischend“ oder „niedlich“ gefunden werden (diese Worte hat ohne Witz mal jemand Außenstehendes benutzt), weil sie nicht still und artig sind, laut krähen, ungeduldig sind, Bedürfnisse äußern und keinen Charme, Witz oder erstaunliche kindliche Weisheit besitzen (Kunststück, wenn eine 5-Jährige schon 40 Jahre auf dem Buckel hat). Wenn wir dann noch alle traumatisierten, depressiven, verängstigten, psychotischen und zwanghaften Anteile in den Kerker geworfen haben, alles mit dicken Stahlgittern gesichert haben, können wir uns den Staub von den Händen klopfen und uns beruhigt zurücklehnen.

Übrig bleibt das ach so „niedliche und herzerfrischende“ Innenkind Iks, das darf dann zwei mal im Monat nach draußen und Bilder von Schmetterlingen und Regenbögen für die Therapeutin malen und die Innenpersonen Üpsilon und Tsett – wie praktisch, die eine übernimmt viele Aufgaben auf der Arbeit und die andere kocht und putzt. Dass Üpsilon jegliche Form von menschlichem Kontakt verabscheut und in Gesprächen mit Geschäftspartnern ein Desaster ist und Tsett weder lesen noch schreiben kann sind doch nur kleine Schönheitsfehler. Autofahren kann auch keiner mehr? Macht nichts, die Kiste kann der zukünftige Ex-Mann gleich mitnehmen, wenn er mit Hund und Kind, für die sich keiner der Übriggebliebenen verantwortlich fühlt, auszieht, denn immerhin waren es ja nicht Üpsilon und Tsett, die diesem haarigen Dreibein vor dem Altar ewige Treue geschworen haben.

Alles egal, denn endlich ist Ruhe.

Abgesehen davon, dass wir es für unmöglich (oder mindestens sehr sehr unwahrscheinlich) halten, dass eine ganze Kategorie an Innenpersonen dauerhaft so weggesperrt werden kann, dass vollständig verhindert wird, dass das Denken, Fühlen und Handeln der übrigen Innenpersonen beeinflusst wird, frage ich mich, ob man dem Menschen als Ganzes einen Gefallen damit tut, wenn man einen wichtigen Teil der Persönlichkeit ausschaltet. Oben erwähnte Therapeutin würde einem nicht-Multiplen kaum raten seine Wut in ein ausbruchsicheres Gefängnis zu stecken und keiner von beiden würde ernsthaft erwarten, dass sich das Agressionsproblem des Klienten von heute auf morgen in Luft auflöst. Nein, der Klient wird lernen mit seinen Emotionen umzugehen und weniger destruktive Verarbeitungsmechanismen entwickeln. Jeder weiß, dass umdenken und -lernen Zeit und Energie erfordert. Für Multiple gilt das nicht weniger. (Psycho)edukation ist das Zauberwort des 21. Jahrhunderts (und wenn nicht, dann leg ich das hier und heute einfach mal so fest). Verstehen verändert so vieles. Wie will ich als Arzt oder Therapeut für meinen Patienten eine Gesundung der Psyche erreichen, wenn ich konsequent wichtige und zum Überleben des Menschen notwendig gewesene Anteile abschneide. Ich amputiere einem Mann mit eitrigen Geschwüren ja auch nicht beide Beine mit den Worten: „Damit können sie die 100m Hürden noch schneller laufen als vorher!“.

Will ich als Multiple/r oder deren/dessen Therapeut/in (ab und an mal politisch korrekt sein hilft dem Gewissen) wirklich etwas verändern und vor allem verbessern, muss ich mich auch oder gerade mit den unangenehmen Anteilen auseinandersetzen, denn (auch) diese Anteile haben zum Überleben des gesamten Systems beigetragen. Ich wünschte auch oft, ich könne einen Flammenwerfer in die Hand nehmen und eine innere Brandrodung machen, wenn Franz, die braune Socke, in meinem Schädel „Heil Hitler“ brüllt, bloß weil die Dorfdeppen von der NPD mal wieder fähnchenschwingend die Kreuzung blockieren. Franz kennt nur den Mist, den sein Onkel und dessen Freunde ihm erzählt haben, die einzigen Menschen, die er je kennengelernt hat und auch der wird es früher oder später noch lernen. So ist es mit dem unerwünschten Verhalten anderer Innen auch. Irgendjemand musste den Schwachsinn nachplappern, der von Familie oder anderen Tätern eingetrichtert wurde, irgendjemand musste die Beine breit machen und wenn sich dann auch noch jemand gefunden hat, dem das nichts ausmacht und der vielleicht sogar Spass dabei hatte: prima, das ist eine gute Anpassungsleistung, auf die das System stolz sein darf. Viele der als schwierig oder unerwünscht angesehenen Anteile bringen Fertigkeiten und Fähigkeiten mit, die dem ganzen System von unschätzbarem Nutzen sein können, auch wenn das System oder diese Anteile selbst, dass oft nicht ganz glauben können.

Es lohnt sich im in den Dialog zu treten, auch wenn das – gerade am Anfang – nicht immer leicht ist.

Text eines Partners und Freundes: Der Missbrauch und die Gewalt

Auf besonderen Wunsch und Anregung hin hat der Freund und Partner, der den letzten Text verfasst hat auch seine Gedanken zu seinem Umgang mit den Hintergründen und Erfahrungen von Betroffenen von sexualisierter/organisierter/ritueller Gewalt formuliert.

Der Missbrauch und die Gewalt

Das ist ein sehr sehr schwieriges Thema und ich kann hier auch nur für mich selbst sprechen, denn ich habe mich nie mit anderen Angehörigen ausgetauscht.

Es fällt mir sehr schwer mich mit dem ganzen Themenkomplex Vergewaltigung, Folter Kindesmissbrauch und -prostitution auseinander zu setzen, zu wissen das es Menschen im eigenen Umfeld, Freunden so ergangen ist und das der Mensch den ich liebe das erlebt hat. Der Gedanke an die Täter, die noch immer frei herumlaufen und bisher ungeschoren blieben kommt ebenfalls dazu.

Ich bin in einem eher konventionellen Elternhaus aufgewachsen. Gewalt gab es da nicht. Als Kind habe ich nur bin wenigen Situationen den Hintern versohlt bekommen – und bei jeder dieser Gelegenheiten hatte ich mir das redlich verdient. Schläge ins Gesicht oder das Hauen mit Hilfsmitteln, das kam nicht vor. Meine Eltern waren relativ liebevoll und erzogen mich und meine Geschwister zu Anstand, Ehrlichkeit, Fleiß und Respekt.
Soweit ich das beurteilen kann, gab es auch in keinem anderen Familienzweig mit dem ich zu tun hatte irgendwelche häusliche Gewalt. Meine Kindheit war also recht behütet.

Als ich vor ca.10 Jahren erstmalig mit DIS und deren Ursachen konfrontiert wurde, hat das meine Welt nachhaltig erschüttert. Mir war schon klar gewesen das es böse Menschen und böse Taten gab. Ich habe im Laufe meines Lebens viele Mädchen und Frauen kennen gelernt die sexuelle Übergriffe erlebt hatten. Das Ausmaß an Gewalt und Perversion allerdings mit dem ich konfrontiert wurde, als ich in die Forenszene der Missbrauchsüberlebenden und Multis eintrat, übertraf jedes für mich erfassbare Maß. Ich habe damals meine Unschuld und Naivität, was unsere Welt und unseren Staat betrifft, für immer verloren.

Obwohl ich seither viele Schilderungen von Überlebenden gelesen und gehört habe, kann ich nicht sagen das sich bei mir eine Gewöhnung oder eine nennenswerte Desensibilisierung eingestellt hätte.
Jede Erzählung solcher Gräuel löst noch immer die gleichen Reaktionen bei mir aus: Übelkeit und Ekel vor den Tätern, Unglaube über soviel Unmenschlichkeit, der Wunsch jeden Perversen, Kinderschänder oder Vergewaltiger zu verfolgen und zu töten, Hilflosigkeit und Trauer. Manchmal auch würde ich zu gerne bei jenen Tätern vorbei fahren, von denen ich weiß wo sie zu finden sind. Allein aufgrund des Wunsches der Betroffenen tue ich das nicht.
Ich trage oft eine große Wut und manchmal auch große Angst in mir und ich weiß nicht wo ich damit hin soll. Mir fehlt jedes Verständnis für Menschen die freiwillig anderen, vor allem unschuldigen Kindern, solche Abscheulichkeiten antun. Das sind in meinen Augen keine Menschen mehr die irgendwelche Rechte hätten. Denn Menschenrechte hat nur wer sie auch bei anderen achtet.
Es gibt auch Phasen in denen ich mir Wünsche, ich hätte all dies nie erfahren, nie von dieser Welt der abartigen Gewalt gehört, Phasen in denen ich mir meine Unschuld zurück wünsche.
Deshalb habe ich immer wieder Zeiten da ich mich seelisch und geistig von alle dem distanzieren muss, einfach weil es mir zu viel wird, Ruhephasen ohne Gespräche über die Vergangenheit oder deren Folgen. Manchmal muss ich mich von alle dem fernhalten, weil ich es nicht ertragen kann.
Meine Toleranz was die Verarbeitung all dieser Dinge betrifft, ist sehr niedrig da ich früher in meinem Leben nie lernen musste mit diesen Formen der Gewalt, vor allem in diesem Ausmaß, um zu gehen. Vielleicht bin ich auch nur ein Sensibelchen, inzwischen habe ich vermutlich selbst kein objektives Bild mehr.

Als Freund und Angehöriger kann es schnell passieren das man sich seelisch zu tief in den Kaninchenbau wagt und in Folge dessen cotraumatisiert wird. Ich kann deshalb durchaus auch verstehen wenn es immer wieder Menschen gibt, die nicht damit zurecht kommen und den Umgang mit den Betroffenen meiden – einfach weil sie es nicht ertragen.
Sich selbst zu schützen ist zwar eine Sache, das ganze Thema deshalb totzuschweigen und damit die Betroffenen alleine zu lassen ist für mich jedoch nicht akzeptabel. Wenn man ein Verbrechen nicht öffentlich macht und sei es nur im Freundeskreis oder unter anderen Betroffenen, dann ist dass so als wäre es nie passiert – und nach meinem Verständnis der Welt darf das nicht sein.

Mir ist bewusst welche Gewalt meiner Partnerin angetan wurde, ich weiß wie sie aufgewachsen ist und in was für einer ‚Familie‘ sie ‚erzogen‘ wurde. Ich kann die Spuren des Missbrauchs sehen.
Einen Umgang mit ihrer Gewaltvergangenheit, oder der meiner betroffenen Freunde habe ich selbst nach so vielen Jahren noch nicht gefunden.
Meine Lebensgefährtin sehe ich jedenfalls nicht als ‚das Opfer‘. Heute ist sie der Mensch der sie eben heute ist. Ich kann ihre Vergangenheit nicht wieder gut machen, ich kann jedoch versuchen sie in der Bewältigung zu unterstützen und ein Leben mit ihr zu Leben das nun frei von all diesen Dingen ist.
Nichts an ihr stößt mich nichts ab, ganz im Gegenteil von Körper und Seele her würde ich sie nicht einmal ein kleines bisschen anders haben wollen. Und keine noch so detaillierte Schilderung von Ekeltraining oder Vergewaltigung kann daran etwas ändern. Sie ist nicht das Verbrechen, das ihr angetan wurde. Ich sehe und fühle die Narben, und ja, es ist mir stets bewusst woher sie kommen und ich weiß auch teilweise wie sie entstanden sind. Das lässt sich aber nicht mehr ändern. Das Blut, das fremde Sperma, der Kot und Urin und all der andere Dreck sind abgewaschen, nichts ist davon mehr zu sehen, zu fühlen oder zu riechen.
Was noch übrig ist, ist die Frau die ich liebe, so wie sie ist, als System, mit allen und allem was zu ihr gehört.
Die Täter und die Taten stoßen mich ab – nicht der Mensch dem das angetan wurde.

Was einen laufenden Täterkontakt angeht habe ich allerdings eine Nulltoleranz.
Solange ich Partner und Angehöriger bin, kann und werde ich das nicht tolerieren. Damit könnte ich im übrigen auch gar nicht umgehen. Da gibt es weder eine Grauzone noch einen Kompromiss. Sollte ich mich damit konfrontiert sehen, würde ich jedes, buchstäblich jedes Mittel einsetzen um einen Täterkontakt zu verhindern oder zu unterbinden. Ich könnte nicht damit leben so ein Stück Abschaum ungestraft mit seiner Tat davonkommen zu lassen, nicht wenn es um meine Familie geht.

Es ist für mich durchaus nachvollziehbar das es Opfer gibt, die sich freiwillig für die RiGaG entscheiden. Nur wäre das mit mir als Partner keine Alternative. Wer sich freiwillig für die dunkle Seite entscheidet, darf sich keine Illusionen darüber machen das er damit zu einem bösen Menschen wird und nicht mehr besser ist als jeder andere Täter auch.
Mir ist bewusst das manche Betroffenen in meinem Umfeld dazu gezwungen worden sind selbst zum Täter zu werden. Mir ist bewusst das es täteridentifizierte Anteile gibt und das diese genauso Teil meiner Partnerin sind. Und ja, manchmal sind die Übergänge auch fließend. Dennoch gibt es eine klare Grenze: wenn jemand ohne Zwang und damit freiwillig als Täter handelt. Der freie Wille ist der Unterschied zwischen Täter und Opfer.
Ich kann einen Menschen nicht uneingeschränkt für erzwungene oder erpresste Taten verantwortlich machen. ‚Nein‘ zu sagen ist manchmal nicht möglich, denn die RiGaGs verstehen es mit Sicherheit sehr gut entsprechende Inszenierungen und Abhängigkeiten zu schaffen.
Die immer wieder gehörte Täterausrede ‚ich war selbst einmal Opfer‘ ist jedoch in meinen Augen keine Rechtfertigung oder gar Strafmilderung, sondern bestenfalls eine Erklärung.
Meine Einstellung mag sehr hart klingen, für mich ist diese Grenzziehung zwischen der dunklen und hellen Welt jedoch sehr wichtig. Denn es gibt einfach Grenzen über die zu gehen ich nicht bereit bin, Taten, die zu tolerieren ich nicht bereit bin.
Trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, versuche ich die Hinter- und Beweggründe der Anteile aus der Nachtgesellschaft zu verstehen. Und ich versuche dabei vorurteils- und wertfrei zu bleiben. Denn auch diese Anteile gehören zu meiner Partnerin und kein bisschen weniger als alle anderen auch.
Es ist einfach eine ganz andere Welt als die, in der ich lebe. So Manches ist mir bis heute fremd geblieben.

Ich weiß von Freunden in meinem Umfeld die jetzt noch in diesem Sumpf gefangen sind, die noch in den Händen der RiGaG sind.
Sofern ich es kann und dies auch gewünscht ist, versuche ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln zu helfen. Unser Zuhause dient für unsere Freunde als Zuflucht und das jederzeit und unbefristet. Wir beide unterstützen, schützen und beschützen so gut es eben geht. Leider kann ich selbst jedoch meist nicht wirklich viel tun. Meine Möglichkeiten sind begrenzt und deshalb bin ich in erster Linie für meine Partnerin da. Ich denke bei den anderen Betroffenen, ist es in erster Linie Sache deren Partner und/oder Therapeuten ihnen beizustehen. Ich wäre auch einfach nicht in der Lage für jeden, jederzeit uneingeschränkt da zu sein. Das kann ich weder fachlich, seelisch oder körperlich leisten. Deshalb liegt mein Fokus eben auf meiner unmittelbaren Familie.
Ich will und kann meine Augen vor so viel Unrecht nicht verschließen, als Angehöriger und Freund von Betroffenen ist es jedoch auch hier sehr wichtig sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren. Nur all zu schnell kann man an all dem was man hört, sieht oder erlebt kaputt gehen und damit wäre keinem gedient.

Wie ich schon zu Anfangs schrieb, es ist für mich ein sehr schwieriges Thema und ich habe zu vielen der ober geschilderten Aspekte noch keine abschließende Meinung oder Einstellung entwickelt. Ich glaube auch nicht das dies jemals wirklich der Fall sein wird. Dazu ist der ganze Themenkomplex auch viel zu krass. Und die Betroffenen, ebenso wie ihre Probleme sind meist viel zu individuell.
Oft muss ich das was ich glaube oder das was ich als Grenzen für mich festlege, neu überdenken oder neu definieren. Gerade in der vergangenen Wochen habe ich ein grundlegendes Prinzip, das ich bisher in meiner Partnerschaft als unumstößlich angesehen hatte, komplett über Bord geworfen.
Es gibt so Vieles das ich noch immer nicht richtig verstehe und deshalb versuche ich in Gesprächen Klarheit zu bekommen.
Die Betroffenen haben lernen müssen mit all dem zu Leben, für manche ist die Gewalt zur Gewohnheit geworden, Grenzüberschreitung und erzwungener Sex etwas ganz Alltägliches. Für mich als ‚Normalo‘ wird das nie etwas ‚Gewöhnliches‘ oder ‚Alltägliches‘ sein.

Und ich habe ehrlich Angst vor dem Tag an dem sich das ändern sollte.

ZDFneo Reportage „Wild Germany – Satanismus“

Wild Germany ist eine Reportagereihe des Spartensender ZDFneo, die sich mit im Allgemeinbewusstsein weniger präsenten Szenen und Subkulturen in Deutschland auseinandersetzt.

In der am 05.03.2011 ausgestrahlten halbstündigen Sendung beschäftigt sich Journalist Manuel Möglich mit verschiedenen Erscheinungsformen von Satanismus in Deutschland, er interviewt Thorsten Becker, ein Experte für Satanismus in Deutschland, die bekannte Therapeutin und Herausgeberin des „Handbuch rituelle Gewalt“ Claudia Fliß, zwei multiple Frauen, die in einem satanischen Kult aufgewachsen sind, dort rituelle Gewalt erfahren haben und kürzlich den Ausstieg geschafft haben, sowie einen Jugendsatanisten

Quelle: youtube, ZDFneo

Praying For Rain

Wir waren Jugendliche in den 90ern (damit könnt ihr auch ungefähr erahnen, wie alt wir sind). Es war eine harte Zeit und mit 16 beschlossen wir von zu Hause fortzugehen. Wir hatten ein Jahr zuvor unser viertes Kind geboren, ein kleiner Bub, der uns direkt nach der Geburt weggenommen wurde und von einer anderen Familie, die stark in die RiGaG eingebunden war, aufgenommen wurde. Wir konnten einfach nicht mehr. Erste Ansätze von Rebellion gegen die Familie und die RiGaG führten dazu, dass wir weg liefen. Wir brachten tausende von Kilometern zwischen uns und unsere Herkunft, immer in der Hoffnung auf Freiheit. Die Abhängigkeit in unserem Kopf schafften wir noch nicht abzulegen und es sollte noch 10 weitere Jahre dauern, bis wir den Ausstieg endlich geschafft hatten. Wir konvertieren zum Christentum, ließen uns taufen, beteten und hofften. Wir wussten, wir waren nicht würdig Gott von Angesicht zu Angesicht entgegenzutreten, aber wir beteten und hofften weiter, dass wir es eines Tages schaffen würden.

Noch heute danken wir den Menschen, die uns aufnahmen und uns ein vollkommen neues Leben zeigten. Wir lernten Musik kennen, Musik, die aus dem Herzen kommt, Musik, die in der Lage war Herzen anzurühren. Wir lernten Glaube und Gebet kennen und auch, wenn wir uns heute weiterentwickelt haben, uns von den traditionellen christlichen Sichtweisen entfernt haben, so hat diese Zeit doch einen ganz besonderen Samen in uns gelegt, der gewachsen ist – sich auch verändert hat – und unser weiteres Leben ganz nachhaltig bestimmt hat: wir lernten Hoffnung kennen.

Über Theologie lässt sich diskutieren (etwas, was wir mit Vorliebe tun), aber einige der Werte, die wir da kennengelernt haben, begleiten uns bis zum heutigen Tag.

Halt haben wir da in der Musik gefunden. Wir haben gelernt Musik zu finden, mit der wir uns identifizieren konnten und gleichzeitig unsere eigenen Gaben zu nutzen (wenn wir mal ganz mutig werden, teilen wir auch unsere eigene Musik mit euch).

Eines der Stücke, dass uns durch viele schwere Zeiten begleitet hat war „Pray for Rain“ von PFR und dieses Lied möchten wir gerne mit euch teilen:

Born in a dry season
Wind and sand have blown through me
Haven’t found shade anywhere
Only moments of relief
But sometimes I think I hear the thunder
Somewhere on the horizon line
If i could just find a way to get under
The rain that can reach this soul of mine

(chorus)
I pray for rain to come
And wash away what’s made me numb
I pray for a raging storm
To drown what’s in me
And the rain comes in the nick of time
I swallow hard cause my throat’s been dry
The rain comes beating on my skin
Till I’m washed away – nothing left within
When the rain comes
Your rain comes

Seasons have passed so quickly
Since I felt that first big storm
Still there have been times of drought
When i’ve prayed for the clouds to form
And I often hear the thunder
And I know of its coming rain
Many times in my life I’ll kneel under
The moving showers that brought this change

Quelle: youtube

Fünf Regeln für einen besseren Umgang im internen Miteinander

So hilfreich das Aufspalten in verschiedene Identitäten im Überlebenskampf war, so dysfunktional können die Auswirkung dieser Aufspaltung Alltag, im Versuch der Heilung der Traumata und im Erreichen eines eigenständigen Lebens sein. Aus unseren Erfahrungen beim Lernen auf eigenen Füßen zu stehen, Traumata zu verarbeiten und als System wieder funktionaler zu werden haben wir auch gelernt, dass es einige wichtige Regeln gibt, wenn man erfolgreicher als System zusammenarbeiten möchte.

  • Seit ehrlich zueinander

Wie soll man weiterkommen, wenn man sich ständig selbst belügt. Ihr seit wahrscheinlich euer Leben lang belogen worden. Seht selbst, was es euch gebracht hat. Wenn ihr einander vertrauen wollt, hilft es zu wissen, woran ihr seit. Nicht jede Wahrheit ist angenehm und manche Wahrheiten tun weh, aber nur aus Wahrheiten könnt ihr Konsequenzen ziehen, lernen und euch entwickeln.

  • Respektiert einander

Jeder von euch hat eine Berechtigung da zu sein. Jeder von euch ist entstanden um das Überleben des Systems zu gewährleisten, das gilt für das Täterintrojekt genauso wie für die Alltagspersönlichkeit. Irgendjemand musste das Glaubenssystem oder das Verhalten des/der Täter/s rechtfertigen, irgendjemand musste mit Schule, Hausarbeit und soziale Interaktionen zurechtkommen. Kein Job war weniger wichtig als der andere. Bedenkt das, wenn ihr heute in Interaktion tretet und respektiert einander und das, was ihr zu eurem Überleben beigetragen habt. Versucht zu verstehen, wo der jeweils andere herkommt, welche Umstände er kennengelernt hat und wie diese ihn geprägt haben. Ihr werdet nicht immer die gleiche Meinung haben, aber zu einer gemeinsamen Lösung, werdet ihr ohne Respekt füreinander nur schwer kommen.

  • Arbeitet mit

(Therapeutische) Arbeit kann nur dann erfolgreich sein, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Tut was ihr könnt, teilt eure Erfahrungen und euer Wissen, arbeitet an den euch gestellten Aufgaben.

  • Kooperiert

Erklärt sich von selbst, oder? Arbeitet zusammen, entwickelt ein Interesse an der Zusammenarbeit und den gemeinsamen Zielen. Wenn ihr euch nicht mit dem gemeinsamen Zielen identifizieren könnt, dann liegt es in eurer Verantwortung euch mitzuteilen, euch die Gründe der Zielsetzung verständlich machen zu lassen und eventuell gemeinsam die Ziele zu revidieren. Seit ihr in der Position, dass ihr Ziele gesetzt habt, die andere bei euch nicht teilen oder nachvollziehen können, dann nehmt euch die Zeit eure Intentionen zu erklären und hört euch auch Gegenmeinungen an. Jedes Infragestellen birgt die Chance Berichtigung, Verbesserung und Bestätigung des Weges, den man eingeschlagen hat.

  • Gebt auch mal die Kontrolle ab

Das fällt oft besonders den Alltags-/Gastgeberpersönlichkeiten schwer. Nur gemeinsam habt ihr eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, nur gemeinsam könnt ihr heilen, nur gemeinsam schafft ihr eine stabile Kommunikation und Co-Bewusstsein und – wenn ihr das wünscht – eine Integration im Sinne einer Fusion zu einer einzigen Identität und Persönlichkeit.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. IV

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

(Teil 3)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 4)

Und neben all dem, deinem ganz normalen Alltag, existiert eine Parallelwelt. Du führst ein Doppelleben, von dem du nichts mitbekommst. Freiheit ist eine Illusion. Noch immer wirst du von einer Tätergruppe, die dich schon seit Jahrzehnten ihr Eigen nennen abgeholt. Du bist Teil ihrer Gemeinschaft – oder um genauer zu sein – Andere in dir sind Teil dieser Gemeinschaft. Ja, du bist nicht die Einzige, die in deinem Körper wohnt und Kontrolle über ihn hat. Du bist aufgespalten. Die „Anderen“ ertragen für dich Folter, Vergewaltigung und viele andere Dinge, von denen du keine Ahnung hast, die du nicht verstehen könntest. Die Anderen in dir sind die Opfer der Gewalt, ertragen, erdulden, wieder andere haben das Gedankengut der Gemeinschaft so sehr verinnerlicht, dass sie so geworden sind wie die Gruppe, der du, der ihr gehört. Es ist wie in einem schlecht gemachten Horrorfilm oder die wahnwitzige Geschichte eines paranoiden Verschwörungstheoretikers.

Wie sollst du das Glauben? Wie sollst du akzeptieren, dass deine eigene Familie dich missbraucht hat, dich weiterverkauft hat, dass dein eigener Großvater in seinem schön ausgebauten Keller eine Folterkammer hatte, dass er dich und deine Geschwister oder Cousinen zu allerhand abartigen Sexualpraktiken hingegeben hat – nicht ohne das ganz auch in Szene zu setzen, zu fotografieren, zu filmen. Wie sollst du glauben, dass du zu einer Art Sekte gehörst, eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder manipuliert, wo nicht nur Tieropfer dargebracht werden.

Du überlebst, weil du es nicht weißt, weil es nicht dir selber passiert.

Natürlich erlebt sich nicht jedes System auf diese Weise. Auch hat nicht jedes System den gleichen Hintergrund. Was ich hier in Bruchstücken beschrieben habe, ist einiges was mir selber passiert ist, wie ich mich und mein Leben wahrgenommen habe.

Bis ich 23 war habe ich ganz ernsthaft geglaubt ich wäre von Dämonen besessen. Das schien mir die passende Erklärung zu sein. Ich dachte dann, ich wäre vielleicht Schizophren, würde mir alles, was in meinem Kopf vor sich geht, was ich glaubte zu erinnern, nur einbilden. Und wer hört schon Stimmen. Es hat eine Weile gedauert bis ich verstehen konnte, wer oder was ich bin – und das auch erst, als sich jemand die Zeit genommen und die Mühe gemacht hat es zu erklären. Die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ wurde schon viel früher gestellt, allerdings sprach niemand mit mir darüber. Ich wusste nicht einmal, dass ich sie hatte oder dass diese Störung existiert.

Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten die Diagnose anzunehmen. Vielleicht nicht in dem Maße, in dem andere Menschen mit „ihrer“ DIS kämpfen, denn auf irgend eine Art und Weise war ich froh endlich herausgefunden zu haben, was da mit mir nicht stimmt. Ich erlebe es immer wieder, dass Multiple ihre Störung nicht wahrhaben wollen und ich kann mir auch vorstellen, dass es Punkte gibt, die man nicht so gerne akzeptiert. Zum einen bekommt man von außen bestätigt, dass man zeitweise keine Kontrolle über sein eigenes Handeln hat. Der Mensch an sich ist ein Kontrollfreak, er benötigt zumindest das Gefühl die Kontrolle zu haben. Es vermittelt ihm Sicherheit.

Ja und dann gibt es das, was ich so gerne als „Rattenschwanz“ bezeichne. Die Diagnose DIS bedeutet auch gleichzeitig, dass einem in einem sehr frühen Stadium der eigenen Entwicklung, also im Kleinkindalter, massive Gewalt angetan wurde. Sonst hätte sich die Seele nicht aufspalten müssen um sich zu schützen, um buchstäblich (und das ist keine Übertreibung) zu überleben. Puh… akzeptieren, dass Menschen ein Kleinkind derartig missbrauchen, foltern, vernachlässigen – und das über Jahre hinweg (denn die DIS entsteht nur, wenn die traumatischen Situationen immer und immer wieder geschehen, es kein Entrinnen, keine Hilfe gibt)… und dann versuchen das mit einem Weltbild von guten Eltern, die ein Kind schützen (sollten) oder dem Bild vom „edel, hilfreich und guten“ Menschen zu vereinbaren… das ist schwer. Man muss eine ganze Weltanschauung über Bord werfen, wenn man eine Diagnose wie die DIS akzeptieren will

Wundert es da, dass Betroffene lieber leugnen, sich einreden sie wären nur „zu gute Schauspieler“ und das Fachleute die Existenz einer solchen Störung aufgrund wiederholter Traumatisierungen in der frühen Kindheit nicht anerkennen?.

Ich bekomme noch immer regelmäßige Anfälle von „Fakeritis“, dann werden die Zweifel zu groß, ich glaube ich bilde mir nur etwas ein, ich lüge, ich übertreibe, ich bin ein Hypochonder, jemand, der zu viele Bücher gelesen hat… oder schlicht ein unglaublich böses Mädchen, dass guten, braven Bürgern die unmöglichsten Sachen unterstellt.

…und vielleicht braucht man das auch manchmal, um sich eine Pause zu gönnen, eine Pause von der oft grausamen Realität.