Eigentlich möchte ich nur kotzen… (oder ganz laut HILFE schreien(?))

…was hier eher buchstäblich gemeint ist. Ich sitze hier und verkneif es mir ins Bad zu rennen und mir nichts, Galle und Medireste aus dem Magen zu pressen.

Einige fast fertige Beiträge, die vor Wochen hätten schon gepostet werden sollen, lasse ich, wo sie sind, denn mir steht im Moment nicht der Sinn nach den Themen. Aufgrund der vielen Mails, die ich bekommen habe, habe ich versucht etwas zu Themen wie „Ausstieg“, „Täterkontakt“ (Gänsefüßchen sind bewusst, ich mag die Worte nicht, aber sie haben sich eingebürgert), Kontakt nach innen, Co-Bewusstsein erreichen usw. zu schreiben. Eben aus unserer Warte heraus. Keine Allgemeingültigen Methoden… nur unsere Erfahrungen, die einem eher vors Auge frühren, was man besser bleiben lassen sollte.

So viel daran fällt uns schwerer, als gedacht. So viel Verzweiflung ist fein eingepackt und will nicht mehr betrachtet werden, weil es nicht zu unserem Bild von uns passt. Wir haben doch alles im Griff. Toller Partner, tolles Privatleben, gute Arbeit, Aussicht endlich zu promovieren. So wie es früher mal war, da waren wir die Pandoras, die scheinbar mühelos 50 std. Job, Studium und Ausbildung, heißen Typen, Therapie und Anfangen sich mit dem Multi-sein auseinanderzusetzen jonglierten. Es war klar, dass alles einstürzen musste. Unsere Entscheidung eben nicht mehr in und für die RiGaG zu leben hatte da ihren großen Anteil. Mit jedem Zusammenbruch verloren wir Freunde. Können wir verstehen. Aber vielleicht haben wir deshalb dieses Bild von uns. Wir bekommen schon alles auf die Reihe. Obwohl oder gerade weil wir in den letzten 8 Jahren so viel verloren haben, so wenig funktionieren konnten, so oft zu hören und spüren bekamen, dass man uns so nicht wollte und uns auch nichts mehr zutraute.

Also laufen wir durch die Welt und transportieren genau das: Wir habens doch geschafft, wir sind stark. Wer uns trifft und oberflächlich kennenlernt, stellt auch diese Erwartungen. But we’re not everybodys babysitter, we’re a person with just as many needs and problems with healthy boundaries.

Wir fühlen uns sehr schwach im Moment. Haben zu viel Zeit in Krankenhäusern verbracht, die uns auch nur bestätigen konntent, was auf der Hand lag und welchen Weg wir für den Körper vor uns haben. Wir versuchen uns verständlich zu machen, dass neben all dem wir am wenigsten mit unseren Depressionen und Ängsten zurecht kommen. Wir kommen aber direkt nirgendwo an. Wir haben jetzt offiziell jedes legal erhältliche Antidepressivum ausprobiert. Nächster Stopp THC-Lösung? Oder die guten alten Elektroshocks? Oder wieder konservativ von vorn anfangen. Und wenn ich Panik offen ausleben würde, heulen und schreien würde… würde es dann gesehen… aber ich werde ja so ruhig und händelbar. Also warum da was dran ändern? Frau Pandora ist so doch viel angenehmer. Jawohl… Futter für das 2. Magengeschwür diesen Jahres.

Es geht uns gerade beschissen und es ist beschissen hart das zuzugeben. Gerade hier. Wir sind zu kaputt um in die Klinik zu gehen oder ins Krankenhaus. Wie paradox ist das denn? Das ist ganz normales pandorax. Scheiß Verpflichtungen, beschissene Hürden, die keine sein sollten. Stellt sich auch die Frage, wo ist die Not am größten… Rheumazentrum, Schmerzzentrum, Psychiatrie, Neurologie?

Pandoras over and out

Es ist gar nicht so leicht mit Verständnis umzugehen

Es ist überhaupt kein Problem auf Unverständnis zu stoßen.

Das ist super einfach. Immerhin hat unsereiner ein ganzes Füllhorn an Neurosen und Neuröschen zu bieten, merkwürdige Tics und Zwänge, diese schwer nachvollziehenden „Stimmungsschwankungen“, oft gepaart mit den fehlenden Erinnerungen an das, was doch gerade erst vor zehn Minuten passiert ist. Um seine arme, geschundene Umwelt nicht über die Maßen zu belasten legt man sich ein Arsenal an hübschen kleinen Ausreden zurecht, nichtssagenden Erklärungen, mehr oder weniger humorvolle Kommentare und lernt schnell und unauffällig das Thema auf etwas anderes zu lenken. Immer passend für die jeweiligen Individuen, dieser armen, geschundenen Umwelt. Wem es so am liebsten ist, betrachtet einen als „schrullig“, zerstreut oder schlichtweg verrückt und überlegt sich dann, welcher Grad an Oberflächlichkeit am angenehmsten erscheint.

Für Menschen, die sich mit einem anfreunden wollen um umgekehrt, wird es schwieriger. Wie tief geht man unter die Oberfläche? Wie ehrlich antwortet man auf die Fragen, die nach und nach kommen? Einzelfallentscheidung. Da kann man auch mal übers Ziel hinausschießen, wenn man nicht weiß wie viel Ehrlichkeit tatsächlich verstanden oder vertragen werden kann. Umgekehrt kann es genauso laufen, aus den gleichen Gründen. Man vollzieht einen Eiertanz, weil man den anderen doch so gern mag und Angst hat, wenn er mehr wüsste, dass das als unvermeidlich empfundene Unverständnis, der Strick für jeden engeren Kontakt wird.

Wenn es um um die eigenen psychischen Probleme, Störungen und Krankheiten geht, scheint die Hoffnung auf Verständnis doch… verständlich, oder? Auch wenn ich mir bei manchen Vertretern ihrer Zunft nicht so ganz sicher bin, wird ein Diplom oder ein Facharzt nicht bei einer Tombola verlost. Wenn man sich also auf zu Psychiatern und Psychotherapeuten macht, erfährt man doch hier und da Verständnis für die eigenen, erlebten Symptome in Form von Erklärungen, Diagnosen und Hilfestellungen. Aber auch hier, haben wir sehr schnell festgestellt, dass das Verständnis, je nach „Individuum der Kategorie ‚professioneller Helfer'“ früher oder später endet. Für die meisten dieser Individuen ist jegliche Hilfe damit auch beendet. Es scheint schwer zu sein mit etwas umzugehen, was man nicht versteht… oder verstehen möchte.

Der eine Psychologe sah sein Ende gekommen, als er nicht verstehen wollte, dass es Eltern gibt, die Kleinkinder gegen Geld anderen Menschen für sexuelle Handlungen anbieten. Eine andere Psychiaterin sah sich nicht im Stande hinzunehmen, dass eine 12-jährige bei einer Vergewaltigung nach einigen fruchtlosen Versuchen sich zu aufgibt und es in nachfolgenden Situationen gänzlich sein lässt, weil ihr die Drohungen noch in den Ohren klingeln. Schon erwähnter Psychologe verstand es auch nicht, das all die Innenpersonen nicht einfach verschwanden, jetzt, wo man doch wusste, dass sie da sind – und wenn das so schon nicht ging, dann sollte es doch genügen, wenn man über die Traumatisierungen einmal spricht (man bedenke: das wollte er letztendlich dann ja nicht mal mit der Kneifzange anfassen). Ein Psychiater drückte sehr unwirsch sein Unverständnis darüber aus, dass 25 Stunden Verhaltenstherapie nicht genügt haben eine Heilung herbeizuführen wohingegen eine andere Therapeutin nur jahrelange Therapie als Ausweg sah, besonders um diese armen, herzerweichenden traumatisierten Innenkinder zu trösten und zu versorgen. Ihnen war ja so viel Böses widerfahren, dass es gut zu machen galt. Dass (garantiert nicht nur unser) System aber zu großen Teilen eben nicht nur aus diesen weichen, gefälligen Kleinen bestand, sondern auch aus rotzfrechen Jugendlichen, Destruktiven, Leuten, denen Therapie und Therapeutin herzlich egal waren, Innenpersonen jeglicher Couleur, die das Gedankengut der Täter vollständig übernommen haben, die sich ohne den ständigen Kontakt zur Familie oder der RiGaG verloren fühlten, die diskutieren wollten oder einfach gehen. Es ist schwer für einen (professionellen) Helfer nachzuvollziehen, warum man nicht gleich wie auf Wolken schwebt, wenn man es nach und nach schafft die Verbindungen zu den Täterkreisen zu kappen, sondern dass man daraufhin oft in ein sehr tiefes Loch fällt.

Es gibt wenig Verständnis dafür, dass für einen großen Teil eines Systems, eines Menschen, eine menschenverachtende, gewaltverherrlichende und machtsuchende Ideologie alles ist, was man kennengelernt hat.

Es gibt wenig Verständnis dafür, dass lieber der Schmerz gesucht wird, den man kennt, als sich dem großen Unbekannten auszusetzen.

Damit nicht genug: Wer in einer RiGaG, bzw einem destruktiven Kult aufwächst, lernt systematisch auch Seiten in sich zu nähren, die keine große gesellschaftliche Akzeptanz (zu Recht, wie ich finde, nichtsdestotrotz scheinen sie ja menschliche Natur) erfahren, lernen Lust an Gewalt, den süßen Geschmack von Macht, das erhebende Gefühl der eigenen Grandiosität. Vor etwas über einem Jahr haben wir ähnliches in „Was der Dschungel mit der Hölle zu tun hat“ angesprochen.

Unserer Erfahrung nach hört es spätestens hier mit dem letzten bisschen Verständnis z.B. eines Therapeuten auf.

Umso verwirrter und geschockter sind wir, dass wir mit unserer Therapeutin jetzt das Gegenteil erfahren. Wir haben noch immer Angst bei jedem Kontakt, dass es der letzte sein wird. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie von uns angewidert ist, angenervt von der Art einzelner Innenpersonen oder uns als System im Ganzen. Wir haben bei ihr stärker, als wir das bisher irgendwo hatten, Angst vor Unverständnis. Jetzt dreht die gute Frau den Spieß aber um. Sie stellt unmissverständlich klar, was sie versteht, was sie kennt, denn wir sind nun mal nicht das erste multiple System mit einem Hintergrund ähnlich dem unsrigen, dass sie behandelt. Statt: „Warum geht das nicht?“, sagt sie eher: „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass […], was halten sie von […]?“. Während wir uns noch den Kopf zerbrechen, warum jemand von uns gerade dieses oder jenes und völlig unverständliche Verhalten an den Tag gelegt hat, oder warum bestimmte Emotionen da sind, die nicht nachvollzogen werden können, ist sie da nickt und gibt uns das Gefühl, als wäre es das in der Situation Natürlichste der Welt.

Wir hatten gerade erst wieder eine dieser Situationen. Die Therapeutin ist gut. Gut in dem Sinne (denn natürlich hat das auch sehr viel mit persönlichen Bedürfnissen zu tun), dass sie uns nicht den Weg ums eigentliche Thema herum durchgehen oder uns Zeit mit vorgeschobenen Pseudoproblemchen totschlagen lässt. Sie sagt uns auch direkt und ohne viele Umschweife an sich ganz einfache Wahrheiten ins Gesicht, die uns meist auch leicht in selbiges schlagen oder einen sanft bis kräftigeren Tritt in das psychische Äquivalent der Magengrube geben. Sie ist nicht dabei nie plump und scheint nie etwas zu sagen, ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass es nicht nur ertragbar für uns ist, sondern auch hilfreich. Auch wenn die Metapher mit den ausgestanzten und zusammensetzbaren Bildern sehr ausgelutscht ist: wir puzzeln gemeinsam und immer wieder findet sie ein Teil, das an einer entscheidenden Stelle fehlte und nun wir es sind, die immer mehr verstehen. Sie kann uns nicht erzählen wer wir sind, wo wir herkommen und was wir erlebt haben, aber sie kann uns helfen zu verstehen, wie das alles, all dieses, was da ist, erkannt oder noch im Schatten, was da war, klar erinnert oder nur sehr bruchstückhaft und auch manches, was vielleicht noch auf zu zukommt, ein Ganzes ergeben könnte.

Es sollte erleichternd sein.

Versteht mich nicht falsch, das ist es auch… aber es fehlt uns noch der Umgang damit. Wir schwanken zwischen der Angst das zu verlieren oder aufzuwachen und festzustellen, dass nichts davon real war. Wir wissen nicht, ob dieses Verständnis echt ist, oder ob uns nur etwas vorgetäuscht wird, weil wir sonst eben ein hoffnungsloser Fall sind. Wir können nicht sagen ob all das nur eine Falle ist, die jederzeit zuschnappen könnte… jedenfalls warten wir innerlich jeden Tag darauf.

Keine Drogen sind auch keine Lösung

Frei nach diesem Motto stapften wir also zu unserem örtlichen Dealer, ließen das Krankenkassenkärtchen einlesen und nahmen im Wartezimmer platz.

Das alte Thema mal wieder: Medikamente (Ja oder nein? Wenn ja, dann welche?), bei uns Drogen genannt. Ich für meinen Teil halte eine begriffliche Unterscheidung, nur weil die eine Substanz teuer über Pharmariesen vertickt wird und die andere durch Trips in das ein oder andere europäische Nachbarland (oder einschlägige Straßenecken der eigenen Ortschaft) besorgt wird, für irrelevant. Droge bleibt Droge. Eine Substanz mit psychoaktiver Wirkung. Kaffee ist eine Droge, Alkohol ist eine Droge, Cannabis ist eine Droge und das ärztlich verordnete Opioidanalgetikum ist auch eine Droge.

Mensch und Droge sind eine untrennbare Einheit. Es gibt kaum eine Gesellschaft, ein Naturvolk, eine Subkultur, die nicht den Gebrauch ihrer bevorzugten Drogen pflegt. Nehm’ ich meinem Männe den Kaffee weg, war’s das mit häuslichem Frieden, klau ich den Studis aus der WG im Haus gegenüber ihre Hanfprodukte… nein, daran wollen wir nicht denken, das wäre dann doch zu grausam.

Drogen sind ein Bestandteil unseres Lebens, seit wir denken können. Seien es die Valium-Tropfen, die wir als Kind in den Fencheltee geträufelt bekamen, damit wir etwas gefügiger wurden (noch heute mögen wir diesen bitter-süßen Geschmack… waren wohl gut auf die direkt folgende Ruhe konditioniert), wenn der Onkel Günter mit Kamera und zwei Kumpels kam. Die Halluzinogene, die während diverser Rituale innerhalb der RiGaG konsumiert wurden oder so wunderbar die Methoden der Bewusstseins- und Verhaltenskontrolle unterstützten. Drogen waren es, die uns unendliche Qualen bescherten, die uns das Feuer der Hölle physisch haben spüren lassen und es waren Drogen, die uns Momente der inneren Ruhe, Angst- und Schmerzfreiheit schenkten. Eine Belohnung, die wir uns mit harter Arbeit verdienen konnten und die für uns einen hohen Wert hatte. Selbst wenn ich eine Schublade voll mit Benozodiazepinen, Opiaten, Brabituraten und anderen Narkotika hätte, genug um eine Elefantenherde ins Land der Träume zu schicken – wir würden diese Drogen niemals nehmen, um uns umzubringen. Es käme uns vor wie ein Sakrileg. Wir sind nie ein Kandidat für den goldenen Schuss gewesen, egal wie suizidal wir waren. Es mag schräg klingen, aber wir haben da ganz bestimmte Vorstellungen, selbst im Affekt – Drogen sind heilig und werden nicht missbraucht.

In der von Schulezeit und den  anderen “normalen” Aktivitäten dieser Phasen (wir sind heute noch jeden Tag dankbar, für diese Stunden der Flucht und dem, was wir so von anderen, “halbwegs normalen” oder nur “milde gestörten” Gleichaltrigen gelernt haben) geprägten  Jugend… *räusper* haben wir natürlich nur gehäkelt und gebetet… ganz bestimmt!!! …und manchmal vielleicht gesungen…

Irgendwann landeten auch wir im sozialpsychiatrischen Mühlwerk und da kommt man ohne (teils erzwungene) Einnahme diverser Psychopharmaka nicht davon. Auch wir hatten diese “Hilfe” offensichtlich dringend nötig, also wurd’ geschmissen was geschmissen werden konnte. Einige der übelsten Trips in unserem Leben haben wir kassenbezahlt in der Psychiatrie ausgesessen, von Ärzten als erfolgreich eingestellt abgehakt, wir lagen ja ruhig im Bett und keiner vom Personal wurde gezwungen sich mit dieser Frau zu befassen. Erfolg. Dass wir innerlich vor psychotisch-halluzinatorischem Erleben, der daraus resultierender Panik und körperlichen Schmerzen geschrien haben, uns aber keine Lautäußerung mehr gelang und wir kaum stehen konnten, war nicht relevant (ach Katatonie in Form von Stupor und Mutismus, du Segen aller polyklinikausgebildeten Schwestern und überforderten Assistenzärzte). Auf unseren äußeren Zustand wurde man aufmerksam, weil wir in der Visite das Gleichgewicht verloren und vom Stuhl rutschten. Reaktion: Strafmaßnahme.

Ja, das System gehört gründlich überarbeitet. Nein, nicht jede Psychiatrie und ihre Angestellten schiebt heute noch die “Kuckucksnest-Nummer”.

Heute sind wir weniger autoritätshörig.

Gerade dieses führte zu einem kürzlich (aber seit Jahren theatralisch angekündigten) Dealer-… Verzeihung, FACHarztwechsel. Unsere Ärztin war hilfreich in den ersten zwei Jahren, die wir bei ihr waren, weil sie sich Zeit nahm, uns für voll nahm und uns die Kompetenz zusprach, die wir tatsächlich hatten. Wir betrachteten die Sache nüchtern (mal wieder, aber diesmal  mit der Möglichkeit die Implikationenen nicht zu verdrängen), denn in den letzten 4 Jahren hatten wir pro Jahr exakt einen Termin mit ihr und einer davon betraf eine andere Erkrankung, die ich aufgrund der Größe der Praxis dort abklären konnte, ja und einen anderen Termin bekam ich nur durch ein geschicktes Täuschungsmanöver.

Es geht mir seit geraumer Zeit mit meinen Depressionen nicht besonders gut. Ich spüre es besonders am Antrieb, denn ich brauche eeeeewig für jede noch so kleine Aufgabe, wenn ich es überhaupt geschafft habe, aus meiner “Starre” zu erwachen. Ich skille mir den Arsch ab, Struktur ist vorhanden und genügend freie Räume, damit ich mich nicht beginne selbst weiter unter Druck zu setzen und alles in einer Rauchwolke hochgeht.

Also: Drogen

Nach dem ermogelten Termin (und dem Hinweis der neuen Sprechstundenhilfe, ich solle doch einfach neue Termine machen, wenn ich da bin, meinem freundlichen Nicken und beim Verlassen der Praxis lächelndes Kopfschütteln über so viel Naivität) wurde das Thema antidepressive Drogen angesprochen, ebenso wie andere aktuelle Probleme, die ich in ihr Fachgebiet fallen sah, so z.B. die gute Wirkung des Pregabalin, meiner Unfähigkeit seit Mitte 2012 zu schlafen (wenn, dann gelegentlich 1 1/2 Std. in 20 min. Rhythmen) und dem immer größer werdenden Problem der Antriebslosigkeit seit einer unabgesprochenen Medikationsänderung. Wir sagten, dass wir mittlerweile nicht mehr kompensieren können und dass sich auf unsere Arbeit, sei es außen, innen, oder Lebensbewältigung, wozu wir auch Therapeutensuche und soziale Kontakte zählen, massiv auswirkt.

Wir bekamen ein Agomelatin-haltiges Präparat und die Instruktion es mindestens 2 Monate zu nehmen. Wir sind brav, taten wie uns gesagt.

Einen neuen Termin bekamen wir – andere Sprechstundenhilfe, wir <sarcasm>mögen sie</sarcasm>, sie wird hier nur der Drache genannt und ich bin so froh unabhängige Zeugen zu dem ein oder anderen Termin bei mir gehabt zu haben – für einen Zeitraum nach 5 Monaten, früher wäre da nichts zu machen (Leute, diese Praxis ist nicht überlaufen, ich war schon so oft dort, mit 3 Patienten, 5 Ärzten und 6 Arzthelferinnen/-azubinen, die schwatzten und Kaffee tranken). Milder Schock, eher Fassungslosigkeit. Ich fragte sie, wie lange ich bei dieser Betreuungsdichte wohl das richtige Medikament finde. Nun, das sei wohl nicht ihr Problem. Ich fragte höflich, ob es denn möglich wäre wie früher Frau Dr. Schadewars, meine Fachärztin donnerstags, so wie sie es mir immer zusagte, kurz abpassen zu können. Nein, das ginge nicht, Frau Dr. Schadewars sei donnerstags nie in der Praxis und wäre es auch nie gewesen, so lange die Praxis existierte. Ich wusste ausnahmsweise mal genau, dass das nicht stimmte, weil ich mir die Zeiten, zu denen ich Frau Dr. erreichen konnte jedes Jahr neu in meinen Kalender schreibe. Ich konfrontierte den Drachen damit, dass das nicht sein könne, ich hätte 6 Jahre lang immer donnerstagsTermine gehabt. Der Drache schmetterte mir doch gar entgegen, dass das nie im Leben sein könne und dass sie es ja wohl besser wissen müsse als ich, schließlich arbeite sie dort und ich wäre eine psychisch gestörte Patientin, deren Verlässlichkeit in solchen Dingen bestimmt nicht die beste sei.

Ich hätts selbst nicht geglaubt, wenn Männe nicht hinter mir gestanden hätte.

Ich ging, nahm Kontakt mit der ausgelagerten Privatpraxis auf, wurde – auch als Kassenpatient – freundlich behandelt, bekam die Daten, wann ich Frau Dr. erreichen könne und tat etwas, was ich seit Jahren hätte tun sollen (abgesehen davon, das das Agomelatin die gleiche Wirkung wie Smarties hat und ich recherchieren musste um die nächste Droge, die ich dann ausprobieren würde, “auszuwählen”, Frau Dr. scheint dazu nicht in er Lage), ich setzte mich hin und verfasste sämtliche aktuellen Probleme stichpunktartig, ebenfalls einen Brief an Frau Dr. Schadewars, den ich ihr dort lassen wollte und die Bitte das von mir ausgesuchte Medikament, Verzeihung, Droge zu verschreiben.

Da die Praxis eh leer war, nahm sie sich also Zeit (darauf war ich nicht vorbeireitet, aber improvisieren ist keine meiner Schwächen), ich trug ihr meine Anliegen vor, dankte ihr für ihre kompetente Hilfe zu beginn der Zusammenarbeit, munierte – wie schon so oft, die Einstellung einiger Mitarbeiter, würdigte aber auch, dass es dort massive Veränderungen gegeben hat. Ich teilte ihr mit, dass ich nicht bereit bin mich von Mitgliedern ihres Personals anlügen zu lassen (ich brauchte keine Namen nenne, sie wusste, wen ich meine), als retardiert darstellen zu lassen und dass es nicht sein kann, dass ich quasi betrügen muss, um einen zeitnahen Termin zu bekommen.

Sie zuckte mit den Achseln und damit war das Thema für sie und nun auch für mich erledigt. Als ich ihr dann noch erklären musste, dass sie mich auch in andere Krankenhäuser einweisen kann, nicht nur das eine “um die Ecke”… blieb ich ruhig und verkniff es mir ihr einige einschlägige Literatur, z.B. das SGB o.ä. zu leihen.

Aaaaber

Dank Dr. Crumbiegel und einigen seiner Verweise bin ich bei einer Fachärztin gelandet, deren umfassende Kompetenz mich etwas schockiert hat, die sich sowohl in der Behandlung chronischer Schmerzen, sowie der Behandlung von Depressionen, Traumafolgeerscheinungen und der Differentialdiagnostik zwischen DIS und Schizophrenie auskennt – und es ihrerseits zu würdigen wusste, dass ich einem armen kleinen Assistenzarzt, der nachts um zwei Bereitschaft in der Notaufnahme schieben muss, bei der ehrlichen Beschreibung meiner Symptome in einer Krisenphase viel leichter zum Schluss: halluzinatorische Psychose kommen muss, als zu etwas anderem (der arme Assi hat genug zu tun als sich noch mit Psychopathologie zu befassen, der soll lieber ne Mütze voll Schlaf nehmen)

Frau Dr. Nachtigall (Ja, die Kreativität geht uns flöten) ist in jedem Fall eine Fachärztin, an die wir uns jederzeit wenden können. Entweder ist sie selbst erreichbar oder jemand anderes in dieser überdimesionierten und herrlich chaotischen Praxis. Als ich mit meinem doch recht langen Gespräch mit Frau Dr. fertig war, war es später Freitag Nachmittag, das Haus war fast leergefegt und das benötigte Rezept konnte nicht so einfach ausgestellt werden. Ich wurde aber nicht einfach nach Hause geschickt. Eine Sprechstundenhilfe, die schon mit Sack und Pack Richtung Aufzug verschwinden wollte, sah Männe und mich etwas verzweifelt in der Lobby stehen, fragte nach unsere Begehr und antwortete: “Ich kann sie ja so nicht nach Hause gehen lassen, warten sie, ich helfe ihnen.”

Angeblich sah ich aus, als hätte mir jemand in die Magengube getreten – nur eben… umgekehrt. (Männe konnte nicht anders, als dieses zu kommentieren, er hat mich schon so oft niedergeschlagen erlebt)

Es wurden Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit ich ein Rezept bekomme (und ich bin mir sicher, dass Apotheker extra Kurse in Arztschriftentziffern belegen müssen) und versorgt nach Hause gehen kann.

Ich lass mir nun eben helfen mit Pregabalin, hochdosiert, Bupropion, maximale Dosis, Zopiclon um wenigens ab und an mal zu schlafen und Duloxetin im Einschleichen… weitere Experimente werden anstehen.

Drogen sind keine Lösungen, sie sind Krücken… aber keine Drogen sind auch keine Lösung. Ich geh lieber eine Zeitlang oder von mir aus auch so lang ich lebe an Krücken als im Dreck liegenzubleiben und langsam zu verrotten

Was bleibt übrig?

Oft scheint es mir als habe man mir mein eigentliches Selbst weggenommen und es durch Scham und Angst ersetzt. Ich weiß heute genug um nicht mehr alle Lügen, die mir erzählt wurden, zu glauben. Ich bin heute stark genug, um ein gewisses Maß an Sicherheit für mich zu gewährleisten..

…und dennoch fühlt es sich so an, als bliebe ohne diese Angst, ohne die Scham nicht mehr viel von mir übrig.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. IV

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

(Teil 3)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 4)

Und neben all dem, deinem ganz normalen Alltag, existiert eine Parallelwelt. Du führst ein Doppelleben, von dem du nichts mitbekommst. Freiheit ist eine Illusion. Noch immer wirst du von einer Tätergruppe, die dich schon seit Jahrzehnten ihr Eigen nennen abgeholt. Du bist Teil ihrer Gemeinschaft – oder um genauer zu sein – Andere in dir sind Teil dieser Gemeinschaft. Ja, du bist nicht die Einzige, die in deinem Körper wohnt und Kontrolle über ihn hat. Du bist aufgespalten. Die „Anderen“ ertragen für dich Folter, Vergewaltigung und viele andere Dinge, von denen du keine Ahnung hast, die du nicht verstehen könntest. Die Anderen in dir sind die Opfer der Gewalt, ertragen, erdulden, wieder andere haben das Gedankengut der Gemeinschaft so sehr verinnerlicht, dass sie so geworden sind wie die Gruppe, der du, der ihr gehört. Es ist wie in einem schlecht gemachten Horrorfilm oder die wahnwitzige Geschichte eines paranoiden Verschwörungstheoretikers.

Wie sollst du das Glauben? Wie sollst du akzeptieren, dass deine eigene Familie dich missbraucht hat, dich weiterverkauft hat, dass dein eigener Großvater in seinem schön ausgebauten Keller eine Folterkammer hatte, dass er dich und deine Geschwister oder Cousinen zu allerhand abartigen Sexualpraktiken hingegeben hat – nicht ohne das ganz auch in Szene zu setzen, zu fotografieren, zu filmen. Wie sollst du glauben, dass du zu einer Art Sekte gehörst, eine Gemeinschaft, die ihre Mitglieder manipuliert, wo nicht nur Tieropfer dargebracht werden.

Du überlebst, weil du es nicht weißt, weil es nicht dir selber passiert.

Natürlich erlebt sich nicht jedes System auf diese Weise. Auch hat nicht jedes System den gleichen Hintergrund. Was ich hier in Bruchstücken beschrieben habe, ist einiges was mir selber passiert ist, wie ich mich und mein Leben wahrgenommen habe.

Bis ich 23 war habe ich ganz ernsthaft geglaubt ich wäre von Dämonen besessen. Das schien mir die passende Erklärung zu sein. Ich dachte dann, ich wäre vielleicht Schizophren, würde mir alles, was in meinem Kopf vor sich geht, was ich glaubte zu erinnern, nur einbilden. Und wer hört schon Stimmen. Es hat eine Weile gedauert bis ich verstehen konnte, wer oder was ich bin – und das auch erst, als sich jemand die Zeit genommen und die Mühe gemacht hat es zu erklären. Die Diagnose „Dissoziative Identitätsstörung“ wurde schon viel früher gestellt, allerdings sprach niemand mit mir darüber. Ich wusste nicht einmal, dass ich sie hatte oder dass diese Störung existiert.

Ich hatte ein wenig Schwierigkeiten die Diagnose anzunehmen. Vielleicht nicht in dem Maße, in dem andere Menschen mit „ihrer“ DIS kämpfen, denn auf irgend eine Art und Weise war ich froh endlich herausgefunden zu haben, was da mit mir nicht stimmt. Ich erlebe es immer wieder, dass Multiple ihre Störung nicht wahrhaben wollen und ich kann mir auch vorstellen, dass es Punkte gibt, die man nicht so gerne akzeptiert. Zum einen bekommt man von außen bestätigt, dass man zeitweise keine Kontrolle über sein eigenes Handeln hat. Der Mensch an sich ist ein Kontrollfreak, er benötigt zumindest das Gefühl die Kontrolle zu haben. Es vermittelt ihm Sicherheit.

Ja und dann gibt es das, was ich so gerne als „Rattenschwanz“ bezeichne. Die Diagnose DIS bedeutet auch gleichzeitig, dass einem in einem sehr frühen Stadium der eigenen Entwicklung, also im Kleinkindalter, massive Gewalt angetan wurde. Sonst hätte sich die Seele nicht aufspalten müssen um sich zu schützen, um buchstäblich (und das ist keine Übertreibung) zu überleben. Puh… akzeptieren, dass Menschen ein Kleinkind derartig missbrauchen, foltern, vernachlässigen – und das über Jahre hinweg (denn die DIS entsteht nur, wenn die traumatischen Situationen immer und immer wieder geschehen, es kein Entrinnen, keine Hilfe gibt)… und dann versuchen das mit einem Weltbild von guten Eltern, die ein Kind schützen (sollten) oder dem Bild vom „edel, hilfreich und guten“ Menschen zu vereinbaren… das ist schwer. Man muss eine ganze Weltanschauung über Bord werfen, wenn man eine Diagnose wie die DIS akzeptieren will

Wundert es da, dass Betroffene lieber leugnen, sich einreden sie wären nur „zu gute Schauspieler“ und das Fachleute die Existenz einer solchen Störung aufgrund wiederholter Traumatisierungen in der frühen Kindheit nicht anerkennen?.

Ich bekomme noch immer regelmäßige Anfälle von „Fakeritis“, dann werden die Zweifel zu groß, ich glaube ich bilde mir nur etwas ein, ich lüge, ich übertreibe, ich bin ein Hypochonder, jemand, der zu viele Bücher gelesen hat… oder schlicht ein unglaublich böses Mädchen, dass guten, braven Bürgern die unmöglichsten Sachen unterstellt.

…und vielleicht braucht man das auch manchmal, um sich eine Pause zu gönnen, eine Pause von der oft grausamen Realität.

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. III

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

(Teil 2)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 3)

In deinem Kleiderschrank sind Baggypants (du würdest so was im Traum nicht anziehen), komische rote Rollkragenpullover, T-Shirts mit Totenschädeln und bei keinem der Kleidungsstücke könntest du dich erinnern es gekauft zu haben. „Ach“ sagst du dir „die muss wohl jemand hier vergessen haben“ oder du ignorierst es einfach, vergisst, dass es da ist. Ebenso wie die Legosteine, auf die du nachts trittst. Hast du überhaupt Lego? Doch schon seit Jahren nicht mehr…

Du hast aufgehört Tagebuch zu führen. Es macht dir Angst. Es ist als ob sich die Bücher von selber schreiben, du hast es tagelang nicht zur Hand genommen und dennoch sind wieder 20 Seiten mit zum teil merkwürdig fremd und doch vertrauten Handschriften, die hast du schon öfter gesehen, nur was da geschrieben steht, das ergibt für dich keinen Sinn.

Du zeichnest auch nicht mehr gerne, beziehungsweise dein schlägt Herz jedes mal schneller, wenn du deinen Block aufmachst. „Bitte, bitte, lass ihn heute leer sein, nicht schon wieder eines dieser schrecklichen Bilder“. Du öffnest den Block und es flattert dir ein Blatt entgegen mit einer merkwürdigen Szene. Du hast diese Szenen schon öfter gesehen, es gibt bestimmt tausende solcher Bögen in deiner Wohnung, aber sie machen dir Angst. Du weißt nicht genau warum, aber diese merkwürdigen Bilder, die du nicht verstehst, lösen in dir ein tiefes Grauen aus, dass du gar nicht benennen kannst. Ab und an nimmst du einen Stapel und wirfst ihn in die Papiertonne.

Dein Lehrer möchte dringend mit dir reden. Er hätte dich schon eine ganze Weile beobachtet, dein Verhalten sei so merkwürdig, er findet du benimmst dich, als wärst du eine gespaltene Persönlichkeit. Du denkst: „Ich bin doch nicht schizophren“, bekommst Angst. Etwas tief in dir schreit „Er hat uns erkannt“ mit vielleicht so was wie Hoffnung, andere Stimmen, lautere Stimmen schreien „Verräter“, in deinem Kopf wird es so laut, dass du nicht mehr klar denken kannst, du hast hämmernde Kopfschmerzen, bekommst nicht mehr mit was passiert. Irgendwie raus aus der Situation, die du selber nicht verstehst. Im Ausreden finden bist du klasse, los, lass dir was einfallen.

Du gehst in eine Kirchengemeinde, schon recht oft, recht lange. Du suchst nach etwas, vielleicht ist es Gott, vielleicht aber nur andere Menschen, die nett zu dir sind. Du liest in der Bibel, dort steht etwas geschrieben von einem Mann, der von Dämonen besessen wurde, diese nannten sich Legion, denn sie waren viele. Es knallt in deinem Kopf. Vielleicht ist es das, denkst du dir, vielleicht ist es das was mit mir los ist. Ich bin von vielen Dämonen besessen die in meinem Kopf wohnen. Der nette Geistheiler mit dem blonden Bart ist schon seit Tagen dieser Meinung und bietet dir an dir die Dämonen auszutreiben. Drei Tage und Nächte verbringst du im Kreis einiger unermüdlicher, die Beten, in Zungenreden, die Dämonen in dir anbrüllen und sie zum Auszug zu bewegen. So jedenfalls stellst du dir das vor. Du tauchst ständig ab, bist in Trance und verstehst ohnehin nicht was passiert.

Gebracht hat es nichts. Dein Leben geht weiter wie bisher. Du hast einfach keine Ahnung was passiert. Du betest jeden Tag, du verzweifelst. Du fühlst dich dreckig und schmutzig.

Dein Kumpel macht dir eine mächtige Szene, weil du nicht mit ihm Schlafen willst (hast du auch noch nie, ihr seit einfach gute Freunde), er meint, dass du dich sonst ja nicht so anstellen würdest, du beschimpfst ihn als dreckigen Lügner, bekommst das auch prompt zurück. Du bist sauer, verstehst die Welt nicht mehr und ziehst von dannen.

Du hasst es. Es scheint als hätte jeder Mensch mehr Kontrolle über sein Leben als du. Oftmals wachst du morgens auf, hast überall blaue Flecke, dein Hals tut dir weh und du hast Schürfwunden an Hand und Fußgelenken. Du hast Schmerzen im Schritt und als du aufs Klo gehst, stellst du fest, dass der Damm ein Stück eingerissen ist, ein „nicht schon wieder“ verhallt in deinen Gedanken, du willst es einfach gar nicht wissen. Wenn du dich geduscht hast und zur Uni gegangen bist, hast du es auch schon wieder vergessen, du wunderst dich vielleicht noch über die Schmerzen in deinen Hüften… aber das muss wohl daran gelegen haben, dass du heute Nacht wieder so schräg im Bett gelegen hast.

Nächte sind sowieso miserabel. Du hast eigentlich nur Albträume, du traust dich kaum einzuschlafen, wenn du mal mehr als 3 Stunden geschlafen hast, beglückwünschst du dich. Jeden Morgen fühlst du dich gerädert, wie ein benutztes Taschentuch. Das Chaos in deinem Kopf kannst du kaum aushalten, du bist depressiv, verzweifelt und weißt nicht wo all das herkommt. Du hast Angst. Oft ist es als drifte die Welt von dir weg, oder du aus deinem Körper. Um dich überhaupt mal spüren zu können schlägst du deinen Kopf so lange gegen deine Zimmerwand, bis es blutet oder du ohnmächtig wirst.

(Teil 4)

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. II

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

(Teil 1)

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS (Teil 2)

Wie ist es multipel zu sein? Ich werde das öfter mal gefragt. Nun, stell dir vor, dein Gedächtnis ist ein Schweizer Käse, nein, es stinkt nicht und schmeckt gut… es ist voller Löcher. Stell dir vor, dein Wecker klingelt, du stehst auf, willst ins Bad gehen und das nächste was du weißt ist, wie du in der Straßenbahn stehst, ein Goofy-T-Shirt trägst und feststellst, dass du nur eine Tasche dabei hast und die Ordner für die Uni wohl noch daheim liegen – wo sie nicht hingehören. Kling lustig? Mag sein, von außen betrachtet.

Stell dir vor du stehst mitten im Kaufhaus, einer der Mitarbeiter spricht recht unfreundlich zu dir, um es vorsichtig zu formulieren, neben dir ist ein Regal wohl vollkommen abgeräumt, Scherben auf dem Boden, deine Hände sind blutig. Nicht mehr ganz so lustig, oder? Der Rest des Tages auch nicht.

Du gehst in der warmen Maisonne spazieren… und das nächste was du weißt ist, wie du daheim vor dem Fernseher sitzt, der Regen prasselt gegen die Fensterscheibe und das Datum, dass in deiner Nachrichtensendung eingeblendet ist lässt auf November schließen. Da bekommt Rudi Carrells Frage danach, wo der Sommer geblieben ist eine ganz neue Bedeutung.

Manchmal findest du dich an Orten wieder, die du weder kennst noch wüsstest du, wie du dort hin gelangt bist. Du möchtest deinen Dozenten anrufen und dich dafür entschuldigen, dass du in der letzten Seminarstunde gefehlt hast, denn du kannst dich partout nicht daran erinnern was gestern war – sicher ist sicher. der Tag ist wie aus deinem Gedächtnis radiert. Zufällig stolperst du über deinen Block mit den üblichen Aufzeichnungen für die Uni, dort steht in kleiner, ordentlicher Schrift das Datum vom gestrigen Tage, der Name des Seminars und darauf ungefähr 10 Seiten Notizen in dieser mikroskopisch kleiner Schrift, die wohl öfter mirakulös in deinen Aufzeichnungen auftaucht.

Du hörst Stimmen, jeden Tag und zu jeder Minute. Manchmal kannst du sie verdrängen. Stimmenhören ist nicht gut, das haben nur schizophrene Menschen, Menschen die deswegen in die Klapsmühle bekommen. Hoffentlich erfährt niemand, wie laut es in deinem Kopf ist, die würden dich bestimmt sofort einweisen. Die Stimmen sind in deinem Kopf, fast wie Gedanken die zu laut sind und die du nicht selber denkst. Du kannst sie regelrecht hören. Streitenden Stimmen, beruhigende Stimmen, ängstliche Stimmen, die immer und immer wieder die gleichen Sätze sagen oder brüllen, Unterhaltungen, du wirst angesprochen – bloß nicht reagieren, ich glaube ich werde verrückt – kleine Mädchenstimmen singen ein Lied, Babys jammern und Schreien, weit in der Ferne hörst du eine Frau schreien, ganz langsam und durchdringend. Du hast mal den Fehler gemacht und so etwas angedeutet, als du wieder nicht wusstest, was passiert ist und du dich in der geschlossenen Station der örtlichen Psychiatrie wieder gefunden hast, mit Tränen in den Augen hast du den Mann gebeten dir zu helfen, der Lärm im Kopf sei unerträglich. Auch was danach passierte weißt du nicht mehr genau. Irgendwann hast du einen Wisch gefunden wo etwas von „halluzinatorischer Psychose“ drinstand, offenbar wurdest du nach einigen Tagen entlassen…

Und bei alledem hast du keine Ahnung was da in dir vor sich geht.

(Teil 3)

(Teil 4)

Was es für uns bedeutet „Viele“ zu sein – Pt. I

Ca. 2005/’06 haben wir schon einmal versucht in Worte zu fassen, wie das Leben mit einer dissoziativen Identiätsstörung bei uns ausschaut, auch das möchten wir hier mit euch teilen und zu einem späteren Zeitpunkt das als Referenz für eine Bestandsaufnahme hernehmen, schauen, was sich eventuell bis heute verändert hat:

Der ganz normale Wahnsinn eines Alltags mit DIS

So, wunderbar, man hat vielleicht hier in äußerst knappen Worten gelesen was so der handelsübliche Fachmensch über diese nicht ganz alltägliche Störung zu berichten weiß. Vielleicht hat man auch ein erstes grobes Verständnis in sich aufkeimen lassen und die lang genährte Vorstellung über Board werfen können, dass eine gespaltene Persönlichkeit ja wohl ein schizophrener Mensch ist, der schleunigst, aber ganz schleunigst in die nächstgelegene Psychiatrie gehört wo er brav mit Antipsychotika gefüttert wird, bis er nicht mehr geradeaus laufen kann.

Wie bei fast allen Dingen ist die Theorie das eine… und die Praxis schaut ganz anders aus – oder viel differenzierter.

Ich bin multipel. Ich habe eine Störung. Nein, ich bin deswegen nicht krank.

Störung heißt, dass ich in meiner Entwicklung, so wie sie von der Natur wahrscheinlich vorgesehen war (denn komischerweise scheinen die meisten Menschen ja nur aus einer Identität zu bestehen, das scheint wohl der „Normalzustand“ zu sein), ein wenig vom Wege abgekommen bin. Aufgrund äußerer Einflüsse musste sich die Seele, die Gesamtpersönlichkeit, aufspalten und hat mehrere Identitäten hinterlassen, eigenständige „Ichs“, mit eigenen Erinnerungen, eigenen Gefühlen, auch eigenen Persönlichkeitsmerkmalen, eigener Entwicklung und einem ganz eigenen Selbstbild.

Krank ist diese Tatsache allein nicht. Denn eine Krankheit ist laut Definition  eine Störung der normalen physischen oder psychischen Funktionen, die einen Grad erreicht, der die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden eines Lebewesens subjektiv oder objektiv wahrnehmbar negativ beeinflusst.

Gut, ich gebe zu, dass das hier schon etwas mit Haarspalterei zu tun hat, aber dafür sind wir ja im Allgemeinen bekannt.

Ja, es ist schwierig mit vielen „Personen“ in einem Körper zu leben. Personen, die zum Teil vollkommen unterschiedliche Vorstellungen, Wünsche und Lebenseinstellungen haben. Es ist verdammt kompliziert und das Leben alleine stelle ich mir doch um ein vielfaches einfacher vor. Aber auch, wenn es kompliziert ist, so sind wir als System nur durch die Tatsache, dass wir Viele sind nicht funktionsuntüchtig was das Alltagsleben betrifft. Wir arbeiten, wir studieren, wir leben in einer funktionierenden und gesunden Beziehung. Wir haben Freunde und wir können das Leben genießen.

Und trotzdem ist es kein Zuckerschlecken, denn die Seele hat sich nicht ohne Grund aufgespalten. Wir, dieser Körper oder wie auch immer man es nennen mag hat seit frühester Kindheit sehr viel Gewalt erfahren. Schon bevor wir überhaupt ein Jahr alt waren begann der sexuelle Missbrauch. Wir erfuhren als Kleinkind Deprivation, Schläge, Missbrauch, Vergewaltigung, Folter. Gewalt hinterlässt Spuren. In unserem Fall einige körperliche Schäden und unter anderem auch eine gespaltene Persönlichkeit. Für einen allein war das Leid nicht zu ertragen, jedes neue „Ich“ trug einen Teil der Erinnerungen, des Grauens ganz für sich alleine, wie durch Mauern von den anderen getrennt. Und reichte es nicht, wurde es wieder zu viel, um zu ertragen was uns Tag für Tag passierte, so spaltete sich ein neues „Ich“ ab.

Somit sind viele der Innenpersonen hier schwer traumatisiert. Sie haben viel Negatives erlebt und haben logischerweise sehr viel Angst, kommen nur selten zur Ruhe, erleben das Schlimme immer wieder und wieder.

Die DIS tritt selten alleine auf. So gut wie alle Betroffenen zeigen auch Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung (Intrusion, Vermeidung, Überrerregung), sie leiden oft unter Schlafstörungen, Albträumen, Depressionen, Ängsten und Panikattacken, Flashbacks, Konzentrationsstörungen, verletzen sich selbst, sind suizidal. Multiple erleben meist auch die gesamte Bandbreite anderer dissoziativer Störungen

Eigentlich ist es ziemlich bescheiden multipel zu sein. Ich hab schon öfter mal gehört: „Ach, ich wäre das auch gern, dann wäre ich nicht so einsam und alleine.“ Meist werde ich dann etwas zickig, weil ich mich darüber ärgere. Ich kann nicht verstehen wie jemand ein Leben als Viele vorziehen würde, eigentlich doch nur, wenn er nicht versteht was dahinter steckt.

Ja… gut… ich kann tatsächlich manchmal mit jemandem innen reden, es kann tatsächlich gut tun, wenn man es nach jahrelanger und „sehr anstrengender Arbeit geschafft hat ein Mindestmaß an Kontakt herzustellen. Doch ohne den ganzen „Rattenschwanz“ dahinter, ist das Leben deutlich erstrebenswerter.

(Teil 2)

(Teil 3)

(Teil 4)

F62.0, oder was (kompl.) PTBS für uns bedeutet – Pt. II

Fortsetzung zu F62.0, oder was (kompl.) PTBS für uns bedeutet – Pt. I

„Gefühle der Leere und Hoffnungslosigkeit“ kennen wir ebenfalls. Es ist weniger die Leere (denn da scheint die DIS entgegenzusteuern, der Kopf ist ständig voll mit den Gedanken und Stimmen der anderen im System) als die Hoffnungslosigkeit. Oft werden wir von Depressionen übermannt und dem Gefühl, dass es keinerlei Ausweg aus unserer Lage gibt. Nichts wird jemals helfen, nichts wird je besser. Die Gedanken drehen sich im Kreis um diese Ausweglosigkeit. Wir haben immer in Abhängigkeiten gelebt, alle Bereiche unseres Lebens waren fremdbestimmt. Wir konnten nichts selbst entscheiden und die, die über uns bestimmt haben, hatten nicht unbedingt unser Wohlergehen im Sinn. Es war klar, was am Ende mit uns geschehen würde, das stand außer Frage, keine Chance auf einen Ausweg. Es würde immer schlimmer werden und das Ende qualvoll und schmerzhaft. Hoffnung hatte dort keinen Raum, jedenfalls keine außer der Hoffnung irgendwann einmal sterben zu dürfen. Nun wider Erwarten mit der Suche nach Perspektiven für sein Leben konfrontiert zu sein ist ungewohnt. Auf einmal soll man eine Vorstellung davon haben, wo man in 5 oder 10 Jahren stehen will. Das beinhaltet die Hoffnung bis dahin überhaupt durchgehalten zu haben. Schwer. Wir arbeiten gegen, versuchen Hoffnung vom Kopf her zu begreifen und zu etablieren, aber was die Gefühle betrifft, so wird es noch einige Zeit brauchen.

Ein „chronisches Gefühl der Anspannung wie bei ständigem Bedrohtsein“ ist ein weiteres Symptom der komplexen PTBS und wir glauben, dass dieses das bei uns vorherrschende Problem ist. Wir sind immer nervös, immer angespannt, fühlen uns immer, als sei Amargeddon gleich um die Ecke. Immer in Habachtstellung, es könnte ja jederzeit etwas geschehen, nie die Deckung fallen lassen, sich ja nicht eiskalt erwischen lassen. Wahrscheinlich ist auch das eine erlernte Verhaltensweise. In Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenenalter waren die Bedrohungen immer präsent. Wir erinnern uns, dass wir als Kind nie wussten, was von unserem Verhalten welche Konsequenzen nach sich trug. Fehlverhalten trug in der Regel schwere Strafen mit sich, aber manchmal, wenn man nach dem Beichten eines Fehlers die Augen zusammenkniff und schon meinte den Schlag eines Handrückens an der Schläfe zu spüren… passierte nichts. „Brav“ sein schütze auch nicht zuverlässig vor Strafe. Oft war man dennoch dem Jähzorn des Hausherren ausgeliefert, kassierte Schläge bei guten Noten, damit man ja nicht meint, sich etwas darauf einbilden zu können oder durfte zur Belohnung, weil man so ein braves Mädchen war besagtem Hausherren einen blasen.  Egal was wir taten, wir konnten nie sicher sein, was als nächstes passieren würde.

Diese Haltung haben wir bis heute beibehalten. Erst diese Woche haben wir aus lauter Ungeschick einen persönlichen Gegenstand unseres Mannes aus dem Fenster geschnickt (eine Slapstick-Szene, die den alten Meistern wie Stan Laurel oder den drei Stooges wirklich alle Ehre gemacht hätte) – aus dem obersten Stock unseres Hauses hinunter in den völlig mit Laub bedeckten Garten. Unauffindbar. Verkrampft haben wir auf das große Donnerwetter gewartet – was nicht kam. Auch wenn wir mit unserem Mann gesprochen haben (für ihn war das kein Drama), dauerte es noch einige Tage, um die Anspannung ein wenig zu lockern, er könnte es sich ja jederzeit anders überlegen. So geht es uns fast ständig und fast allen Menschen oder Situationen gegenüber. Wir versuchen immer auf das Schlimmste gefasst zu sein. Haben in der Vergangenheit gelernt, dass jede Schwachstelle, jeder Angriffspunkt, den wir bieten, schamlos ausgenutzt wird, wenn wir unsere Deckung vernachlässigen.

Wir sind fortwährend nervös, immer angespannt, immer am Limit. Es braucht nicht viel um uns in dieser Haltung aus der Fassung zu bringen. Kleine Stressoren reichen um Panikattacken auszulösen. Unsere Muskulatur ist dauerverspannt. Das tut inzwischen nicht mal mehr weh. Haben schon einige Physiotherapeuten mit dem Kopf schütteln sehn und feststellen müssen, dass einige Strukturen in unserem Körper, die wir für Knorpel oder Knochen gehalten haben, in Wahrheit total verspannte Abschnitte von Muskeln sind. Unsere Zähne sind vom Knirschen ganz abgeschliffen und wir haben eine ganze Reihe mehr oder weniger auffälliger Tics. Angst ist ein täglicher Begleiter und ist schon gar nicht mehr auf bestimmte Situationen gerichtet. Wir können Angst vor so ziemlich allem entwickeln, ohne scheinbaren Sinn oder Zusammenhang.

Als fünftes Symptom wird im ICD noch „Entfemdung“ genannt, für uns die zerstörte Beziehung zu uns selbst und unserer Umwelt. Wir haben Probleme uns als Teil dieser Gesellschaft sehen zu können, fühlen uns abgeschnitten und separiert. Einige Regeln und Werte sind noch fremd und müssen erst mühsam erlernt werden. Auch hier geht es nur mit dem Kopf voran. Die Beziehungen und Zusamenhänge zwischen uns in uns selbst oder zu anderen zu fühlen ist noch fast unmöglich. Wir wissen aber darum und versuchen so die von uns gefühlte Kluft zu überbrücken.

All diese Problematiken beeinflussen unseren heutigen Alltag. Es scheint uns oft, als müssen wir mehr und härter arbeiten als weniger belastete Mitmenschen, um die gleichen Leistungen im Alltag zu erbringen.