„Es ist ganz einfach: du fühlst dich nicht gesehen!“

„Es ist doch ganz einfach: du fühlst dich nicht gesehen.“ sagte eine Freundin am anderen Ende der Leitung und es fiel mir wie die sprichwörtlichen Schuppen aus den Haaren (ok, das ist von Otto – aber der Mann besaß eine Weisheit, die wohl erst Generationen nach uns vollständig erfassen können).

Emotionen zu lernen, richtig einzuordnen und deren Intensität zu steuern ist eines meiner Lernthemen. Ich muss Unterschiede erkennen lernen, Emotionen aushalten können und angemessene Ventile finden – wahrscheinlich noch einiges mehr… wie gesagt: ich lerne.

Meine ehemalige Therapeutin sagte mir, dass ich ein „Verarbeitungsdreieck“ habe. Das schien eine ihrer zahlreichen, aber für mich sehr anschaulichen Wortschöpfungen zu sein. Entweder stehen eine depressive Episode, generalisierte Angst garniert mit Panikattacken oder chronische Schmerzen im Vordergrund. Je nachdem was gerade den größten Leidensdruck verursachte, wurde ein Symptom behandelt – oder oft: es wurde versucht ein Symptom zu behandeln. In jedem Fall aber sorgten diese vordergründigen Symptome dafür, dass das, was eigentlich dahintersteht, diese „Verarbeitungsmechanismen“ auslöst nicht gesehen wurde oder gesehen werden wollte. Besser schnell wieder fit für die Arbeit zu werden, besser den Partner nicht noch mehr belasten, besser meinen sozialen Verpflichtungen weiter nachgehen.

Stecke ich in einer depressiven Episode, erlebe ich oft eine emotionale Leere. Da weiß ich, dass ich wütend bin, wenn ein Partygast meine Lieblingstasse aus dem Fenster wirft, um zu schauen, ob er noch über das Nachbarhaus werfen kann. Da weiß ich, dass ich den besten nicht-ganz-Ehemann von allen über alles liebe. Ich weiß es, dennoch fühle ich nicht. Der Partygast kommt mit einem :“Boah, Alter…“ davon, mit dem geliebten Mann kann ich sprechen – und mein Leben besteht ja nicht nur aus depressiven Episoden.

Habe ich Schmerzen, sieht es nach außen wenig anders aus. Ich bin zu beschäftigt – naja, abgelenkt wäre wohl das bessere Wort – um die Enttäuschung zu fühlen, wenn jemand, den ich einst als Freund sah, sich aus egoistischen Gründen gegen mich wendet. Empfindungen Überdecken da viele Gefühle.

Stecke ich in einer Phase mit hoher Anspannung, generalisierter Angst und Panikattacken, da werde ich zur Druckkabine mit Fehlfunktion. Nach Außen hin scheine ich offensichtlich ruhig, eher teilnahmslos (Wie nützlich Feedback doch sein kann, ich sehe in mir immer so eine Art pinkfarbenen Hulk), innerlich bin ich kurz vor dem zerbersten. Jede Emotion verwandelt sich dann in Angst. Der Partytyp schmeißt meine Tasse aus dem Fenster? Pure Panik. Eine (der landläufigen Meinung nach) enttäuschende Mitteilung? Pure Panik. Die Feststellung, wie sehr ich meinen Mann liebe? Pure Panik. Aber wie gesagt, alles ist ruhig. Ich bin starr, bewegungslos, der Traum eines jeden Mitarbeiters einer geschlossenen psychiatrischen Station.

Dieser Umweg soll nur ein wenig erklären, warum es mir – meiner Meinung nach versteht sich – recht leicht fällt die eigenen Emotionen zurückzustellen, in Diskussionen die Metaebene zu finden um Situationen, die außer Kontrolle geraten verhältnismäßig heil wieder zurück auf de „Boden der Tatsachen“ zu bringen. Einerseits scheine ich von Natur aus mit einer etwas größeren Menge Geduld ausgestattet worden zu sein (so wurde es mir es mir in den letzten 30 Jahren jedenfalls immer wieder bestätigt), andererseits kommen mir eigene Emotionen selten in den Weg. Hilfreich – jedenfalls dann, wenn man auch die Person sein möchte, zu der man in Gruppen dann gerne gemacht wird, der Gruppenmoderator, der Selbsthilfegruppenleiter, der Quasi-Therapeut, der Betreuer oder eben der ruhige Mitläufer, der nicht weiter auffällt, weil er zu introvertiert ist (yeah, analyze thisss!). Ich hab dies mein Leben lang genau so gelebt. Ich habe mein Selbstbild darum herum geformt. Ich höre gerne zu, ich höre gerne auch immer wieder zu, ich versuche neue Perspektiven einzubringen, zu differenzieren, zu deeskalieren und was weiß ich nicht noch alles. Warum? Weil ich es kann, es eine gewisse Befriedigung mit sich bringt (ich bin ja schließlich weder Mutter Theresa noch Florence Nightingale)

„Es ist doch ganz einfach: du fühlst dich nicht gesehen.“ sagte diese Freundin und was vielleicht wie eine Banalität klingt ist die Essenz dessen worum ich mein Selbstbild herumgeschaffen habe. Ich fühle mich tatsächlich nicht gesehen. Und wenn ich noch so oft höre, dass ich jederzeit kommen könne und so sein könne wie ich bin, dann bitte ich Menschen mittlerweile diesen Satz nicht mehr zu vollenden. Denn meine Erfahrung ist: Ich kann kommen, wenn ich gefällig bin, wenn meine Stimmung nicht passt, wird mir die Tür vor der Nase zugeschlagen (oder der Hörer aufgelegt). Wenn ich eine (unaus)gesprochene Erwartung nicht erfülle erwarten mich Beschimpfungen, Drohungen, Schuldzuweisungen und Erpressungen. Wenn ich die mir zugesagte Rolle nicht erfülle, werde ich abgestoßen.

Es scheint mir im Moment, als würden nicht einmal meine Freunde oder die Freunde meiner Freunde mich sehen. Sie sehen mich in einer Funktion, die ich ihrer Meinung nach ausfülle und auch auszufüllen habe (nobody likes changes). Falle ich aus dem Schema und zwar aus eben dem, wo ich diejenige bin, die stets zur Hilfe eilt und vor allem vernünftig ist – und werde zu allem Übel auch noch Teil einer Situation, die sich im Nachhinein als triggernd für alle beteiligten Personen herausstellt,  bin ich/sind wir (als System), die ,die von Freunden/äußeren Beschützerfiguren der anderen Beteiligten dafür gescholten werden dies überhaupt zugelassen zu haben. Wir reden hier nicht über Minderjährige oder junge Erwachsene, sondern Menschen, die nicht aus Affekt und in Vorbereitung handeln.

Wenn wir dann zu den Menschen kommen, die mir einfach nur schaden wollen, da erlebe ich wie wenig Worte und Schwüre etwas zählen, wenn auf einmal das eigene Ego im Weg steht, wie schädlich die eigenen Familienbande sein können und wann man besser seinen Mund hätte halten sollen. Erfülle ich meine Funktionen nicht mehr: O-o-o-off with her head!!!

So schafft es eine Freundin mich ausgerechnet in einer Situation anzurufen, in der ich zuvor unter starkem Druck stand, was sie bemerkte, kommentierte, dann aber geflissentlich überging, denn sie hatte jetzt Sorgen. Ich ließ mich auf das Gespräch ein, stellte schnell fest, dass es wohl mal wieder „an der Zeit“ war und diese Freundin – geblendet von ihrer eigenen Angst, zugegeben – ihr gesamtes Repertoire an egozentrischem Verhalten aus den hintersten Ecken ihres Bewusstseins grub und ich verlor die Lust den Therapeuten zu spielen – etwas, was ja keiiiiner meiner Kontakte offen wünscht, aber wehe ich verlasse diese Straße…

Ich reagierte, mein Ton verlor Freundlichkeit, gab den Widerspruch nicht dort, wo er genehm war (lest mehr Ehrhart, bildet ungemein). Ich äußerte, was mich ärgerte und als alles nichts half wurde meine Stimme harsch, ebenso meine Worte. Schön, dass mittlerweile wenigstens eine Rationalisierung gefunden wurde, die den Schein aufrecht erhält, dass ich nicht bei Sinnen war, die von mir geäußerten Inhalte also nicht ernst zu nehmen seien. Dass auch mir der Bock ausgeht mich anflappen zu lassen, nur weil mein Gegenüber sich ausagieren möchte, sei hoffentlich verständlich.

Man sagte mir einmal, ich sei wie ein Dampfkessel, ich würde Probleme in mich hineinfressen und irgendwann platzen. Ich gebe zu, solche Zeiten gab es, aber die sind seit Jahren vorbei. Ich halte nichts davon hintenherum einem die übelsten Geschichten anzudichten und nach vorne freundlich zu tun und genauso wenig davon alles, was mich stört in mich hineinzufressen und bei dem berühmten Tropfen, der das Fass zum überlaufen bringt, in die Luft zu gehen. Ich sage meine Meinung und das mit so viel Diplomatie und Verständnis, wie ich in der Lage bin aufzubringen. Ich bin kein Dampfkessel mehr, denn das hat mich kaputt gemacht. Ich äußere mich gegenüber meinen Mitmenschen, ich tue dies vorsichtig, dosiert und freundlich, denn ich möchte niemandem schaden. Merke ich, dass ich nicht gehört werde, werde ich deutlicher bis zu dem Punkt, wo wirklich deutliche Worte fallen und scheinbar fallen müssen. Die Situationen, in denen ich mich hab hinreißen lassen und mit (teilweise nicht mal) gleicher (sondern eher Gummi-)Munition zurückgeschossen habe – denn auch ich vertrage nur ein gewisses Maß an Herablassung, Verbal Injurien, Provokationen und unangemessener Lautstärkeerhöhung, führten fast jedes Mal zur Eskalation – denn so darf ich mich ja nun wirklich nicht verhalten, ich hätte schließlich sachlich bleiben können. Jetzt ist mein Gegenüber nur noch gestresster…

Wenn ich immer wieder das gleiche sage(n muss, denn kein anderer tat es in der Vergangenheit oder tut es in anderen Situationen) und nach einigen Jahren und vorangehender Provokation selbst mein Geduldsfaden reißt, ja dann ist Polen offen, Holland in Not und die Amerikaner haben nun doch offiziell die Weltenherrschaft an sich gerissen – also für die anderen, nicht für mich. Bei mir steigt nur noch etwas Rauch aus den Ohren.

Ich höre: „Ja, wäre es nicht besser gewesen, wenn man die Diskussion kurz unterbrochen hätte und wieder auf ein sachliches Level gebracht hätte? – Natürlich. Genau das mach ich Tag ein Tag aus, aber – gerade nachdem es so oft diskutiert wurde: Du weißt wie man es tut, du weißt, wie du die Situation gerne hättest, also tut dir keinen Zwang an und krempel selbst mal die Hemdsärmel hoch.

Ich höre: „Bei mir wäre das viel besser angekommen, wenn du es mir in einem ruhigen Ton gesagt hättest.“ – Ehrlich? und die gezählten 48 Mal, wo ich genau das getan habe zählen nicht weil…? Oh, vergessen… na dann

Und dann ist Land unter, Polen offen, Holland in Not… aber bleiben wir in Europa.

Wer bin ich überhaupt? Jeder behauptet er will nicht, dass ich den Therapeuten für ihn spiele oder den Betreuer, aber die meisten verfallen in eine Krise, wen ich eben genau das tue, weil ich anders nicht mehr kann.

[Theatralik]

Wer bin ich? ICH WEISS ES NICHT! Ich bin dabei es herauszufinden und es ist verdammt nochmal schwer das herauszufinden, wenn die eigene Identität zersplittert ist, in tausend kleine und große Teile, wenn erst Drogen (=Medikamente) meines örtlichen Dealers (=Facharzt) mir helfen können ein Gefühlsleben zu entwickeln, das mich zugegebenermaßen in gleicher Weise fasziniert wie überfordert.

Ich wäre dankbar, wenn ihr einmal hochschaut und MICH seht, nicht das, was ich praktischerweise dargestellt habe über viele Jahre hinweg dargestellt habe, sondern das, was mich ausmacht.

[/Theatralik]

Ich mach mir da keine allzu großen Illusionen. Rom wurde nicht an einem Tag erbaut und mein neues Selbstbild garantiert auch nicht, Ich will ja nicht alles über Bord werfen, nicht jemand „ganz anderes“ sein, nur die Freiheit nicht so zu funktionieren, wie andere es von mir gewohnt sind. Ich wünsche mir doch nur, dass mir weniger Steine in den Weg gelegt werden. Ich möchte nur zur Abwechslung mal nicht zurückstecken, einmal nicht auf gezielte Manipulationen eingehen, weil ich eigentlich etwas anderes bräuchte. Ich möchte sagen können, dass jemand in die falsche Richtung schreitet, denn aus dieser komme ich bereits und weiß was dort wartet und dann möchte ich, dass man mir wirklich Gehör schenkt, nicht, dass man auf mich, den Schwächling, niederblickt ohne selbst festzustellen, dass die eigenen Muskeln nur aufgepumpte Schwimmflügelchen sind.

Sommertag – Pt II

Ein Ausschnitt aus unserer Kindheit, rekonstruiert aus den Erinnerungen verschiedener Innenpersonen. Im geschriebenen Wort ist es nicht so leicht diese Brüche oder Wechsel darzustellen. Wir haben es hier einfach mal mit verschiedenen Farben versucht, wobei jede Farbe für das Erleben oder die Erinnerung einer Innenperson steht. Der Text ist insgesamt etwas länger geworden, darum teilen wir ihn auf. Einige Teile enthalten expliziter Darstellungen von z.T. sexualisierter Gewalt und sind daher durch ein Passwort geschützt, welches z.B. hierüber erfragt werden kann.

Sämtliche Namen, auch die der erwähnten Innenpersonen aus unserem System oder dem unserer Cousine, sind wie immer verändert.

Sommertag – Pt I

Ich wasch mir meine Hände, die sind ganz schön dreckig und die Arme gleich mit. Meine Cousine stellt sich zu mir ans Waschbecken und schaut genau in den Spiegel. „Nun sag doch endlich, hab ich noch was in den Haaren?“ Ich schaue nach, finde einen Grashalm, den ich ihr gebe und einen Käfer, von dem ich ihr lieber nichts erzähle, sonst erschrickt sie und fängt an zu weinen und überall unsichtbares Krabbelgetier zu sehen. Wir ziehen uns ganz aus, legen die Kleider auf den Klodeckel und die Unterwäsche daneben. Wir kriegen später sowieso frische. Ich finde das toll. Meine Cousine und ich dürfen, wenn wir zusammen sind immer die gleichen Sachen tragen. Wir sind fast wie Zwillinge sagen immer alle. Wir sind ja auch fast am gleichen Tag geboren und gleich alt. Wir schaun uns so ähnlich, nur die Haarfarbe stimmt nicht ganz.

Wir waschen uns überall, trocknen uns gut ab und meine Cousine macht die Tür auf und kräht:“Wir sind fääääärtiiiiig!“.

Ich zische sie leise an und boxe sie in die Seite. Was, wenn das schon zu viel war, dann mag ich dem Onkel gar nicht unter die Augen treten müssen.

Diesmal kommt der Onkel und nimmt uns beide an die Hand, innerlich duck ich mich schon, aber er schaut ganz entspannt und zufrieden aus, er tätschelt mir sogar den Kopf. Also ist alles gut.

Er bringt meine Cousine und mich die Treppe rauf. Ich löse ich wieder auf.

„Hübsch schauen meine beiden Mädchen aus“, sagt er,“Ich bin stolz auf euch und ich möchte das auch bleiben.“ Ein strenger Blick für beide von uns.

„Laura, Anna, Onkel Albert ist schon im Zimmer oben links und wartet auf euch. Enttäuscht mich nicht, ihr seit doch meine besten Mädchen.“ Er lächelt. „Habt Spaß meine zwei Süßen“. Er stellt uns nebeneinander, fasst jeder noch einmal auf die Schultern. Als er mir in die Augen schaut (und das wichtig bei ihm, er wird sehr böse, wenn man ihm nicht gleich in die Augen schaut, wenn er einen anspricht) spüre ich diesen Blick der mich wirklich sticht, auch wenn er lächelt. Ich bin Anna, ich weiß ganz genau was zu tun ist, wie ich mich jetzt zu verhalten habe. Ich lächle und meine Augen können das auch. Ich mag auch, dass ich so viel Aufmerksamkeit bekomme und dass es etwas gibt, dass ich gut kann. Ich mag es, wenn ich gelobt werden. Ich mag es, wenn jemand zu mir sagt: „Das hast du gut gemacht.“ Außerdem mag ich den Onkel Albert. Wenn es etwas gibt, was ich nicht gut genug kann, dass Onkel Albert zufrieden ist, dann weiß ich ein anderes Mädchen im Körper, dass das besser kann als ich.

Ja, ich weiß, dass es da andere gibt, ich höre sie, ich fühle sie, weiß, dass sie da sind. Dass man darüber nicht spricht weiß ich auch, das hat mein Onkel uns erklärt, der Cousine und mir. Sie ist nämlich genau so. Wir sind etwas Besonderes und Laura, das eine Mädchen in meiner Cousine und ich, wir gehören zusammen. Ist die eine da, ist auch die andere da.

Laura nimmt mich bei der Hand und gemeinsam gehen wir die Treppe hinauf. Dort oben gibt es drei Zimmer, eine geradeaus und rechts und links die Gästezimmer. Onkel Albert ist Gast bei meinem Onkel und Gäste werden anständig bewirtet, so sagt meine Tante immer. Meine große Cousine hat mal gesagt: „Und dazu gehört mehr als ein Stück Kuchen und Kaffee, das ist hier so Brauch.“ Meine Tante hat ihr damals eine schallende Ohrfeige gegeben.

Vor der Tür des linken Zimmers bleiben Laura und ich kurz stehen, schauen uns gegenseitig an, mustern uns kurz, ob alles in Ordnung ist, ob das Lächeln gut ist.

Sommertag – Pt II

Sommertag – Pt III

Sommertag – Pt I

Ein Ausschnitt aus unserer Kindheit, rekonstruiert aus den Erinnerungen verschiedener Innenpersonen. Im geschriebenen Wort ist es nicht so leicht diese Brüche oder Wechsel darzustellen. Wir haben es hier einfach mal mit verschiedenen Farben versucht, wobei jede Farbe für das Erleben oder die Erinnerung einer Innenperson steht. Der Text ist insgesamt etwas länger geworden, darum teilen wir ihn auf. Einige Teile enthalten explizite Darstellungen von z.T. sexualisierter Gewalt und sind daher durch ein Passwort geschützt, welches z.B. hierüber erfragt werden kann.

Sämtliche Namen, auch die der erwähnten Innenpersonen aus unserem System oder dem unserer Cousine, sind wie immer verändert.

Ich erinnere mich noch recht genau. Genau so, wie die meisten meiner Erinnerungen sind. Sie sind wie Dias, Makroaufnahmen, Kurzfilme.

Die Sonne scheint, es ist alles recht grell. Die Sonne mochte ich nie, denn sie verbrennt mich und ich sehe so wenig. Ich stehe am Terrassentisch, der hat so lustige Bommel, die überall an dem Tischtuch herunterhängen, fast auf Augenhöhe. Deshalb waren sie vielleicht auch so viel interessanter als das, was auf dem Tisch stand. Das konnte ich ohnehin nicht genau erkennen ohne auf die Zehen zu gehen und das hätte bestimmt etwas Ärger gegeben, denn Erwachsenensachen sind Erwachsenensachen. Da versteht mein Onkel keinen Spass. Ein Bommel ist eine Banane, einer eine Weintraube. Ich frage die Frau, die nie freundlich, aber auch nie böse schaut und gerade einen Krug rausträgt, was das ist, denn meine Oma hat auch einen Tisch im Garten, aber so was hab ich noch nicht gesehen, vielleicht faszinieren sie mich auch nur deshalb. Ich fasse die Früchte an, sie sind glatt und schwer und ich mag sie. Meine Cousine grinst frech und klipst heimlich immer einen dieser Bommel ab und wieder an.

„So Mädchen“, sagt mein Onkel, „jetzt wird es nun wirklich Zeit. Ihr habt lange genug hier im Garten getobt. Geht rein und zieht die Schuhe aus.

Meine Cousine ist an dem Tag sehr aufgedreht und rennt noch so schnell sie kann einmal in den Garten und dann auf die Terrasse zurück. Ich brauche ja sowieso viel länger beim Schuhe ausziehen, ich krieg das mit den Schnallen einfach nicht hin. Da machen meine Finger nie was sie sollen.

Ich hab noch Zeit den Mann anzuschauen, der bei meinem Onkel sitzt. Ich habe ihn schon öfter gesehen, ich glaube er ist ein Freund vom Onkel. Ich finde ihn toll. Er schaut so groß aus und immer so nett. Meine Oma hätte bestimmt fesch gesagt. Ich weiß nicht warum, so lang ich denken kann, habe ich diesen Mann angehimmelt, groß, gutaussehend, charmant. Ich habe ihn ja öfter mal gesehen, meist, wenn er mit meinem Onkel etwas ganz wichtiges zu besprechen hatte. Erwachsenensachen eben.

Da endet meine Erinnerung, einfach ein Ausschnitt eines Sommertages, kleine Details, die sich festgesetzt haben. So wie das jeder kennt.

Ich bin bin ein bisschen sauer auf meine Cousine. Wenn sie jetzt noch so wild herumhüpft, sogar beim Sandalen ausziehen, dann kann das ganz leicht Ärger geben. Eigentlich bin ich nicht so richtig wütend, ich hab nur ein bisschen Angst. Ich boxe sie in die Seite, sag:“Kkschtt“, wie mein Onkel es sagt und schau sie so an, wie mein Onkel es mir gezeigt hat. Mit ihren großen blauen Augen schaut sie zurück und bleibt auf einmal ganz ruhig stehen. Ich bin erleichtert. Sie ist zwar nur ein Mädchen, aber ich mag sie trotzdem.Ich weiß, dass das jetzt geklappt hat, kein frech sein mehr. Alles wird jetzt gut.

Die Frau nimmt uns an der Hand, heute mal gar nicht so ruppig. Ich bin ein bisschen stolz, denn dann sind wir zwei auch brav genug und gewesen.

„Wascht euch!“ sagt sie, „besonders du, Ines!“ und bringt uns in ein kleines Bad. Sie hat wirklich recht, meine Cousine hat über all kleine Erdklüpchen und Gras im Haar und viele Flecken an den Armen. Ein paar Waschlappen müssen reichen und jede von uns bekommt welche. Ines beugt ihren Kopf über das Klo und wuschelt sich die Haare aus. „Schau mal, ob noch was hängen geblieben ist?“ , fragt sie mich. 

Ich höre sie schon gar nicht mehr. Ich wollte mir die Hände waschen und habe in den Spiegel geschaut. Mir wird dann immer schwindelig. Meine Cousine sieht im Spiegel genauso aus wie sonst auch, nur eben verkehrt herum, mir schaut immer ein blondes Mädchen mit blauen Augen und Locken entgegen. Das ist doch verrückt. Ich löse mich auf. Das tue ich oft, aber das ist so, sagt mein Onkel. Ich habe eine Aufgabe, ich bin wie ein großer Bruder, denn meine Cousine hat keinen, nur die doofe große Schwester die uns immer ärgert. Große Brüder sind wichtig, sagt mein Onkel. Sie passen darauf auf, dass ihre kleinen Schwestern alles richtig machen. Ich pass auf meine Cousine auf. Manchmal muss ich sie hauen, wenn sie nicht hören will, aber ich geb ihr auch immer meinen Pudding nach dem Essen ab. Das darf ich, sagt mein Onkel, das gehört auch dazu. Und wenn die Jungs im Dorf uns ärgern, dann hab ich mich mit denen schon oft geprügelt.

Sommertag – Pt II

Sommertag – Pt III

Achso, ähh… stimmt ja, da war doch noch die Therapeutensuche

…mit der ich euch hier im Blog nun zum dritten Mal nerven werden. Ich muss dazu in den eigenen Artikeln spicken, denn so sinnvoll das Anonymisieren der beteiligten Personen sein mag, so unübersichtlich ist mir das gerade.

Hier ließ ich mich bereits über meinen Frust aus, hier… auch – aber beschrieb, wie ich mein Säckerl schnürte um auszog (mal wieder) der hiesigen Therapeutenlandschaft das fürchten zu lehren.

Reale Kontakte (dazu gehören keine Anrufbeantworter *grusel*) konnte ich nur, wie schon vorher der Fall mit Herrn Amudsen, nun auch mit Frau Brecht und Herrn Dr. Crumbiegel, wobei sich der Kontakt mit letzterem nur auf Telefonate und einige Mails beschränkte.

Herr Dr. Crumbiegel wäre für diese Stadt meine Präferenz. Er hat mit Abstand die meiste Erfahrung in der Behandlung von Patienten mit DIS mit einem Hintergrund von organisierter, bwz. ritueller Gewalt. Wir hatten das Glück, dass wir ihn nach einiger Beharrlichkeit tatsächlich persönlich an den Hörer bekamen. Wir erzählten von unserer Situation, stellten fest, dass er sich sogar noch an uns erinnern konnte (wir hatten vor mittlerweile 8 Jahren in anderen Zusammenhängen Kontakt) und er schilderte uns im Gegenzug seine gegenwärtige Position. Er führt keine Wartelisten mehr, da der Verwaltungsaufwand für ihn Formen annahm, die ihm Zeit nahm, die er lieber seinen Patienten widmen würde. Seine Vorgehensweise: Wer zuerst kommt malt zuerst. Er sagte mir den Zeitraum, wann er wieder einen freien Platz erwartet und ich kündigte ihm an, dass er ab dann täglich mein liebliches Stimmchen von seinem AB trällern hören wird. Wir witzelten beide noch ein wenig darüber und beendeten das Gespräch.

Bei mir hinterließ es den Gefühl jetzt in einem Wettrennen zu sein, jedenfalls so lange, bis mir aufging, dass die Suche nach einem Traumatherapeuten ein Wettrennen in sich ist.

Natürlich verzögerte sich der Termin für den freien Platz und wie mein Schicksal es so will, fiel Herrn Dr. Crumbiegel auch noch ein, dass es sich dabei nicht um eine Stelle für DIS-Patienten handeln würde, da könne er nicht absehen, wann ein Platz frei wird. Er bat um Verständnis, denn auch er müsse mit seinen Kräften und Ressourcen Haushalten und der Himmel weiß, dass ich das habe. Ich weiß wie sehr „unsereins“ (die einen mehr, die anderen weniger) von Therapeuten einen Neuaufbau des Weltbildes fordern, wie sehr die Kommunikation ein ständiger Eiertanz ist, wie viel projeziert wird, wie schwer es ist ein gewisses Grundvertrauen für eine sinnhafte Arbeit aufzubauen und wie oft dieses Vertrauen durch Provokationen getestet wird. Kurzum „Multis“ sind echt anstrengend. Ständig wechselnde innere Haltung, „Vibes“, „Energien“, Stimmungen – nenn‘ es wie es in dein Weltbild passt – können im Ergebnis für den Therapeuten auch gerne mal einem 10 Stunden Tag auf’m Bau in der prallen Sonne ähneln. Kurz gesagt: ich versteh den armen Mann. Milde Frustration machte sich jedoch in mir breit denn wir hatten im ersten Gespräch ja schon sehr deutlich geklärt, dass eine DIS vorliegt und er stellte auch allerhand Fragen dazu, dem Hintergrund, Vorbehandlung etc.pp., aber wie er ja deutlich betonte, er ist auch nur ein Mensch (und ich will nicht wissen, wie sein Schreibtisch aussieht und ob er einen Anrufbeantworter mit einer 2 TB großen Festplatte ausgestattet ist), kest la fife, wie der Franzose sagt.

Allerdings verwies er mich an eine Psychiatrische Institutsambulanz in der Nachbarstadt, da ich dort, wenn auch nicht regelmäßig, so aber doch von traumatherapieerfahrenem Personal betreut werden könne.

Schockierend aber wahr: Ich bekam dort schneller einen Termin als ich hätte Quidditch sagen können, auch wenn sich herausstellte, dass das mit dem traumatherapieerfahrenen Personal niiiiiiicht so ganz der Realität entspricht, aber offene und freundliche Menschen, sind mir dort begegnet und ich habe in jedem Fall eine Anlaufstelle, auch Fachärztlich (was eine andere Geschichte ist, zu der ein fast fertiger Artikel seit 5 Monaten in meinen Entwürfen mit vielen, vielen Freunden vor sich hinlungert) und „meine“ Therapeutin dort bemüht sich sehr mich bei „passenden“ Kollegen unterzubringen, da einige wenige doch über entsprechende Ausbildung und Erfahrung mit traumatisierten Patienten verfügen, falls sich in der Zusammenarbeit zu viele Fragen auftürmen würden, sich Überforderung einstellt, etc.

Mit Frau Brecht hatte ich zwischenzeitlich auch ein Erstgespräch. Nachdem sie mich beim ersten Telefonat mit ihr recht schnell abwürgen wollte, denn bei ihr würden vor Ende nächsten Jahres ohnehin keine Termine frei werden, sagte ich zu meiner inneren Höflichkeit (die in unserem System besonders durch die Innenperson Heide vertreten ist): „L%&§ mich!!!“, fiel der guten Frau ins Wort und erörterte im zugegebenermaßen nicht sachlichsten aller Tonfälle meine Odyssee. Als sie mir Namen anderer Therapeuten in der Stadt nannte, erzählte ich ihr, dass genau diese mich immer wieder zu ihr schickten – und oh Wunder: noch im gleichen Monat hatte ich einen Termin für ein Erstgespräch.

Nun ja… was soll ich sagen… you can’t get the jungle out of the tiger und Tiefenpsychologe/Analytiker bleibt Tiefenpsychologe/Analytiker, besonders, wenn er schon Jahrzehnte in seinem Beruf gearbeitet hat. Ich hatte leider nicht die Möglichkeit die meisten meiner Fragen zu klären, aber es wird wohl mindestens noch ein 2. Gespräch mit ihr geben. Wir haben glaube ich grundlegende Differenzen in der Weltanschauung und ich rechne es uns beiden hoch an, dass nicht sofort geblockt wird, sondern man den anderen etwas näher beschnuppern möchte.

Fazit: Ich weite meinen Suchradius um einige Kilometer aus.