„Kultidentität“

Kultidentität.

Ein Begriff, den unsere Therapeutin geprägt hat. Ein Begriff der uns offenbar hilft das wie im uns zu verstehen. Kompliziert ausgedrückt? Ist es wohl auch. Trotz eines nicht zu verleugnenden Aha-Effektes bei den Ausführungen unserer Therapeutin, wirft es mindestens genau so viele Fragen auf, wie es zu beantworten scheint.

Wir sprachen über unsere Lebens- und (damit) auch Therapieziele. Wir sind schon einen langen Weg gegangen, haben ja schon einiges erreicht. Sind schon in einige Untiefen unserer Seele vorgedrungen, aber anstatt den Boden des Abgrundes erkennen zu können, scheinen wir (gefühlt) ein Fass ohne Boden zu sein.

Sein vielen Jahren suchen wir ja schon nach einer/m erfahrenen TherapeutIn, der/die bereit ist sich gemeinsam mit uns in diese Untiefen vorzuwagen.

Bisherige Therapien hatten eher „kosmetische“ Ziele. Jeder Therapeut machte uns deutlich, dass es zuerst wichtig ist, dass wir (möglichst unauffällig) in der Gesellschaft funktionieren (cool, da hätte meine Familie, als sie es herausfand gar nicht so ausflippen müssen, es wollten ja alle das gleiche)

Zunächst ging es darum die Essstörung zu überwinden, wen von dem krankhaften Untergewicht -> Ziel erreicht (gut, seien wir ehrlich, das Essverhalten ist immer noch gestört und was das Untergewicht betrifft sind wir über’s Ziel hinausgeschossen).

Es ging darum die Selbstverletzung, die damals massiv war und eingeschränkt werden musste, wenigstens der Schaden an Knochen und Weichteilen -> Ziel in dem Sinne erreicht. Selbstverletzung ist selten und passiert nur noch in Situationen mit großem Druck, die neu für uns sind (intensive Gefühle) und wo sonst wirksame Skills scheitern.

Es ging um die äußere Funktionalität. Von irgendetwas mussten wir ja leben, also war wichtig, dass wir auf der Arbeit zurecht kamen, dass wir nebenbei unser Studium bewältigen konnten und die parallel laufenden Ausbildung -> Ziel lange erreicht. Wir haben Skills gelernt mit bestimmten Triggern, die wir nicht vermeiden konnten umzugehen -> Ziel erreicht.

Wir haben gelernt uns als System zu akzeptieren, jede Menge Psychoedukation gemacht. Verstehen gelernt, warum das, was man hatte eben keine Schizophrenie ist, sondern Dissoziation. Das war wohl eher ein Nebeneffekt oder etwas, was wir einem damals noch sehr unerfahrenen, aber sehr verbissenen Therapeuten zu verdanken hatten (der uns davor bewahren konnte dauerhaft und ohne Aussicht auf Ausstieg in ein Programm für Schizophrene Menschen, die nicht mehr für sich sorgen konnten, zwangseingewiesen zu werden – man bedenke: damals hatten wir einen Job, eine gerade erfolgreich abgeschlossene Ausbildung und waren auch akademisch erfolgreich, dazu ein soziales Netz und tragfähige Beziehungen… aber das ist eine ganz andere Geschichte, damit könnte ich Bücher füllen und nicht nur ausschweifend vom Blog-Artikel Thema ablenken 😉 ). Dieser Therapeut leitet heute, 9 Jahre später übrigens recht erfolgreich eine wunderbare Institution, die sehr vielen psychisch Beeinträchtigten Menschen eine gute Stütze ist. Und auch wenn wir damals nur philosophiert und gemeinsam Unmengen an vorhandenem Material durchforstet haben, ihm die Freude einer (ein Jahr lang dauernden) ausführlichen Differentialdiagnostik gegönnt haben, so war das nicht ganz beabsichtigte Ziel: Erkenne dich selbst -> erreicht.

Auf sein Geheiß machten wir uns dann wieder auf die zermürbende Suche nach guten Traumatherapeuten. Oft wurden wir mehr oder weniger abgewiesen, weil z.B. noch der Studienabschluss ausstand. Das solle man doch bitte zuerst machen.

Den Therapeuten, den wir fanden, hat sich immerhin unserer angenommen. Auch hier war das erklärte Ziel: Äußere Funktionalität. Funktionalität über allem. Dennoch nahmen wir einiges für uns mit. Er hatte keine Ahnung, war aber in der Welt herumgekommen und brachte viele Sichtweisen in die Therapie mit. Häufig war uns beiden klar, dass das, was wir innerhalb der Therapie besprachen, erarbeiteten, usw. gelinde gesagt suboptimal war. Es half uns aber unsere eigenen Wege und Interventionen zu finden. Die eingeübten Imaginationsübungen nach Muster gingen nach hinten los? Also wurden neue geschrieben. Wir schafften uns Projekte und damit unfreiwillig die ersten Anläufe von Innenkommunikation und später sogar (steuerbarer) Co-Bewusstheit. Unsere Funktionalität verbesserte sich zeitweise -> sein Ziel erreicht (leider schien er es regelrecht persönlich zu nehmen, als dieses Korsett der äußeren Funktionalität begann zu knarzen und dann zu zerbrechen). Unser Ziel: ein Miteinander zu schaffen haben wir in den Anfängen – erreicht.

Damit können wir jetzt arbeiten. Mit vielen Innenpersonen und Gruppen (wir haben uns da die Begrifflichkeiten der Systemik, wie wir sie gelernt haben, angeeignet und bezeichnen solche Gruppen als Subsysteme, wir als ganzer Mensch, mit allen bekannten und unbekannten Anteilen, nennen wir System) haben wir die Möglichkeit in Kontakt zu treten. Wir können bedürftige Innenpersonen (z.B. traumatisierte Kinder) an innere, imaginierte, sichere Orte schicken oder – falls es (wie in den meisten Fällen) nicht funktioniert einen imaginierten sicheren Ort zu schaffen, so können sich andere Innenpersonen nach ihren Fähigkeiten kümmern.

Es ist also schon eine Basis vorhanden.

Für die jetzige Therapie haben wir klar gemacht, dass es uns kurzfristig nicht um „Frisur und Make-up“ geht, sondern, dass wir jetzt diese Therapie machen um dort zu graben, wo es vor sich hinschimmelt, dass man es bis nach draußen riechen kann. Was wir auch tun, das, was aus uns versucht wurde zu machen, das was wir auch sind, beeinflusst und heute kaum weniger als noch vor ein paar Jahren. So viele eingepflanzte Überzeugungen, die es fast unmöglich machen gesunde Entscheidungen zu treffen. So viel zerstörtes, dass man seine gesamte Energie darauf verwendet, dass es nach außen nicht so auffällt, dass man imitiert, wie man angemessene Gefühle äußert, dass man Nähe spielt, ohne je wirklich zu vertrauen.

Wir wissen um diese Untiefen. Wir wissen, wie man ein Kind seiner Bindung berauben kann. Ich weiß, dass ich meine Mutter bestimmt liebe, aber ich habe mich auch als Kind nie nach meiner Mami gesehnt, wenn ich krank war. Ich wollte nie zu ihr (oder einer der anderen „Bezugspersonen“) laufen, um ihnen zu erzählen, was der freche Andi heute in der Schule wieder angestellt hat. All diese Menschen waren mir egal. Und auch, wenn ich heute mit viel Mühe versuche eine Beziehung zu meiner Mutter (die übrigens nie aktive Täterin an mir war, sie war nur die unglückliche Seele, die mich austragen musste) aufzubauen, so trifft es mich doch immer wieder, wie egal es mir ist. Stürbe sie, so wäre meine erste Sorge, wie ich ihren Nachlass verwalten soll und wie man eine Beerdigung organisiert.

Für mich ist es eine dieser Abgründe. Mit Bindungen war ich schon als Kind nicht zu ködern. Einmal in unserem Leben, haben sich welche von uns „verwoben“. Ich hoffe es war nicht das letzte Mal.

So, wie schlage ich nun den Bogen?

Was mich ja eigentlich beschäftigte war der Begriff „Kultidentität“, der mich und uns auf so vielen Ebenen traf. Die Therapeutin sprach davon, dass es für uns notwendig ist, dass wir uns mit dieser Kultidentität auseinandersetzen. Zunächst war mir nicht ganz klar, was sie meint. Glaubt sie da gibt es einen einzigen Anteil, der sämtliches Gedankengut der RiGaG in sich vereint und mit dem müsse gearbeitet werden? Nein, so sieht sie es offensichtlich nicht. Sie sprach damit den Teil unserer Gesamtpersönlichkeit, des gesamten Systems an, der in der RiGaG entstanden ist, deren Gedankengut vertritt, der darin gefangen ist, aber noch mehr betonte sie die Anteile, die in der RiGaG ja ihre Heimat gefunden haben. Die dort jemand waren. Die Gefühle der Grandiosität, die mit bestimmten Aufgaben oder einfach dem „Stand“ einhergehen, das Ausleben von sadistischen Gelüsten. All die Widerwärtigkeiten, die man sehr gerne von sich abschiebt.

Ein weinendes und sich vor Schmerzen windendes Innenkind, dass gerade in einem Flashback eine Folterszene wiedererlebt mag für viele herzzerreißend sein. Aber der Mensch, der dieses Innenkind in sich beherbergt wird leichter Akzeptanz erfahren, als wenn statt des kleinen Kindes ein erwachsener Mann da steht, der süffisant grinst, deutlich macht, dass seiner Meinung nach alle anderen nur Bodensatz für ihn sind. Einer der  vielleicht mit Lust in seiner Stimme von Handlungen erzählt, die er noch gestern durchgeführt hat und die man hier nicht so ohne weiteres beim Namen nennen kann. Und es ist immer noch der gleiche Mensch, dessen Innenkind nur Stunden vorher Schutz unter einer Decke gesucht hat, sein Kuscheltier an sich nahm, den Daumen in den Mund steckte und nach seiner innerlich durchlebten Tortur endlich einschlief.

Das ist es also, was uns erwartet, wir schauen genauer hin. Arbeit mit der Kultidentität. Es geht um Bewusstseins- und Verhaltenskontrolle, wir mögen den Begriff „mind-control“ mit jedem Tag mehr, er erfasst mehr und ist doch deutlich kürzer. Wir wollten es ja auch. Wir wollten im zähen Morast waten, denn früher oder später breitet sich die Fäulnis aus dem inneren bis ganz an die Oberfläche durch – und so können und wollen wir nicht leben.

Radiobeitrag des BR2 “Identität – Im Spiegel der anderen’”

Vor zwei Tagen habe ich einen Link zu einem Radiobeitrag mit dem Thema “Multple Persönlichkeiten – ‘Ich bin viele’” vom Bayerischen Rundfunk gepostet.

Heute fand ich dort in einen weiteren Beitrag, der sich dem Thema Identität und Identiätsentwicklung widmet. Auch dieser Beitrag ist  knapp (nur etwas über 20 min.) aber/und recht prägnant.

Unter anderem kommen hier die Psychologin Prof. Dr. Verena Kast (aktuell Vizepräsidentin des C.G. Jung Instituts Zürich und der Pädagoge Prof. Dr. Ewald Kiel der Ludwig-Maximilians-Universität München zu Wort.

Radiobeitrag des BR2 “Identität – Im Spiegel der anderen”

Gerade weil sich vieles hier im Blog um die Störung der Identität und den Umgang damit dreht, erschien mir dieser Beitrag als hilfreich und sinnvoll um das Identitätskonzept, so wie es üblich ist oder wäre, zu verstehen

„Wollt ihr irgewann mal eins werden?“

„Wollt ihr irgewann mal eins werden?“ – Integration, Fusion, Volksunion, Kontemplation, Resignation?

Vor über einem Jahr (an dieser Stelle: bitte verzeih mir, dass es sooo lange gedauert hat) stelle Sherry eine Frage, die glaube ich auch jede(n) Multiple(n) früher oder später beschäftigt:

Hättet ihr denn gerne nur eine einzige Persönlichkeit? Oder könnt ihr euch die Beschränktheit der Normalos gar nicht mehr vorstellen?

Auch wenn hier wir darauf schon ein wenig ausführlicher geantwortet hatten, wollen wir das Thema erneut aufgreifen.

Ob die Fusion der Persönlichkeitsanteile, bzw. Innenpersonen, angestrebt werden soll wird für viele Multiple zur Gretchenfrage. Für die meisten Therapeuten ist die Verschmelzung eines multiplen Systems zu einer einzigen Persönlichkeit, also die Fusion (oft auch „Integration“ genannt, allerdings halte ich diese Bezeichnung für zu unpräzise, da eine Integration des Erlebens, des Wahrnehmens und Fühlens, sowie der erlittenen Traumata auch ohne eine Verschmelzung aller Identitäten eines Systems erreicht werden kann) das primäre Therapieziel. Viele Multiple haben das Gefühl, dass eine Entscheidung für eine Fusion ihr bisheriges Selbstverständnis in Frage stellt, selbst wenn der Wunsch nach „Normalität“ und einem einzigen Gesamt-Ich vorhanden ist so ist doch auch die Angst dia, dass mit einer Integration Eigenschaften, Wesenszüge oder Fähigkeiten bestimmter Innenpersonen verlorengehen, diese regelrecht “sterben”.

Das Thema Fusion eines multiplen Systems wirft eine ganze Reihe Fragen auf, die meiner Meinung nach auch geklärt werden müssen, und stellt sowohl den Therapeuten, als auch den Patienten vor immer wieder neue Probleme stellen.

Was geschieht mit den einzelnen Anteilen während und nach einer Fusion?

Diese Frage können am Besten Systeme beantworten, die bereits erfolgreich das gesamte System oder Teile davon fusioniert haben. An dieser Stelle kann und darf ich etwas aus dem Nähkästchen plaudern. Wir sind etwas, was wir selbst als „spaltungsfreudiges System“ bezeichnen. Unter Druck, was alleine neue, ungewohnte Anforderungen sein können bis hin zu überwältigenden Erlebnissen, neigen wir dazu weitere Fragmente oder ganze Innenpersonen abzuspalten. Dieses Prozedere ist nicht immer dysfunktional, immerhin haben wir so über Jahrzehnte eine recht erfolgreiche akademische Laufbahn und sehr gute Leistungen im Job erzielt. Es ist nur furchtbar anstrengend. Auch ist es kaum einem „normalen“ einzelnen Menschen verständlich zu machen, wie anstrengend die pure Existenz, schon gar das Funktionieren ist.

Unser System ist verhältnismäßig groß (was sich höchstens in der Organisation auswirkt, man geht andere Wege. Schwerer scheint es definitiv nicht zu sein. Systeme, die ich kennengelernt habe und die „nur“ ca. 5 Innenpersonen hatte, hatten es für meine Begriffe deutlich schwerer Struktur ins System zu bringen) und so kommt es, dass nicht eine „Host“ oder Gastgeberpersönlichkeit oder eine ANP (ich muss das Buch „Das verfolgte Selbst“ von van der Hart, Nijenhuis und Steele noch fertiglesen, bevor ich da zu tief und zu falsch in die Materie einsteige – übrigens nicht schlecht was ich bisher las) die Situationen des Alltags meisterst, sondern eine ganze Gruppe Innenpersonen. Mittlerweile sind wir sogar in der glücklichen Position fast alle von uns zu kennen und in diversen Formen miteinander zu kommunizieren. Wir haben es gelernt uns aneinander anzupassen, Wechsel möglichst fließend zu gestalten, so, dass wir nicht auffällig sind. Bei geschulten Therapeuten oder dem besten Nicht-Ehemann von allen hilft das oft wenig (gerade was Therapeuten betrifft, da fuchst es uns schon, wenn da jemand JEDEN erkannt hat, der auch nur ein halbes Wort beigesteuert hat… und es freut zur gleichen Zeit 😉 . Andere Menschen erkennen nur radikalere Wechsel, die nicht den Alltag betreffen und selten beabsichtigt sind.)

Wie üblich: laaange Vorrede.

Nun zu dem, was ich eigentlich berichten wollte. Nein, es ist nicht so, dass unser gesamtes System zu einer einzelnen Person verschmolzen ist (sonst hätte der Blog auch einen anderen Namen), aber wir hatten einen Vorgeschmack darauf, wie es sich wohl anfühlen könnte, wenn wenigstens einzelne Gruppen von uns verschmelzen.

Ohne unser aktive Zutun, ohne Therapeuten, Kliniken oder andere professionelle Helfer, passierte es vor ca. 1 1/2 Jahren dass die etwa 20 Innenpersonen, die derzeit das Alltagsteam (so bezeichnen wir es) ausmachen langsam aber stetig zusammenwuchsen. Anfänglich wurde es erst gar nicht bemerkt. Der beste Nicht-Ehemann von allen war der erste, der die Veränderung bemerkte. Immerhin hatte er täglich mit diesen Innenpersonen zu tun.

Wir sprachen über seine Beobachtungen, beobachteten uns selber, fühlten nach usw. und stellten fest, dass aus diesen 20 Innenpersonen im Laufe einige Wochen eine Einzige geworden war. Es war nicht so, dass irgendjemand oder irgendetwas verloren ging, im Gegenteil. Als Gesamtheit haben wir einiges gewonnen, hauptsächlich mehr Energie oder Kraft oder wie immer man es nennen möchte. Ich schreibe jetzt von mir als Beispiel für das Empfinden dieser einzelnen Person und das empfinden der Innenperson, die lediglich einen Teil des Alltagsteams darstellte. Ich war ja eine von ihnen.

Ich weiß, ich kann nur von uns reden.

Nichts ging verloren. Kein wissen, keine Persönlichkeitseigenschaften, keine Fertigkeiten. Das hat uns sehr viele Ängste genommen.

Vorher, als Team, als Gruppe von Leuten, wenn wir dann jemanden benötigten, der ordentlich Pigmente zusammenmischen konnte, dir rückwärts den Pschyrembel (253. Auflage) herunterbeten konnte oder der in der Lage war ein Essen zuzubereiten, das tatsächlich genießbar war… ja dann wartete man, versuchte die Person zu kontaktieren und hoffte, dass die Situation (z.B. Küche, Kochtöpfe oder ein breit grinsender Professor in seinem winzigen Konferenzraum, aka Büro) genügend „Trigger“ für die passenden Innenperson sei.

Nun war es so, dass die Anforderungen die gleichen waren, nur waren all diese sonst beteiligten Innenpersonen ein einziges „Ich“. Da ich nun mal eine dieser ca. 20 war, mitverschmolz, war das ein neues und regelrecht aufregendes Gefühl. Ich wusste auf einmal all die Dinge, die Reiner* weiß, ich konnte, was Katja tat, war so launisch wie Dunja und so liebenswürdig, gerade zu fremden, wie Helene. Natürlich nicht alles auf einmal, oder können sie Balken zurecht sägen, während sie das Mittagessen kochen und einen Plausch mit einer älteren Dame auf der Straße führen? Im Grunde hatte sich wenig verändert. das „Ich“ funktionierte ein wenig reibungsloser – und auch hier waren Abstriche zu machen. Wir sind doch alle nur Menschen. Es war aber nicht die Funktionalität, vor allem war es die Energie und Kraft die diesem neuen Individuum zur Verfügung stand. Niemand ging verloren. Reiner war genauso das „Ich“, wie ich, Helene, Dunja, Katja und all die anderen. Als gemeinsames Ich hatten wir mehr Energie für uns zur Verfügung als jeder Einzelne vorher alleine

Leider hielt dieser Zustand nur einige Wochen und wir zerfielen wieder in unsere Einzelteile. Das machte nichts. Es war eine wundervolle Erfahrung und auch wenn die Gesamtheit unseres Systems eine vollständige Fusion weder für möglich noch für sinnvoll hält, so steht es doch jedem frei mit anderen danach zu streben.

Hat die Fusion einen Einfluss auf eventuelle komorbide Störungen?

Die Zeit war sehr kurz und die neuen Erfahrungen überwogen. Ich bezweifle, dass eine Fusion Einfluss auf andere Persönlichkeitsstörungen hat. Aus Erfahrungsberichten anderer weiß ich, dass sich die Symptome der Posttraumatischen Belastungsstörung, bzw. der sog. Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung nicht verbessert haben und die eigentliche therapeutische Arbeit er nach der Fusion hätte beginnen sollen. Die Patienten kennen neben der Dissoziation wenig andere Strategien um mit den Belastungen im Leben fertig zu werden. Der „Fusions-Boom“ in den USA in den späten 80ern und 90ern hat seine Spuren hinterlassen. Als fusioniert und damit geheilt entlassene Patientinnen, leben eine Weile ihr Leben, aber bei der nächsten Krise zerbrach die Gesamtpersönlichkeit wieder, teilweise sogar in weitaus mehr Fragmente, als ursprünglich da gewesen waren.

Ich glaube nicht, dass es viele komorbide Störungen gibt, auf die eine Fusion Einfluss hat. Depressionen vielleicht? Das ist aber nur meine Vermutung, weil ich während der Zeit der Fusion, mit nur einem winzigen Teil meines Systems deutlich weniger Erschöpfung wahrgenommen habe und das Leben mir auch etwas „bunter und farbenprächtiger“ erschien, weil ich es gleichzeitig durch „andere“ Augen sehen konnte.

Was verändert sich für den Patienten, wenn er fusioniert hat?

Vieles habe ich oben erläutert. Es ist natürlich nur meine eigene Erfahrung und ich brenne darauf auch mit anderen Multiplen zu sprechen oder anderweitig direkt zu kommunizieren, die ähnliches erlebt haben oder vielleicht sogar ganz fusioniert haben.

Laut meiner Erfahrung wird sich wenig ändern, was die Barrieren im Kopf verschwinden lässt, aber auch dazu führt, dass man sich mit vielem, was einem vorher nicht bewusst war auseinandersetzen darf oder muss (Emotionen, (Körper)Empfindungen, Kognitionen die einander widersprechen, unterschiedliche Selbst- und Weltbilder, usw.) und das sind ganz neue – und wichtige – Herausforderungen

Wie kann ich eine Fusion erreichen?

Therapeuten hier mit Ahnung? Bitte vortreten!

Ich habe im Laufe der Jahre schon viele Therapeuten und solche, die es gerne wären, kennengelernt und jeder hatte da so seine eigenen Techniken eine zersplitterte Persönlichkeit wie die meine zusammenzufügen. Da waren die Geistlichen, die zu ihrem Gott beteten. Als das nichts half, so schickte man mich zu den Charismatikern (heidenei, das gab Beulen) und betete in Zungen (oder das, was der unaufmerksame Bibelstudent dafür hält… Grundgütiger, studiert wenigstens die Texte, auf die ihr euch beruft *seufz* ), auch ein Katholik, jung an Jahren, war schnell dabei seinen wahrscheinlich ersten Exorzismus durchzuführen. Er las in der Bibel von den Dämonen und war (wie die meisten anderen fundamentalistischen Christen, die eine gute Beobachtungsgabe besitzen) überzeugt, ich trage den Dämon Legion (wer’s wissen will: Markus 5 Vers 9 aus der Elberfelder Bibel, findet sich auch in Lukas 8 Vers 30 – übrigens die erste mir bekannte schriftliche Erwähnung des Phänomens der multiplen Persönlichkeit) in mir. Schweine waren wohl gerade nicht zur stelle, aber der gute Mann schritt zur Tat. Es schien wohl nicht in gewünschtem Maße zu helfen. So tut der gute Christ, was der gute Christ tut – er schickt seine gleichaltrige Tochter zu mir um mir mitzuteilen, dass ich „okkult vorbelastet“ sei (wäre ich’s nicht vorher gewesen, nach den 7 Jahren war ich’s bestimmt) und ich solle mich „bebeten“ lassen oder besser doch den Kontakt abbrechen. Das Mädchen tat mir unendlich leid.

Das sind weder Witze noch Übertreibungen um einen Blog interessanter zu gestalten. Das war meine (frühe) Jugend.

Im jungen Erwachsenenalter begegnete ich dann den anprobierten Quacksalbern ihrer Zeit, Psychiater, Neurologen, Psychologen. Ich hatte dort auch Glück und all das habe ich einer lieben Freundin und Mentorin zu verdanken, ohne die ich damals die richtige Therapeutin nie gefunden hätte. Die war echt in Ordnung.

Aber wieder zurück zu der Frage, wie mache ich aus so einem gestörten Etwas eine Person, die den Normen der Gesellschaft entspricht. Jedenfalls war das in aller Regel der Tenor. Wie es mir und uns dabei ging wurde nicht einmal gefragt. Wir waren nicht normal, damit krank und das müsse geändert werden (lest doch bei Interesse einfach mal einen Artikel aus dem Blog „vieleineinerhülle“). Es gab da die abenteuerlichsten Herangehensweisen. Hypnose, bestimmte Mantras, das simple durchlaufen einer Psychoanalyse und ein Verhaltenstherapeut war der Meinung (oder hoffte), dass ich ihm nur alles schlimme, was mir je widerfahren sei erzählen müsse, und dann hätten wir die Fusion automatisch nach allerspätestens 2 Monaten. Ja. Is klar, ne.

Ist eine Fusion, all das betrachtet, dann überhaupt sinnvoll?

Hey, Ich hätte gerne etwas mehr Fusion. Wenigstens in Teilen und natürlich auch nur mit und für die, die es auch wollen. Für uns war es eine positive Erfahrung. Ich würde mich gerne wieder so „stark“ fühlen, nicht immer chronisch müde und antriebslos. Vielleicht könnte eine Fusion mit einigen Gleichgesinnten helfen.

Ich glaube auch, dass eine erzwungene Fusion nie gut für Körper und Seele ist. Wenn die Seele bereit ist, wird es automatisch passieren – ohne Schaden anzurichten. So ist es meine aktuelle Meinung. Ich lese, ich erfahre, ich lerne und so ist auch meine Sicht auf dieses Thema bis zu einem gewissen Grad (da wo er sich noch mit den Menschenrechten vereinbaren lässt) dynamisch

*Ihr kennt mich, ich verändere auch Namen von Innenpersonen 😉

Ein Jahr „Pandy’s“ Vitrine

Kaum zu fassen aber war, vor einem Jahr, einer Woche und einem Tag, habe ich hier das erste mal etwas geschrieben und damit meinen ersten Blog eröffnet (hätte ich mit diesem Posting noch einen Monat warten sollen? Hätte definitiv noch cooler geklungen :mrgreen: )

Mein Postfach quillt über, einigen von euch konnte ich schon antworten. Alle anderen bitte ich um etwas Geduld – oder schreibt mir einfach noch mal, nicht dass ihr mir aus versehen verloren gegangen seit.

Jetzt ist es auch schon wieder drei Monate her, dass ich den Blog mit Inhalt gefüllt habe, der mir auch wirklich wichtig war und nahe ging.

Gelobet sei die Dissoziation, die ja nicht nur für das Aufpalten von Menschen in verschiedene Teilpersönlichkeiten verantwortlich, sondern in meinem Fall das, was mühsam zusammengefügt wurde, wieder fein säuberlich trennt und mir jegliche Erinnerungen nimmt, sowohl an die Inhalte der Themen aus der Kategorie „Kabinett“ als auch die simple Tatsache, dass sie tatsächlich geschrieben wurden. Ich musste einiges kurz überfliegen, nur um mir sicher zu sein, dass ich nicht geträumt habe zuzulassen, dass „böse Dinge“, Dinge über die man mit „denen da draußen“ nicht spricht, ja nicht einmal wirklich mit den Involvierten der Familie oder außenstehender Täter. Wenn man darüber sprach, dann nur unter Aufforderung und fast nie ohne mehr oder weniger geschickte Suggestivfragen (á la „Du magst es doch gern wenn der Günter dich so lieb streichelt, da freust du dich die ganze Woche drauf, nicht wahr?“)

Das erste Blogger-Jahr, werde ich nicht großartig kommentieren. Es hat mir viel geholfen. Ich habe mir sozusagen selbst vor Augen führen können, was offensichtlich – wenn auch in einer deutlich abstrakteren Form – schon in meinem Verstand vorhanden war. Privat hat mir das Jahr viel Neues und/oder „einfach sehr Anderes“ gebracht. Auch wurde ich und habe mich selber mit vielen Themen konfrontiert, die ich hier gerne näher beleuchten möchte.

Viele sind zunächst allgemein philosophischer Natur:

„Wer bin ich?“
„Was ist das ‚Ich'“
„Zu was bin ich fähig, im Guten wie im Bösen“
„Was ist eine gesunde Sexualität, wie erfahre ich ob ich eine habe und wenn dem nicht so ist, wie erreiche ich das“
„Wie lernt Mensch zu vertrauen, wenn er klein ist, wie ist es, wenn er erwachsen ist?“
„Zu was kann ich gebracht/getrieben werden und was oder wie lange braucht es dazu (Stichwort Bewusstseins- und Verhaltenskontrolle, bzw. mind-control)?“
„Zu welchen Methoden greifen welche Organisationen um Menschen unter Kontrolle zu bringen?“
„Was motiviert solche Organisationen oder RiGaGs?“
„Wann verliert die Ware Mensch ihren Wert für die Organisation?“
„Wie löse ich mich aus solchen Netzwerken von RiGaGs, Organisationen von Tätern, involvierten Familien oder Einzeltätern

Mit dem Hintergrund der Themen, mit denen ich mich hier beschäftige, nämlich Störungen im Identitätserleben, gestörte Familienstrukturen mit psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt, organisierter Menschenhandel, Gewalt als Bestandteil ritueller Handlungen von Kulten mit den verschiedensten Ideologischen Unterbauten, bekommen viele der Fragen – wenigstens für mich – eine ganz neue Dimension.

Ich freue mich, dass sich für diesen Blog einige Gastschreiber bereit erklärt haben das ein oder andere Thema aus ihrer Sicht zu beleuchten.

„Es ist ganz einfach: du fühlst dich nicht gesehen!“

„Es ist doch ganz einfach: du fühlst dich nicht gesehen.“ sagte eine Freundin am anderen Ende der Leitung und es fiel mir wie die sprichwörtlichen Schuppen aus den Haaren (ok, das ist von Otto – aber der Mann besaß eine Weisheit, die wohl erst Generationen nach uns vollständig erfassen können).

Emotionen zu lernen, richtig einzuordnen und deren Intensität zu steuern ist eines meiner Lernthemen. Ich muss Unterschiede erkennen lernen, Emotionen aushalten können und angemessene Ventile finden – wahrscheinlich noch einiges mehr… wie gesagt: ich lerne.

Meine ehemalige Therapeutin sagte mir, dass ich ein „Verarbeitungsdreieck“ habe. Das schien eine ihrer zahlreichen, aber für mich sehr anschaulichen Wortschöpfungen zu sein. Entweder stehen eine depressive Episode, generalisierte Angst garniert mit Panikattacken oder chronische Schmerzen im Vordergrund. Je nachdem was gerade den größten Leidensdruck verursachte, wurde ein Symptom behandelt – oder oft: es wurde versucht ein Symptom zu behandeln. In jedem Fall aber sorgten diese vordergründigen Symptome dafür, dass das, was eigentlich dahintersteht, diese „Verarbeitungsmechanismen“ auslöst nicht gesehen wurde oder gesehen werden wollte. Besser schnell wieder fit für die Arbeit zu werden, besser den Partner nicht noch mehr belasten, besser meinen sozialen Verpflichtungen weiter nachgehen.

Stecke ich in einer depressiven Episode, erlebe ich oft eine emotionale Leere. Da weiß ich, dass ich wütend bin, wenn ein Partygast meine Lieblingstasse aus dem Fenster wirft, um zu schauen, ob er noch über das Nachbarhaus werfen kann. Da weiß ich, dass ich den besten nicht-ganz-Ehemann von allen über alles liebe. Ich weiß es, dennoch fühle ich nicht. Der Partygast kommt mit einem :“Boah, Alter…“ davon, mit dem geliebten Mann kann ich sprechen – und mein Leben besteht ja nicht nur aus depressiven Episoden.

Habe ich Schmerzen, sieht es nach außen wenig anders aus. Ich bin zu beschäftigt – naja, abgelenkt wäre wohl das bessere Wort – um die Enttäuschung zu fühlen, wenn jemand, den ich einst als Freund sah, sich aus egoistischen Gründen gegen mich wendet. Empfindungen Überdecken da viele Gefühle.

Stecke ich in einer Phase mit hoher Anspannung, generalisierter Angst und Panikattacken, da werde ich zur Druckkabine mit Fehlfunktion. Nach Außen hin scheine ich offensichtlich ruhig, eher teilnahmslos (Wie nützlich Feedback doch sein kann, ich sehe in mir immer so eine Art pinkfarbenen Hulk), innerlich bin ich kurz vor dem zerbersten. Jede Emotion verwandelt sich dann in Angst. Der Partytyp schmeißt meine Tasse aus dem Fenster? Pure Panik. Eine (der landläufigen Meinung nach) enttäuschende Mitteilung? Pure Panik. Die Feststellung, wie sehr ich meinen Mann liebe? Pure Panik. Aber wie gesagt, alles ist ruhig. Ich bin starr, bewegungslos, der Traum eines jeden Mitarbeiters einer geschlossenen psychiatrischen Station.

Dieser Umweg soll nur ein wenig erklären, warum es mir – meiner Meinung nach versteht sich – recht leicht fällt die eigenen Emotionen zurückzustellen, in Diskussionen die Metaebene zu finden um Situationen, die außer Kontrolle geraten verhältnismäßig heil wieder zurück auf de „Boden der Tatsachen“ zu bringen. Einerseits scheine ich von Natur aus mit einer etwas größeren Menge Geduld ausgestattet worden zu sein (so wurde es mir es mir in den letzten 30 Jahren jedenfalls immer wieder bestätigt), andererseits kommen mir eigene Emotionen selten in den Weg. Hilfreich – jedenfalls dann, wenn man auch die Person sein möchte, zu der man in Gruppen dann gerne gemacht wird, der Gruppenmoderator, der Selbsthilfegruppenleiter, der Quasi-Therapeut, der Betreuer oder eben der ruhige Mitläufer, der nicht weiter auffällt, weil er zu introvertiert ist (yeah, analyze thisss!). Ich hab dies mein Leben lang genau so gelebt. Ich habe mein Selbstbild darum herum geformt. Ich höre gerne zu, ich höre gerne auch immer wieder zu, ich versuche neue Perspektiven einzubringen, zu differenzieren, zu deeskalieren und was weiß ich nicht noch alles. Warum? Weil ich es kann, es eine gewisse Befriedigung mit sich bringt (ich bin ja schließlich weder Mutter Theresa noch Florence Nightingale)

„Es ist doch ganz einfach: du fühlst dich nicht gesehen.“ sagte diese Freundin und was vielleicht wie eine Banalität klingt ist die Essenz dessen worum ich mein Selbstbild herumgeschaffen habe. Ich fühle mich tatsächlich nicht gesehen. Und wenn ich noch so oft höre, dass ich jederzeit kommen könne und so sein könne wie ich bin, dann bitte ich Menschen mittlerweile diesen Satz nicht mehr zu vollenden. Denn meine Erfahrung ist: Ich kann kommen, wenn ich gefällig bin, wenn meine Stimmung nicht passt, wird mir die Tür vor der Nase zugeschlagen (oder der Hörer aufgelegt). Wenn ich eine (unaus)gesprochene Erwartung nicht erfülle erwarten mich Beschimpfungen, Drohungen, Schuldzuweisungen und Erpressungen. Wenn ich die mir zugesagte Rolle nicht erfülle, werde ich abgestoßen.

Es scheint mir im Moment, als würden nicht einmal meine Freunde oder die Freunde meiner Freunde mich sehen. Sie sehen mich in einer Funktion, die ich ihrer Meinung nach ausfülle und auch auszufüllen habe (nobody likes changes). Falle ich aus dem Schema und zwar aus eben dem, wo ich diejenige bin, die stets zur Hilfe eilt und vor allem vernünftig ist – und werde zu allem Übel auch noch Teil einer Situation, die sich im Nachhinein als triggernd für alle beteiligten Personen herausstellt,  bin ich/sind wir (als System), die ,die von Freunden/äußeren Beschützerfiguren der anderen Beteiligten dafür gescholten werden dies überhaupt zugelassen zu haben. Wir reden hier nicht über Minderjährige oder junge Erwachsene, sondern Menschen, die nicht aus Affekt und in Vorbereitung handeln.

Wenn wir dann zu den Menschen kommen, die mir einfach nur schaden wollen, da erlebe ich wie wenig Worte und Schwüre etwas zählen, wenn auf einmal das eigene Ego im Weg steht, wie schädlich die eigenen Familienbande sein können und wann man besser seinen Mund hätte halten sollen. Erfülle ich meine Funktionen nicht mehr: O-o-o-off with her head!!!

So schafft es eine Freundin mich ausgerechnet in einer Situation anzurufen, in der ich zuvor unter starkem Druck stand, was sie bemerkte, kommentierte, dann aber geflissentlich überging, denn sie hatte jetzt Sorgen. Ich ließ mich auf das Gespräch ein, stellte schnell fest, dass es wohl mal wieder „an der Zeit“ war und diese Freundin – geblendet von ihrer eigenen Angst, zugegeben – ihr gesamtes Repertoire an egozentrischem Verhalten aus den hintersten Ecken ihres Bewusstseins grub und ich verlor die Lust den Therapeuten zu spielen – etwas, was ja keiiiiner meiner Kontakte offen wünscht, aber wehe ich verlasse diese Straße…

Ich reagierte, mein Ton verlor Freundlichkeit, gab den Widerspruch nicht dort, wo er genehm war (lest mehr Ehrhart, bildet ungemein). Ich äußerte, was mich ärgerte und als alles nichts half wurde meine Stimme harsch, ebenso meine Worte. Schön, dass mittlerweile wenigstens eine Rationalisierung gefunden wurde, die den Schein aufrecht erhält, dass ich nicht bei Sinnen war, die von mir geäußerten Inhalte also nicht ernst zu nehmen seien. Dass auch mir der Bock ausgeht mich anflappen zu lassen, nur weil mein Gegenüber sich ausagieren möchte, sei hoffentlich verständlich.

Man sagte mir einmal, ich sei wie ein Dampfkessel, ich würde Probleme in mich hineinfressen und irgendwann platzen. Ich gebe zu, solche Zeiten gab es, aber die sind seit Jahren vorbei. Ich halte nichts davon hintenherum einem die übelsten Geschichten anzudichten und nach vorne freundlich zu tun und genauso wenig davon alles, was mich stört in mich hineinzufressen und bei dem berühmten Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt, in die Luft zu gehen. Ich sage meine Meinung und das mit so viel Diplomatie und Verständnis, wie ich in der Lage bin aufzubringen. Ich bin kein Dampfkessel mehr, denn das hat mich kaputt gemacht. Ich äußere mich gegenüber meinen Mitmenschen, ich tue dies vorsichtig, dosiert und freundlich, denn ich möchte niemandem schaden. Merke ich, dass ich nicht gehört werde, werde ich deutlicher bis zu dem Punkt, wo wirklich deutliche Worte fallen und scheinbar fallen müssen. Die Situationen, in denen ich mich hab hinreißen lassen und mit (teilweise nicht mal) gleicher (sondern eher Gummi-)Munition zurückgeschossen habe – denn auch ich vertrage nur ein gewisses Maß an Herablassung, Verbal Injurien, Provokationen und unangemessener Lautstärkeerhöhung, führten fast jedes Mal zur Eskalation – denn so darf ich mich ja nun wirklich nicht verhalten, ich hätte schließlich sachlich bleiben können. Jetzt ist mein Gegenüber nur noch gestresster…

Wenn ich immer wieder das gleiche sage(n muss, denn kein anderer tat es in der Vergangenheit oder tut es in anderen Situationen) und nach einigen Jahren und vorangehender Provokation selbst mein Geduldsfaden reißt, ja dann ist Polen offen, Holland in Not und die Amerikaner haben nun doch offiziell die Weltenherrschaft an sich gerissen – also für die anderen, nicht für mich. Bei mir steigt nur noch etwas Rauch aus den Ohren.

Ich höre: „Ja, wäre es nicht besser gewesen, wenn man die Diskussion kurz unterbrochen hätte und wieder auf ein sachliches Level gebracht hätte? – Natürlich. Genau das mach ich Tag ein Tag aus, aber – gerade nachdem es so oft diskutiert wurde: Du weißt wie man es tut, du weißt, wie du die Situation gerne hättest, also tut dir keinen Zwang an und krempel selbst mal die Hemdsärmel hoch.

Ich höre: „Bei mir wäre das viel besser angekommen, wenn du es mir in einem ruhigen Ton gesagt hättest.“ – Ehrlich? und die gezählten 48 Mal, wo ich genau das getan habe zählen nicht weil…? Oh, vergessen… na dann

Und dann ist Land unter, Polen offen, Holland in Not… aber bleiben wir in Europa.

Wer bin ich überhaupt? Jeder behauptet er will nicht, dass ich den Therapeuten für ihn spiele oder den Betreuer, aber die meisten verfallen in eine Krise, wen ich eben genau das tue, weil ich anders nicht mehr kann.

[Theatralik]

Wer bin ich? ICH WEISS ES NICHT! Ich bin dabei es herauszufinden und es ist verdammt nochmal schwer das herauszufinden, wenn die eigene Identität zersplittert ist, in tausend kleine und große Teile, wenn erst Drogen (=Medikamente) meines örtlichen Dealers (=Facharzt) mir helfen können ein Gefühlsleben zu entwickeln, das mich zugegebenermaßen in gleicher Weise fasziniert wie überfordert.

Ich wäre dankbar, wenn ihr einmal hochschaut und MICH seht, nicht das, was ich praktischerweise dargestellt habe über viele Jahre hinweg dargestellt habe, sondern das, was mich ausmacht.

[/Theatralik]

Ich mach mir da keine allzu großen Illusionen. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und mein neues Selbstbild garantiert auch nicht, Ich will ja nicht alles über Bord werfen, nicht jemand „ganz anderes“ sein, nur die Freiheit nicht so zu funktionieren, wie andere es von mir gewohnt sind. Ich wünsche mir doch nur, dass mir weniger Steine in den Weg gelegt werden. Ich möchte nur zur Abwechslung mal nicht zurückstecken, einmal nicht auf gezielte Manipulationen eingehen, weil ich eigentlich etwas anderes bräuchte. Ich möchte sagen können, dass jemand in die falsche Richtung schreitet, denn aus dieser komme ich bereits und weiß was dort wartet und dann möchte ich, dass man mir wirklich Gehör schenkt, nicht, dass man auf mich, den Schwächling, niederblickt ohne selbst festzustellen, dass die eigenen Muskeln nur aufgepumpte Schwimmflügelchen sind.

Eine etwas andere Familientradition oder das absichtliche Erschaffen einer multiplen Persönlichkeit

Dass es so etwas wie multiple Persönlichkeiten als Störungsbild gibt, habe ich erst erfahren, als ich den Entlassungsbericht nach meinem ersten Klinikaufenthalt in den Händen hielt. Auch wenn diese Diagnose seither von verschiedenen Institutionen, Ärzten, Therapeuten immer wieder gestellt wurde, konnten wir das Störungsbild erst verstehen und uns selbst damit in Verbindung bringen, als sich ein Therapeut viel Zeit nahm eine ordentliche Differenzialdiagnostik durchzuführen und uns aufzuklären, indem er mit uns Fachartikel durchging und Kontakte zu Fachleuten für verschiedene Störungen arrangierte.

Das alles bedeutete jedoch nicht, dass es bei uns schon früh ein Bewusstsein dafür gab, dass die Persönlichkeit eines Menschen aus verschiedenen „Leuten“ bestehen konnte, nur fehlte eine vernünftige Einordnung dieses Phänomens. Als Kind war es schlicht normal, denn wir waren bei weitem nicht die einzigen in der Herkunftsfamilie mit einer dissoziativen Identitätsstruktur, allerdings war auch klar, dass man mit Außenstehenden über so etwas niemals sprechen durfte. „Man wird denken du bist verrückt und dich einsperren, weißt du.“, war ein beliebter Satz, den wir in verschiedensten Zusammenhängen unentwegt zu hören bekamen. Als Jugendliche schienen uns Erklärungen wie Besessenheit von Dämonen, so wie es in der Bibel beschrieben ist, und Schizophrenie, von der wir lange ein vollkommen falsches Bild hatten, als ausreichend.

Mit dem Bewusstsein, was es überhaupt bedeutet, wenn ein Mensch multiple Identitäten ausbildet, entwickelte sich auch ein Bewusstsein dafür, dass in unserer Herkunftsfamilie schon seit Generationen einiges schief zu laufen schien. Ich schrieb ja schon, dass wir nicht die einzige Multiple in unserer Familie waren oder sind. Wir  glauben und wissen z.T. auch, dass unser Vater, unsere Tante, unsere Großtante, unser Bruder und einige unserer Cousinen und Cousins ebenfalls eine dissoziative Identitätsstörung haben. Einige waren selbst in psychiatrischer und psychologischer Behandlung, erhielten diese Diagnose, andere nicht (bzw. nicht, dass wir wüssten), aber sie hatten so lange wir denken konnten vollkommen unterschiedlich agierende Anteile in sich, die auch verschiedene Namen trugen.

Dissoziation ist eine normales psychisches Phänomen, jeder kann es, die einen mehr, die anderen weniger gut. Unter anhaltenden extremen Bedingungen spalten kleine Kinder Anteile ihrer Psyche ab, die sich später zu eigenständigen Identitäten entwickeln können. Die Psyche schafft es also ganz von alleine sich zu „multiplizieren“. Es gibt eine Reihe gewissenloser Menschen, die sich dieses Phänomen zu Nutze machen. Selbst die CIA hat Mitte des letzten Jahrhunderts Experimente in dieser Richtung durchgeführt. Eine aufgespaltene Psyche, eine sog. dissoziative Identitätsstruktur, hat für den, der es versteht die Vorteile dieses Phänomens zu nutzen, einen nicht zu unterschätzenden Wert. Auf den Wert für Geheimdienste und Militär kann ich nicht weiter eingehen, dass mir die Strukturen dieser Organisationen zu unbekannt sind. Einige destruktive Sekten und Kulte machen sich das gezielte Aufspalten zu eigen und dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Zum einen sind unterschiedliche Identitäten innerhalb einer Person ein „Abfallprodukt“ der „Erziehung“ innerhalb dieser RiGaGs, die oft unbedingtes Gehorsam unter dem Einsatz massiver Gewalt „trainiert“, und verschiedenen Ritualen, wie dem Praktizieren von Sexualmagie, das nicht selten mehr ist als eine Stunden dauernde Gruppenvergewaltigung. In einigen Ideologien gilt eine aufgespaltene Persönlichkeit als „magisch“, „heilig“, „unheilig“, „Tor“ oder „Wohnstätte“ für Geister und Dämonen. Persönlichkeitssysteme werden absichtlich kreiert um das Tun der RiGaG selber vor Außenstehenden, mit denen das Kind in Berührung kommt (Lehrer, Ärzte, Sozialarbeiter, Eltern, falls diese nicht selbst involviert sind) zu verstecken, indem Anteile und Innenpersonen geschaffen werden, die allein für z.B. die Schule verantwortlich sind und vom (nächtlichen) Treiben der RiGaG nichts mitbekommen, oder um innere Kontrollinstanzen im Kind zu schaffen, damit mögliches Fehlverhalten sofort Konsequenzen nach sich ziehen kann. Es werden spezielle Fragmente oder vollständige Innenpersonen abgespalten, die nur für einen bestimmten Job innerhalb der RiGaG oder innerhalb des Persönlichkeitssystems des Kindes ausgebildet werden. Es ist leichter ein Kind dazu zu bringen z.B. ein Tier zu töten, wenn es nur das und nichts anderes kennt, wenn es sich keine Gedanken um Hausaufgaben oder Freunde machen muss, wenn es nicht gelernt hat, dass alles Lebende fühlt oder dass man selbst starke Gefühle hat. All das ist dissoziiert, abgespalten. Der Persönlichkeitsanteil des Kindes lebt ohne diese Gedanken, ohne das Wissen, ohne die Gefühle, die das Kind vielleicht hätte, wenn die Gesamtpersönlichkeit noch intakt wäre. Man schafft sich so seelenlose Roboter.

Genau das ist auch die Motivation, die viele Ringe, die Kinderpornographie herstellen und Kinder zwangsprostituieren (auch hier sind viele RiGaGs involviert, da es eine gute Einnahmequelle ist und sich die bereits „erzogenen“ Kinder der Gemeinschaft gut eignen), dazu bringt ihr „Material“ abzurichten, sprich gezielt aufzuspalten und die entstehenden Persönlichkeitsfragmente und Identitäten für bestimmte Aufgaben zu trainieren. So schaffen sie ein Kind, dass auf bestimmte Cues hin bestimmte sexuelle Handlungen ausführt, still ist, stöhnt, Orgasmen hat oder gut simuliert, leise weint, schreit, Widerstand zeigt oder wild um sich schlägt. Hervorragend, da ist für jeden Geschmack was dabei und ein einzelnes Kind, dass sich möglichst vielfältig einsetzen lässt bringt ordentlich Asche. Es ist so ernüchternd, wenn man sich das mal auf der Zunge zergehen lässt: Ja, Macht spielt auch immer irgendwo eine Rolle, aber ganz oft geht es nur ums Geld.

Unsere Herkunftsfamilie war zum einen involviert in eine Gemeinschaft, die rituelle Gewalt praktizierte, zum anderen wurde bei uns zu Hause Kinderpornographie in großem Stil produziert und zwei Geschosse des Hauses verwandelten sich mehrmals im Monat in ein Kinderbordell. Dort wurden nicht nur die Kinder unserer Familie, meine Geschwister und Cousins und Cousinen, sondern auch fremde Kinder missbraucht und gefilmt.

Physische Gewalt, genau so wie sexueller Missbrauch wird oft innerhalb einer Familie weitergegeben. Man neigt dazu in den Strukturen zu leben, die man selbst kennengelernt hat. Mein Urgroßvater hat sich bereits an meiner Großtante vergangen, meine Tante wurde von meinem Großvater missbraucht und suchte sich selbst wieder einen Mann, der regelmäßig zu den gemeinsamen Kindern ins Bettchen stieg. Wir Mädchen wuchsen mit der Gewissheit auf, dass wir wertlos seien und zu nicht anderes zu gebrauchen sind als andere Menschen sexuell zu befriedigen und Kinder zu bekommen, wenn das von uns erwartet wird. Die Jungs bekamen einige Freiheiten, wenn sie älter wurden und sich als stark (was auch immer das heißen mag) erwiesen, wer aufgegeben hatte oder Schwäche zeigte, wurde zum „Mädchen“ degradiert.

Spätestens seit meiner Generation ist auch die gezielte Spaltung der Persönlichkeit ein Thema. Einige der Mädchen in unserer Familie wurden durch das Abrichten für die RiGaG und zum Zwecke der besseren Vermarktung aufgespalten und trainiert. Es gab natürlich auch immer wieder unkontrollierte Abspaltungen und Identitäten, die „unter dem Radar flogen“, sowie andere, die als das, was sie waren, erkannt wurden und entsprechend behandelt. Wir bekamen verschiedene Namen von unserer Familie oder denen, die uns „erzogen“. Innenpersonen bekamen ihren eigenen Namen, damit sie leichter unterscheidbar wurden und auf Ansprache „raus kommen“ konnten, d.h. die Kontrolle über den Körper übernehmen konnten, gerade so wie es den Tätern passte. Vater, Großmutter und Andere hatten unterschiedliche Namen für uns, nicht Variationen unseres im Ausweis stehenden Vornamens, so unterschiedliche wie Katrin, Lotte, Marianne, Christine oder Sven (ja, es gab auch innerhalb der Familie die merkwürdige Vorstellung, dass ein Mädchen durch männliche Innenpersonen aufgewertet wird). Einige Innenpersonen von uns können sich erinnern, dass sie für gewöhnlich mit ihrem eigenen Namen angesprochen wurden, ganz selten wurde zu Hause der eigentliche Vorname benutzt. Wer draußen war hatte auf Anfrage zu antworten, wer er ist. Wer zur falschen Zeit am falschen Ort war wurde bestraft. So sollte man lernen, dass immer die passende Innenperson in der passenden Situation die Kontrolle über das Handeln hatte. Man wollte kein Kind, dass nur dazu da war Männer oral zu befriedigen im Sportunterricht in der Schule haben und kein Mädchen, dessen Aufgabe der Haushalt war, mitten in ein komplexes satanisches Ritual platzen sehen.

Wir genossen als Kinder einige Freiheiten, die andere mit ähnlicher Herkunft nicht hatten: wir durften mit anderen Kindern spielen. Wenn es sich dabei um Kinder handelte, die nicht zur Familie gehörten, wurden diese Spiele sehr genau beobachtet. Waren wir – was öfter der Fall – war mit Kindern unserer Familie unterwegs, so war es nicht ungewöhnlich, dass sich bestimmte Innenpersonen zusammenfanden und gemeinsam spielte. Im Verlaufe eines Nachmittags konnte das auch mehrfach wechseln, häufig von dem ebenfalls multiplen Gegenüber gespiegelt. Für uns Kinder war das Normalität, auch wenn wir gleichzeitig wussten, dass wir mit Außenstehenden niemals darüber reden dürfen. Für uns gehörte es dazu, dass in Haus und Garten (niemals auf der Straße oder anderen öffentlichen Orten) hinter der Cousine mit dem offiziellen Namen Jasmin [auch hier gilt wieder: sämtliche Namen sind geändert, wir wollen uns nicht noch weiter aus dem Fenster lehnen, als wir es ohnehin schon tun] eine Vielzahl anderer Personen steckt, das gerade vielleicht Angi da ist, mit der unsere Maria so gerne puzzelt, dass vor einer halben Stunde noch Bibbi und Margret wild über den Hof getobt sind und dass ich aufpassen muss, wenn ich dieses altbekannte funkeln in den Augen sehe, dass ist nämlich Sebastian und der hat wenig Geduld und prügelt sofort los.

Ja, man könnte sagen multipel sein und seine Kinder ebenfalls gezielt aufzuspalten (oder aufspalten zu lassen) ist eine Familientradition.

Auch wenn ich grundsätzlich viel von Traditionen halte – ich muss nicht jeden Scheiß mitmachen.

„Die müssen sie schon wegsperren.“ – Vom Umgang mit schwierigen Anteilen

Jeder Mensch hat an sich Seiten, die ihm oder anderen unangenehm sind, die als schwierig empfunden werden oder unangemessen.

Hat man eine dissoziative Persönlichkeitsstruktur, bezieht sich dieses „Problem“ weniger auf einzelne Verhaltensweisen eines Individuums, sondern auf einige vollständige und separate Identitäten innerhalb eines Persönlichkeitssystems.

Als wir vor einiger Zeit auf der Suche nach einem Therapeuten waren, der uns helfen sollte einen Umgang mit uns als System zu finden und uns aus dem Griff des Täterkreises zu lösen, hatten wir unter anderem auch ein Telefonat mit einer Therapeutin, die von sich selbst behauptete Ahnung zu haben. Also machten wir einen Termin für ein Erstgespräch aus, zu welchem wir voller Hoffnung einige Wochen später fuhren. Im Laufe dieses Gespräches wich die anfängliche Hoffnung endlich einen Therapeuten gefunden zu haben, der wirklich helfen konnte, nach und nach aufkommender Enttäuschung und Ernüchterung. Obwohl diese Therapeutin behauptete schon „viele multiple Frauen erfolgreich therapiert zu haben“, warfen ihre Äußerungen zu dem Thema bei uns die Frage auf, ob wir da von dem Gleichen sprechen und ob diese Frauen, von denen sie (übrigens auch viel zu viel) berichtete, tatsächlich multipel waren, oder (und man möge mir das verzeihen) lediglich gelangweilte Hausfrauen, denen etwas mehr Aufmerksamkeit, als sie zu Hause bekommen, schon Hilfe zur Heilung genug war.

Eine ihrer Äußerungen war, dass sie erst bereit wäre mit uns in die therapeutische Arbeit einzusteigen, wenn wir es geschafft hätten sämtliche „unerwünschte“ Innenpersonen dauerhaft wegzusperren. „Unerwünscht“ war ihren Worten nach jeder Anteil, der destruktives Verhalten zeigte, sich z.B. selbst verletzte, Wutausbrüche hatte oder in irgendeiner Form täteridentifiziert und -loyal war. Sie riet dazu einen Kerker zu imaginieren, in den diese Innenpersonen geworfen werden würden und zu dicken Gitterstäben, die sie daran hindern sollten wieder an die Oberfläche zu kommen. Großzügig bot sie uns an, uns dabei zu helfen, wenn wir das selber noch nicht schaffen würden. Wir lehnten dankend ab und gingen wieder unserer Wege. Dafür war uns unser sauer verdientes Geld dann doch zu schade, denn sie war keine Psychotherapeutin, lediglich Heilpraktikerin, die einige Modulen Traumatherapie belegt hatte, und somit hätten wir sie selber gezahlt. Hätte sie getaugt, wären wir mehr als bereit gewesen die Kosten der Therapie selbst auf uns zu nehmen, allerdings war die oben wiedergegebene Äußerung nicht die einzige, die uns an ihrem Verständnis der Störung zweifeln ließ.

Anteile wegsperren.

Das ist ein Konzept, das damals (und zugegebener Maßen auch heute noch) für einige von uns eine große Verlockung darstellte. Wie ruhig könnte doch das Leben sein, wenn alle Innenpersonen dauerhaft verschwinden würden, die emotionalen Druck mit Selbstverletzung kompensieren, die es bis heute nicht geschafft haben ein gesundes Essverhalten an den Tag zu legen, deren Geduld an einem zu dünnen Faden hängt, die noch immer an ihrer Loyalität gegenüber einzelnen Tätern festhalten, die den Mist glauben, der ihnen in der RiGaG eingetrichtert wurde, die sich mit dem Verhalten einzelner Täter identifiziert haben und kurz alle, deren eigenes Verhalten so stark durch Familie, RiGaG und Leben in Zwangsprostitution beeinflusst wurde, dass sie in der normalen Taggesellschaft auffallen.

Und wenn wir schon dabei sind, können wir noch mehr Ruhe reinbringen, wenn wir die Anteile loswerden, die viel zu emotional sind, die bei jeder Gelegenheit einen Heulkrampf bekommen, das ist ja sowas von peinlich. Die männlichen Anteile können auch verschwinden, die haben in einem Frauenkörper ohnehin nichts verloren. Weg mit Teenagern mit zweifelhafter Körperhygiene und Wortwahl, Innenkinder, die sich nicht richtig artikulieren können – wer brauch die schon – oder überhaupt sämtliche Innenkinder, die nicht „herzerfrischend“ oder „niedlich“ gefunden werden (diese Worte hat ohne Witz mal jemand Außenstehendes benutzt), weil sie nicht still und artig sind, laut krähen, ungeduldig sind, Bedürfnisse äußern und keinen Charme, Witz oder erstaunliche kindliche Weisheit besitzen (Kunststück, wenn eine 5-Jährige schon 40 Jahre auf dem Buckel hat). Wenn wir dann noch alle traumatisierten, depressiven, verängstigten, psychotischen und zwanghaften Anteile in den Kerker geworfen haben, alles mit dicken Stahlgittern gesichert haben, können wir uns den Staub von den Händen klopfen und uns beruhigt zurücklehnen.

Übrig bleibt das ach so „niedliche und herzerfrischende“ Innenkind Iks, das darf dann zwei mal im Monat nach draußen und Bilder von Schmetterlingen und Regenbögen für die Therapeutin malen und die Innenpersonen Üpsilon und Tsett – wie praktisch, die eine übernimmt viele Aufgaben auf der Arbeit und die andere kocht und putzt. Dass Üpsilon jegliche Form von menschlichem Kontakt verabscheut und in Gesprächen mit Geschäftspartnern ein Desaster ist und Tsett weder lesen noch schreiben kann sind doch nur kleine Schönheitsfehler. Autofahren kann auch keiner mehr? Macht nichts, die Kiste kann der zukünftige Ex-Mann gleich mitnehmen, wenn er mit Hund und Kind, für die sich keiner der Übriggebliebenen verantwortlich fühlt, auszieht, denn immerhin waren es ja nicht Üpsilon und Tsett, die diesem haarigen Dreibein vor dem Altar ewige Treue geschworen haben.

Alles egal, denn endlich ist Ruhe.

Abgesehen davon, dass wir es für unmöglich (oder mindestens sehr sehr unwahrscheinlich) halten, dass eine ganze Kategorie an Innenpersonen dauerhaft so weggesperrt werden kann, dass vollständig verhindert wird, dass das Denken, Fühlen und Handeln der übrigen Innenpersonen beeinflusst wird, frage ich mich, ob man dem Menschen als Ganzes einen Gefallen damit tut, wenn man einen wichtigen Teil der Persönlichkeit ausschaltet. Oben erwähnte Therapeutin würde einem nicht-Multiplen kaum raten seine Wut in ein ausbruchsicheres Gefängnis zu stecken und keiner von beiden würde ernsthaft erwarten, dass sich das Agressionsproblem des Klienten von heute auf morgen in Luft auflöst. Nein, der Klient wird lernen mit seinen Emotionen umzugehen und weniger destruktive Verarbeitungsmechanismen entwickeln. Jeder weiß, dass umdenken und -lernen Zeit und Energie erfordert. Für Multiple gilt das nicht weniger. (Psycho)edukation ist das Zauberwort des 21. Jahrhunderts (und wenn nicht, dann leg ich das hier und heute einfach mal so fest). Verstehen verändert so vieles. Wie will ich als Arzt oder Therapeut für meinen Patienten eine Gesundung der Psyche erreichen, wenn ich konsequent wichtige und zum Überleben des Menschen notwendig gewesene Anteile abschneide. Ich amputiere einem Mann mit eitrigen Geschwüren ja auch nicht beide Beine mit den Worten: „Damit können sie die 100m Hürden noch schneller laufen als vorher!“.

Will ich als Multiple/r oder deren/dessen Therapeut/in (ab und an mal politisch korrekt sein hilft dem Gewissen) wirklich etwas verändern und vor allem verbessern, muss ich mich auch oder gerade mit den unangenehmen Anteilen auseinandersetzen, denn (auch) diese Anteile haben zum Überleben des gesamten Systems beigetragen. Ich wünschte auch oft, ich könne einen Flammenwerfer in die Hand nehmen und eine innere Brandrodung machen, wenn Franz, die braune Socke, in meinem Schädel „Heil Hitler“ brüllt, bloß weil die Dorfdeppen von der NPD mal wieder fähnchenschwingend die Kreuzung blockieren. Franz kennt nur den Mist, den sein Onkel und dessen Freunde ihm erzählt haben, die einzigen Menschen, die er je kennengelernt hat und auch der wird es früher oder später noch lernen. So ist es mit dem unerwünschten Verhalten anderer Innen auch. Irgendjemand musste den Schwachsinn nachplappern, der von Familie oder anderen Tätern eingetrichtert wurde, irgendjemand musste die Beine breit machen und wenn sich dann auch noch jemand gefunden hat, dem das nichts ausmacht und der vielleicht sogar Spass dabei hatte: prima, das ist eine gute Anpassungsleistung, auf die das System stolz sein darf. Viele der als schwierig oder unerwünscht angesehenen Anteile bringen Fertigkeiten und Fähigkeiten mit, die dem ganzen System von unschätzbarem Nutzen sein können, auch wenn das System oder diese Anteile selbst, dass oft nicht ganz glauben können.

Es lohnt sich im in den Dialog zu treten, auch wenn das – gerade am Anfang – nicht immer leicht ist.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. IV

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

(Teil 3)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 4)

Und neben all dem, deinem ganz normalen Alltag, existiert eine Parallelwelt. Du führst ein Doppelleben, von dem du nichts mitbekommst. Freiheit ist eine Illusion. Noch immer wirst du von einer Tätergruppe, die dich schon seit Jahrzehnten ihr Eigen nennen abgeholt. Du bist Teil ihrer Gemeinschaft – oder um genauer zu sein – Andere in dir sind Teil dieser Gemeinschaft. Ja, du bist nicht die Einzige, die in deinem Körper wohnt und Kontrolle über ihn hat. Du bist aufgespalten. Die „Anderen“ ertragen für dich Folter, Vergewaltigung und viele andere Dinge, von denen du keine Ahnung hast, die du nicht verstehen könntest. Die Anderen in dir sind die Opfer der Gewalt, ertragen, erdulden, wieder andere haben das Gedankengut der Gemeinschaft so sehr verinnerlicht, dass sie so geworden sind wie die Gruppe, der du, der ihr gehört. Es ist wie in einem schlecht gemachten Horrorfilm oder die wahnwitzige Geschichte eines paranoiden Verschwörungstheoretikers.

Wie sollst du das Glauben? Wie sollst du akzeptieren, dass deine eigene Familie dich missbraucht hat, dich weiterverkauft hat, dass dein eigener Großvater in seinem schön ausgebauten Keller eine Folterkammer hatte, dass er dich und deine Geschwister oder Cousinen zu allerhand abartigen Sexualpraktiken hingegeben hat – nicht ohne das ganz auch in Szene zu setzen, zu fotografieren, zu filmen. Wie sollst du glauben, dass du zu einer Art Sekte gehörst, eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder manipuliert, wo nicht nur Tieropfer dargebracht werden.

Du überlebst, weil du es nicht weißt, weil es nicht dir selber passiert.

Natürlich erlebt sich nicht jedes System auf diese Weise. Auch hat nicht jedes System den gleichen Hintergrund. Was ich hier in Bruchstücken beschrieben habe, ist einiges was mir selber passiert ist, wie ich mich und mein Leben wahrgenommen habe.

Bis ich 23 war habe ich ganz ernsthaft geglaubt ich wäre von Dämonen besessen. Das schien mir die passende Erklärung zu sein. Ich dachte dann, ich wäre vielleicht Schizophren, würde mir alles, was in meinem Kopf vor sich geht, was ich glaubte zu erinnern, nur einbilden. Und wer hört schon Stimmen. Es hat eine Weile gedauert bis ich verstehen konnte, wer oder was ich bin – und das auch erst, als sich jemand die Zeit genommen und die Mühe gemacht hat es zu erklären. Die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ wurde schon viel früher gestellt, allerdings sprach niemand mit mir darüber. Ich wusste nicht einmal, dass ich sie hatte oder dass diese Störung existiert.

Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten die Diagnose anzunehmen. Vielleicht nicht in dem Maße, in dem andere Menschen mit „ihrer“ DIS kämpfen, denn auf irgend eine Art und Weise war ich froh endlich herausgefunden zu haben, was da mit mir nicht stimmt. Ich erlebe es immer wieder, dass Multiple ihre Störung nicht wahrhaben wollen und ich kann mir auch vorstellen, dass es Punkte gibt, die man nicht so gerne akzeptiert. Zum einen bekommt man von außen bestätigt, dass man zeitweise keine Kontrolle über sein eigenes Handeln hat. Der Mensch an sich ist ein Kontrollfreak, er benötigt zumindest das Gefühl die Kontrolle zu haben. Es vermittelt ihm Sicherheit.

Ja und dann gibt es das, was ich so gerne als „Rattenschwanz“ bezeichne. Die Diagnose DIS bedeutet auch gleichzeitig, dass einem in einem sehr frühen Stadium der eigenen Entwicklung, also im Kleinkindalter, massive Gewalt angetan wurde. Sonst hätte sich die Seele nicht aufspalten müssen um sich zu schützen, um buchstäblich (und das ist keine Übertreibung) zu überleben. Puh… akzeptieren, dass Menschen ein Kleinkind derartig missbrauchen, foltern, vernachlässigen – und das über Jahre hinweg (denn die DIS entsteht nur, wenn die traumatischen Situationen immer und immer wieder geschehen, es kein Entrinnen, keine Hilfe gibt)… und dann versuchen das mit einem Weltbild von guten Eltern, die ein Kind schützen (sollten) oder dem Bild vom „edel, hilfreich und guten“ Menschen zu vereinbaren… das ist schwer. Man muss eine ganze Weltanschauung über Bord werfen, wenn man eine Diagnose wie die DIS akzeptieren will

Wundert es da, dass Betroffene lieber leugnen, sich einreden sie wären nur „zu gute Schauspieler“ und das Fachleute die Existenz einer solchen Störung aufgrund wiederholter Traumatisierungen in der frühen Kindheit nicht anerkennen?.

Ich bekomme noch immer regelmäßige Anfälle von „Fakeritis“, dann werden die Zweifel zu groß, ich glaube ich bilde mir nur etwas ein, ich lüge, ich übertreibe, ich bin ein Hypochonder, jemand, der zu viele Bücher gelesen hat… oder schlicht ein unglaublich böses Mädchen, dass guten, braven Bürgern die unmöglichsten Sachen unterstellt.

…und vielleicht braucht man das auch manchmal, um sich eine Pause zu gönnen, eine Pause von der oft grausamen Realität.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. III

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 3)

In deinem Kleiderschrank sind Baggypants (du würdest so was im Traum nicht anziehen), komische rote Rollkragenpullover, T-Shirts mit Totenschädeln und bei keinem der Kleidungsstücke könntest du dich erinnern es gekauft zu haben. „Ach“ sagst du dir „die muss wohl jemand hier vergessen haben“ oder du ignorierst es einfach, vergisst, dass es da ist. Ebenso wie die Legosteine, auf die du nachts trittst. Hast du überhaupt Lego? Doch schon seit Jahren nicht mehr…

Du hast aufgehört Tagebuch zu führen. Es macht dir Angst. Es ist als ob sich die Bücher von selber schreiben, du hast es tagelang nicht zur Hand genommen und dennoch sind wieder 20 Seiten mit zum teil merkwürdig fremd und doch vertrauten Handschriften, die hast du schon öfter gesehen, nur was da geschrieben steht, das ergibt für dich keinen Sinn.

Du zeichnest auch nicht mehr gerne, beziehungsweise dein schlägt Herz jedes mal schneller, wenn du deinen Block aufmachst. „Bitte, bitte, lass ihn heute leer sein, nicht schon wieder eines dieser schrecklichen Bilder“. Du öffnest den Block und es flattert dir ein Blatt entgegen mit einer merkwürdigen Szene. Du hast diese Szenen schon öfter gesehen, es gibt bestimmt tausende solcher Bögen in deiner Wohnung, aber sie machen dir Angst. Du weißt nicht genau warum, aber diese merkwürdigen Bilder, die du nicht verstehst, lösen in dir ein tiefes Grauen aus, dass du gar nicht benennen kannst. Ab und an nimmst du einen Stapel und wirfst ihn in die Papiertonne.

Dein Lehrer möchte dringend mit dir reden. Er hätte dich schon eine ganze Weile beobachtet, dein Verhalten sei so merkwürdig, er findet du benimmst dich, als wärst du eine gespaltene Persönlichkeit. Du denkst: „Ich bin doch nicht schizophren“, bekommst Angst. Etwas tief in dir schreit „Er hat uns erkannt“ mit vielleicht so was wie Hoffnung, andere Stimmen, lautere Stimmen schreien „Verräter“, in deinem Kopf wird es so laut, dass du nicht mehr klar denken kannst, du hast hämmernde Kopfschmerzen, bekommst nicht mehr mit was passiert. Irgendwie raus aus der Situation, die du selber nicht verstehst. Im Ausreden finden bist du klasse, los, lass dir was einfallen.

Du gehst in eine Kirchengemeinde, schon recht oft, recht lange. Du suchst nach etwas, vielleicht ist es Gott, vielleicht aber nur andere Menschen, die nett zu dir sind. Du liest in der Bibel, dort steht etwas geschrieben von einem Mann, der von Dämonen besessen wurde, diese nannten sich Legion, denn sie waren viele. Es knallt in deinem Kopf. Vielleicht ist es das, denkst du dir, vielleicht ist es das was mit mir los ist. Ich bin von vielen Dämonen besessen die in meinem Kopf wohnen. Der nette Geistheiler mit dem blonden Bart ist schon seit Tagen dieser Meinung und bietet dir an dir die Dämonen auszutreiben. Drei Tage und Nächte verbringst du im Kreis einiger unermüdlicher, die Beten, in Zungenreden, die Dämonen in dir anbrüllen und sie zum Auszug zu bewegen. So jedenfalls stellst du dir das vor. Du tauchst ständig ab, bist in Trance und verstehst ohnehin nicht was passiert.

Gebracht hat es nichts. Dein Leben geht weiter wie bisher. Du hast einfach keine Ahnung was passiert. Du betest jeden Tag, du verzweifelst. Du fühlst dich dreckig und schmutzig.

Dein Kumpel macht dir eine mächtige Szene, weil du nicht mit ihm Schlafen willst (hast du auch noch nie, ihr seit einfach gute Freunde), er meint, dass du dich sonst ja nicht so anstellen würdest, du beschimpfst ihn als dreckigen Lügner, bekommst das auch prompt zurück. Du bist sauer, verstehst die Welt nicht mehr und ziehst von dannen.

Du hasst es. Es scheint als hätte jeder Mensch mehr Kontrolle über sein Leben als du. Oftmals wachst du morgens auf, hast überall blaue Flecke, dein Hals tut dir weh und du hast Schürfwunden an Hand und Fußgelenken. Du hast Schmerzen im Schritt und als du aufs Klo gehst, stellst du fest, dass der Damm ein Stück eingerissen ist, ein „nicht schon wieder“ verhallt in deinen Gedanken, du willst es einfach gar nicht wissen. Wenn du dich geduscht hast und zur Uni gegangen bist, hast du es auch schon wieder vergessen, du wunderst dich vielleicht noch über die Schmerzen in deinen Hüften… aber das muss wohl daran gelegen haben, dass du heute Nacht wieder so schräg im Bett gelegen hast.

Nächte sind sowieso miserabel. Du hast eigentlich nur Albträume, du traust dich kaum einzuschlafen, wenn du mal mehr als 3 Stunden geschlafen hast, beglückwünschst du dich. Jeden Morgen fühlst du dich gerädert, wie ein benutztes Taschentuch. Das Chaos in deinem Kopf kannst du kaum aushalten, du bist depressiv, verzweifelt und weißt nicht wo all das herkommt. Du hast Angst. Oft ist es als drifte die Welt von dir weg, oder du aus deinem Körper. Um dich überhaupt mal spüren zu können schlägst du deinen Kopf so lange gegen deine Zimmerwand, bis es blutet oder du ohnmächtig wirst.

(Teil 4)