Ein Ausschnitt aus unserer Kindheit, rekonstruiert aus den Erinnerungen verschiedener Innenpersonen. Im geschriebenen Wort ist es nicht so leicht diese Brüche oder Wechsel darzustellen. Wir haben es hier einfach mal mit verschiedenen Farben versucht, wobei jede Farbe für das Erleben oder die Erinnerung einer Innenperson steht. Der Text ist insgesamt etwas länger geworden, darum teilen wir ihn auf. Einige Teile enthalten explizite Darstellungen von z.T. sexualisierter Gewalt und sind daher durch ein Passwort geschützt, welches z.B. hierüber erfragt werden kann.
Sämtliche Namen, auch die der erwähnten Innenpersonen aus unserem System oder dem unserer Cousine, sind wie immer verändert.
Ich erinnere mich noch recht genau. Genau so, wie die meisten meiner Erinnerungen sind. Sie sind wie Dias, Makroaufnahmen, Kurzfilme.
Die Sonne scheint, es ist alles recht grell. Die Sonne mochte ich nie, denn sie verbrennt mich und ich sehe so wenig. Ich stehe am Terrassentisch, der hat so lustige Bommel, die überall an dem Tischtuch herunterhängen, fast auf Augenhöhe. Deshalb waren sie vielleicht auch so viel interessanter als das, was auf dem Tisch stand. Das konnte ich ohnehin nicht genau erkennen ohne auf die Zehen zu gehen und das hätte bestimmt etwas Ärger gegeben, denn Erwachsenensachen sind Erwachsenensachen. Da versteht mein Onkel keinen Spass. Ein Bommel ist eine Banane, einer eine Weintraube. Ich frage die Frau, die nie freundlich, aber auch nie böse schaut und gerade einen Krug rausträgt, was das ist, denn meine Oma hat auch einen Tisch im Garten, aber so was hab ich noch nicht gesehen, vielleicht faszinieren sie mich auch nur deshalb. Ich fasse die Früchte an, sie sind glatt und schwer und ich mag sie. Meine Cousine grinst frech und klipst heimlich immer einen dieser Bommel ab und wieder an.
„So Mädchen“, sagt mein Onkel, „jetzt wird es nun wirklich Zeit. Ihr habt lange genug hier im Garten getobt. Geht rein und zieht die Schuhe aus.
Meine Cousine ist an dem Tag sehr aufgedreht und rennt noch so schnell sie kann einmal in den Garten und dann auf die Terrasse zurück. Ich brauche ja sowieso viel länger beim Schuhe ausziehen, ich krieg das mit den Schnallen einfach nicht hin. Da machen meine Finger nie was sie sollen.
Ich hab noch Zeit den Mann anzuschauen, der bei meinem Onkel sitzt. Ich habe ihn schon öfter gesehen, ich glaube er ist ein Freund vom Onkel. Ich finde ihn toll. Er schaut so groß aus und immer so nett. Meine Oma hätte bestimmt fesch gesagt. Ich weiß nicht warum, so lang ich denken kann, habe ich diesen Mann angehimmelt, groß, gutaussehend, charmant. Ich habe ihn ja öfter mal gesehen, meist, wenn er mit meinem Onkel etwas ganz wichtiges zu besprechen hatte. Erwachsenensachen eben.
Da endet meine Erinnerung, einfach ein Ausschnitt eines Sommertages, kleine Details, die sich festgesetzt haben. So wie das jeder kennt.
Ich bin bin ein bisschen sauer auf meine Cousine. Wenn sie jetzt noch so wild herumhüpft, sogar beim Sandalen ausziehen, dann kann das ganz leicht Ärger geben. Eigentlich bin ich nicht so richtig wütend, ich hab nur ein bisschen Angst. Ich boxe sie in die Seite, sag:“Kkschtt“, wie mein Onkel es sagt und schau sie so an, wie mein Onkel es mir gezeigt hat. Mit ihren großen blauen Augen schaut sie zurück und bleibt auf einmal ganz ruhig stehen. Ich bin erleichtert. Sie ist zwar nur ein Mädchen, aber ich mag sie trotzdem.Ich weiß, dass das jetzt geklappt hat, kein frech sein mehr. Alles wird jetzt gut.
Die Frau nimmt uns an der Hand, heute mal gar nicht so ruppig. Ich bin ein bisschen stolz, denn dann sind wir zwei auch brav genug und gewesen.
„Wascht euch!“ sagt sie, „besonders du, Ines!“ und bringt uns in ein kleines Bad. Sie hat wirklich recht, meine Cousine hat über all kleine Erdklüpchen und Gras im Haar und viele Flecken an den Armen. Ein paar Waschlappen müssen reichen und jede von uns bekommt welche. Ines beugt ihren Kopf über das Klo und wuschelt sich die Haare aus. „Schau mal, ob noch was hängen geblieben ist?“ , fragt sie mich.
Ich höre sie schon gar nicht mehr. Ich wollte mir die Hände waschen und habe in den Spiegel geschaut. Mir wird dann immer schwindelig. Meine Cousine sieht im Spiegel genauso aus wie sonst auch, nur eben verkehrt herum, mir schaut immer ein blondes Mädchen mit blauen Augen und Locken entgegen. Das ist doch verrückt. Ich löse mich auf. Das tue ich oft, aber das ist so, sagt mein Onkel. Ich habe eine Aufgabe, ich bin wie ein großer Bruder, denn meine Cousine hat keinen, nur die doofe große Schwester die uns immer ärgert. Große Brüder sind wichtig, sagt mein Onkel. Sie passen darauf auf, dass ihre kleinen Schwestern alles richtig machen. Ich pass auf meine Cousine auf. Manchmal muss ich sie hauen, wenn sie nicht hören will, aber ich geb ihr auch immer meinen Pudding nach dem Essen ab. Das darf ich, sagt mein Onkel, das gehört auch dazu. Und wenn die Jungs im Dorf uns ärgern, dann hab ich mich mit denen schon oft geprügelt.
Sommertag – Pt II
Sommertag – Pt III